Kultur

Wenn Spinnen sich abseilen

Die Cellistin Raphaela Gromes über ihre CD mit Werken von Komponistinnen


Die Cellistin Raphaela Gromes hat sich für ihre neue CD intensiv mit dem Schaffen von Komponistinnen beschäftigt.

Die Cellistin Raphaela Gromes hat sich für ihre neue CD intensiv mit dem Schaffen von Komponistinnen beschäftigt.

Von Dorothea Walchshäusl

Die Münchnerin widmet sich auf ihrem Album "Femmes" verschiedenen Komponistinnen quer durch die Jahrhunderte und leistet damit wertvolle Pionierarbeit. Das Album erscheint am Anfang Februar, kurz danach stellt sie das Programm im Prinzregententheater vor. Ein Gespräch über ungeahnte Entdeckungen, die Kraft der Emanzipation und große Kunst jenseits der Geschlechter.

AZ: Frau Gromes, auf Ihrem neuen Album spielen Sie fast ausschließlich Werke von Komponistinnen. Eine Seltenheit in der klassischen Branche. Woran liegt das?

RAPHAELA GROMES: In der klassischen Musik liegt das daran, dass wir hauptsächlich auf Werke zurückgreifen, die früher geschrieben wurden. Wir haben Jahrhunderte hinweg in einem patriarchalischen System gelebt, in dem Frauen als das schwache und dem Mann untergeordnete Geschlecht gesehen wurden. Kaum jemand hat den Frauen zugetraut, selbst spannende Kunst zu schaffen. Und die, die wirklich wollten, mussten gegen schlimme Widerstände kämpfen. Sie durften nicht studieren, ihre Werke wurden nicht öffentlich gespielt und auch nicht gedruckt.

Wie sind Sie bei der Recherche vorgegangen?

Es ist tatsächlich bis heute schwer, überhaupt an die Werke zu gelangen. Aber zum Glück gibt es Expertinnen und ich habe für das Album viel mit dem Archiv Frau und Musik, dem Furore Verlag und Hildegard Publishing zusammengearbeitet. Viele der Stücke haben wir als handschriftliche Manuskripte vorgelegt bekommen.

Mit Ihrem Album haben Sie also Pionierarbeit geleistet.

Ja - dabei kannte ich bis vor zwei Jahren selbst gerade mal 10 Komponistinnen. Ich bin da also völlig unbedarft rangegangen, war begeistert von der Idee - und dann sehr schockiert zu sehen, was es alles gibt an fantastischer Musik und warum wir das nicht kennen. Heute weiß ich, dass es über 2000 Komponistinnen gibt, die uns hörenswerte Musik hinterlassen haben.

Wie haben Sie bei dieser Menge eine Auswahl getroffen?

Das war ein langer Prozess, bei dem mich Julian Riem, mein Pianist und der Arrangeur einiger Werke auf der CD, intensiv begleitet hat. Am Anfang stand für mich völlig überraschend Hildegard von Bingen. Als ich mir ihre Musik angehört habe, fand ich sie in ihrer Klarheit und Mystik absolut bestechend. Ich fand es sehr reizvoll, mit ihrer Musik zu beginnen und den Bogen dann über Barock, Klassik und Romantik bis in die Moderne zu spannen.

Neben Bingen: Welche weiteren Überraschungen haben Sie bei der Recherche erlebt?

Eine wahre Entdeckung war für mich Maria Walpurgis von Bayern, die Kurfürstin von Sachsen und Prinzessin von Bayern. Sie war ein echtes Multitalent, hat komponiert, getextet und ist selbst als Sängerin aufgetreten. Alles natürlich nur im privaten Bereich. Ihre Oper "Talestri" wurde im Schloss Nymphenburg urauffgeführt. Sie handelt von Amazonenköniginnen und ist eine so mitreißende, erfrischende Barockoper, dass ich unbedingt eine Arie davon auf dem Doppelalbum haben wollte.

Und sonst?

Extrem fasziniert war ich auch von Pauline Viardot-Garcia. Sie war eine leidenschaftliche Kosmopolitin, hat sechs Sprachen fließend gesprochen, war eine erfolgreiche Operndiva und hat diese ganze Lebensfreude auch in ihren sehr mitreißenden, manchmal auch folkloristisch - anmutenden Werken großartig transportiert - ihre Bohemienne und Tarantelle stehen zum Beispiel auch auf unserem Programm bei unserem Konzert im Prinzregententheater.

Was macht die zeitgenössischen Komponistinnen aus, die auf Ihrem Album vertreten sind?

Das waren große Entdeckungen für uns: Zum Beispiel Dolores White, eine afroamerikanische Komponistin, in deren Stück "Las Tarantulas" man förmlich sieht, wie sich die Spinnen im Dschungel herabseilen. Fantastisch ist auch Lera Auerbachs Postludium, das verstörend und gleichzeitig so berührend in wenigen Tönen eine unglaubliche Kraft entfaltet.

In München werden Sie auch drei Romanzen von Clara Schumann spielen, einer der wenigen bekannten Komponistinnen. Was verbinden Sie mir ihr?

Ich bewundere sie zutiefst. Was diese Frau alles geleistet hat, kann man sich heute kaum mehr vorstellen. Sie hat die Familie ernährt, zudem hat sie 9 Kinder geboren, Konzerttourneen auf der ganzen Welt gegeben als Pianistin - damals, mit der Kutsche unterwegs! Und sie hat jeden Tag noch 13 Briefe an Veranstalter geschrieben, um ihre Konzerte zu organisieren und sich selbst zu promoten. Bei alledem muss sie einen unglaublichen Fleiß und große Beharrlichkeit gehabt haben. Gleichzeitig war sie ihrem Mann gegenüber sehr unterwürfig und durfte beispielsweise nicht üben, wenn er seine Ruhe brauchte...

Neben den Komponistinnen stehen auch drei legendäre Frauenfiguren im Zentrum: Susanna, Dido und Carmen. Was hat es mit diesen drei Figuren auf sich?

Ich bin schon immer ein großer Opernfan gewesen und das waren drei Frauenfiguren, die in meinem Leben immer wichtig waren. Susanna ist definitiv die klügste, brillanteste Frauenfigur in Mozarts Opern und eben nicht adelig, sondern ein Dienstmädchen. Aus dieser untergeordneten Position schafft sie es, alle Fäden in der Hand zu haben - deshalb wollte ich sie unbedingt auf dem Album haben als Vertreterin für die Frauen damals. Dann stellen wir Purcells Dido der Amazonenkönigin Talestri von Maria Walpurgis gegenüber. Zwei sehr unterschiedliche und wichtige Figuren der Barockoper...

Und warum Bizets "Carmen"?

Sie ist die Frauenfigur schlechthin, die Femme fatale, wobei sich mein Blick auf sie sehr verändert hat. Früher habe ich sie als böse Frau gesehen, die ihre Erotik nutzt, um Männer zu verführen und ihnen das Herz zu brechen. Aber mir ist klar geworden, dass es ihr um Selbstbestimmung und Freiheit geht und dass sie eine bewundernswert starke Frau in einem enorm patriarchalen System war.

Sie haben Ihr Album "Femmes" genannt. War seine Entstehung für Sie zwangsläufig auch eine Auseinandersetzung mit der Geschichte der Emanzipation?

Ja, definitiv. Ich hatte davor tatsächlich überhaupt keine Ahnung und habe jetzt viele Biographien gelesen, die wirklich Empörung in mir hervorgerufen haben. Ich selbst bin ja hineingeboren in eine Zeit, in der eigentlich alles gleichberechtigt zugeht und wurde als Frau nie schlecht behandelt. Aber diese Selbstverständlichkeit ist ja noch gar nicht lange vorhanden. Dessen muss man sich bewusst sein und ich spüre eine große Dankbarkeit gegenüber all den Frauen, die dafür gekämpft haben.

Das Album "Femmes" bei Sony. Am 5. Februar um 15.30 Uhr spielt sie das Programm der CD mit den Festival Strings Lucerne unter Daniel Dodds im Prinzregententheater. Karten unter Telefon 93 60 93, bei muenchenmusik.de und münchenticket