Grünen-Fraktionschef im Interview

Ludwig Hartmann zum Klimapaket der GroKo: "Es ist ein Trauerspiel"


Grünen-Fraktionschef und Verfechter der CO2-Bepreisung: Ludwig Hartmann.

Grünen-Fraktionschef und Verfechter der CO2-Bepreisung: Ludwig Hartmann.

Von Markus Giese

Das Klimapaket der Bundesregierung steht in Grundzügen. Die Reaktionen sind gemischt. Für Ludwig Hartmann, Fraktionschef der bayerischen Grünen ist es eine Enttäuschung, wie er im Interview erklärt.

Das AZ-Interview mit Ludwig Hartmann. Der 41-Jährige aus Landberg ist Fraktionschef der Grünen im Bayerischen Landtag.

AZ: Herr Hartmann, die Große Koalition hat die Eckpunkte ihres Klimapakets vorgelegt. Ist es die von Markus Söder versprochene "Revolution" - oder ein "Eklat", wie die "Fridays for Future"-Bewegung urteilt?
LUDWIG HARTMANN: Für mich ist dieses dünne Maßnahmenbündel eine Riesenenttäuschung. Die Große Koalition hat offenbar sich selbst und den Kampf gegen die Klimakrise längst aufgegeben. Das heißt auch: Unser Kampf für schnellen, wirksamen Klimaschutz muss verstärkt weitergehen. Wir haben am Freitag auf den Straßen und Plätzen der Republik ein lautstarkes Misstrauensvotum der Bürgerinnen und Bürger gegen die Regierungsparteien CSU, CDU und SPD erlebt. Das war sicher nicht das letzte Mal, dass die Menschen für mehr Klimaschutz auf die Straße gehen.

Ab 2021 soll es einen Co2-Preis in Form von Zertifikaten geben. Er soll von anfangs 10 Euro pro Tonne auf 35 Euro pro Tonne im Jahr 2015 steigen. Ist das genug?
Sehen Sie: Entscheidend für wirksamen Klimaschutz ist, dass es schnell geht. Alle Experten sagen: Der CO2-Preis ist das wirksamste Instrument, um den Ausstoß klimaschädlicher Treibhausgase runter zu bekommen. Die Experten sagen auch: Damit das wirkt, muss er zum Einstieg zwischen 30 und 40 Euro liegen. Zum Einstieg! Von 2021 bis 2025 steigt die Groko mit ihrem Konzept also noch nicht mal richtig ein! Wir verlieren erneut über ein halbes Jahrzehnt Zeit beim Kampf gehe die Klimakrise. Das ist bitter!

Bis 2030 soll der Anteil der Erneuerbaren Energien auf 65 Prozent steigen, gleichzeitig soll die 10-H-Regelung für Windkraft in Bayern explizit erhalten bleiben - wie passt das zusammen?
Da passt nichts zusammen. Es ist ein Trauerspiel. Die Menschen auf der Straße signalisieren der Regierung: Wir sind bereit für konsequenten Klimaschutz, wir unterstützen das! Und Söder, Scholz & Co. trauen sich trotzdem nicht, die richtigen Weichen zu stellen. Stattdessen verspielen sie eine einmalige Chance. Unter anderem brauchen wir dringend eine Mobilitätsgarantie, die das Zweitauto unnötig macht und Bayern muss endlich zum Land der Wind- und Sonnenkraft werden.

Genügen die geplanten Maßnahmen wie etwa die avisierte Senkung der EEG-Umlage, um die Bürger sozial gerecht zu entlasten?
Wichtig ist, das Einkommensschwache nicht zusätzlich belastet werden. Genauso wichtig ist, dass Erneuerbare ausgebaut und fossile Energien aus dem Markt gedrängt werden. Das ist kein Nullsummenspiel und funktioniert nur, wenn klimafreundliches Verhalten belohnt und klimaschädliches bestraft wird. Am Ende muss der Klimaschutz auf der Gewinnerseite stehen - dann geht's uns allen besser.

Die Grünen beim Klimastreik in Augsburg: Martin Stümpfig, Claudia Roth, Ludwig Hartmann, Katrin Göring-Eckardt und Anne Franke (v.l.).

Die Grünen beim Klimastreik in Augsburg: Martin Stümpfig, Claudia Roth, Ludwig Hartmann, Katrin Göring-Eckardt und Anne Franke (v.l.).

Ihr Parteichef Robert Habeck hat die geplante Erhöhung der Pendlerpauschale für alle Verkehrsteilnehmer als "Unsinn” bezeichnet. Teilen Sie seine Meinung?
Wir brauchen einen besseren und günstigeren öffentlichen Nah- und Fernverkehr, um Pendler aus den Autos in die Busse und vor allem auf die Schiene zu bringen. Dafür muss Geld in die Hand genommen werden. Noch höhere Steuergeschenke für Auto-Vielfahrer sind der völlig falsche Weg. Das ist Politik von gestern.

Die GroKo will zunächst eine und ab 2025 zwei Milliarden Euro pro Jahr in den ÖPNV stecken. Ist das ausreichend, um ihn zukunfts- und klimafit zu machen?
Mit diesem Geld kann man den Sanierungsstau bei unserer Schieneninfrastruktur angehen und neue Fahrzeuge anschaffen. Für eine konsequente Mobilitätswende reicht es nicht. Vor allem brauchen wir aber einen Plan, ein Konzept: Wo wollen wir hin beim Bus-und Bahnverkehr und was soll das die Bürgerinnen und Bürger am Ende kosten? Dieses Konzept fehlt nach drei CSU-Verkehrsministern in Folge in der Bundesregierung leider völlig.

Der Einbau neuer Ölheizungen soll nicht erst 2030 sondern bereits 2026 verboten werden. Das dürfte Sie freuen, oder?
Eine Ölheizung läuft im Schnitt 20, manchmal 30 Jahre lang. Das heißt, der 2025 verbaute Bullerofen bläst bis Mitte des Jahrhunderts CO2 in die Luft. So scheitert man bei den Klimazielen quasi mit Ansage.

Deutschland ist nur für etwa ein 50tel des weltweiten Co2-Ausstoßes verantwortlich. Welchen Sinn macht das alles eigentlich?
Deutschland ist ein reiches, starkes Industrieland und ein großer Verursacher von Klimagasen. Die Menschen wissen das. Warum waren heute über eine Million Klimaschützer und Klimaschützerinnen auf den Straßen? Weil wir eine ethische Verantwortung haben für uns, unsere Kinder und Enkel und auch für die Menschen in den heutigen Klimakrisengebiete. Wir leben auf deren Kosten! Und: Wir sind in der Lage, umzusteuern und können weltweit Vorbild werden. Schöne Aussicht, oder?

Welche Maßnahmen fehlen aus grüner Sicht?
Im Bund? Ein sofort wirksamer CO2-Preis und vieles mehr. Aber ich bin Bayern-Politiker und deshalb auch maßlos enttäuscht, dass bei uns nichts vorangeht. CSU-Ministerpräsident Söder hat jetzt wochenlang den großen Klimaschutz-Wurf in Berlin angekündigt. Da kam aber nichts. Jetzt muss er wenigstens in Bayern zeigen, dass er es mit dem Klimaschutz ernst meint. Meine Fraktion hat heute ein Zehn-Punkte-Sofortprogramm für wirksamen Klimaschutz in Bayern vorgelegt, das wir im Landtag noch vor Weihnachten auf den Weg bringen können. Und: Ich fordere zeitnah eine Regierungserklärung zum Klimaschutz!

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