Kultur

Schnarchen vom Rang

Santtu-Matias Rouvali dirigiert die Philharmoniker


Santtu-Matias Rouvali, die Pianistin Alice Sara Ott und die Münchner Philharmoniker in der Isarphilharmonie.

Santtu-Matias Rouvali, die Pianistin Alice Sara Ott und die Münchner Philharmoniker in der Isarphilharmonie.

Von Michael Bastian Weiß

Schnaufende Megafone, Schnarchen vom Rang

Über die ganze Rückwand der Isarphilharmonie sind die Schlagzeuger der Münchner Philharmoniker verteilt und beginnen ein entspanntes Trommeln, das mehr oder weniger das gesamte Stück durchzieht. Hohe Streicher fangen an zu pfeifen. Ein Dominantseptakkord erscheint, der musiksprachlich stets einen Doppelpunkt markiert: Doch auf die Ankündigung folgt nichts. Harmonien des 19. Jahrhunderts werden anzitiert, eine Motivformel schraubt sich nach oben.

Doch statt eine solche Entwicklung formbildend in einen Ausbruch münden zu lassen, holt der Komponist allerlei filmmusikalische Gemeinplätze aus dem Fundus: Glocken wie bei Ennio Morricone, Gefühliges wie aus einem zeitgenössischen Blockbluster; dann wiederum fühlt man sich in einen Soundtrack versetzt, wie Lalo Schifrin ihn zu einer Action-Fernsehserie aus den 1970er Jahren beigesteuert haben könnte.

Neutral könnte man die Art und Weise, wie der gebürtige Münchner Markus Lehmann-Horn, Jahrgang 1977, in diesem Auftragswerk der Münchner Philharmoniker die Zeit verstreichen lässt, als eine Art Sampler-Technik beschreiben: Er drückt gleichsam auf Knöpfe, worauf allseits bekannte musikalische Topoi und Spurenelemente erklingen.

Viele Tonhöhen werden vom Schlagzeug verdeckt, weil Santtu-Matias Rouvali routiniert, aber nicht besonders interessiert dirigiert; die Orchestertotale ergibt sich als so zufällig, wie die Reihenfolge des Knopfdrückens beliebig wirkt oder sich das schwere Atmen und Schnaufen, das die Schlagwerker durch Megafone blasen, sich als Effekt bald abnutzt.

Das Stück wird freundlich aufgenommen, aber dass es sich laut Titel um "Eine Empörung" handelt, die auf die Vernachlässigung des Kulturbetriebs während der Corona-Pandemie hinweisen soll, teilt sich nicht mit. Denn wieso äußert sich ein so machtvoller Affektzustand im limitierten Medium der Filmmusik?

Einen weiteren Effekt vernimmt das Publikum, als danach Alice Sara Ott das Klavierkonzert für die linke Hand in D-Dur von Maurice Ravel spielt: Aus dem Block rechts oben erschallt ein sägewerkartiges Schnarchen, das halb irritiert und halb belustigt. Sollte Frau Ott das mitbekommen, lässt sie es sich nicht anmerken. Den in diesem Werk nutzlosen rechten Arm schwarz behandschuht, sodass er vor dem gleichfarbigen Kleid praktisch unsichtbar wird, schwingt sie sich elegant und aufgeräumt von Episode zu Episode.

Wieder nimmt Santtu-Matias Rouvali die Ausmalung der Kulisse ein wenig zu sehr auf die leichte Schulter: Wichtige Gruppen sind nicht zu hören. Mehr Aufmerksamkeit investiert er in das Ballett "Le sacre du printemps" von Igor Strawinsky. Mit überdeutlichem Schlag hält der finnische Dirigent, der sein Studium als Schlagzeuger begann, die Philharmoniker rhythmisch zusammen, aber ohne die archaische Gewalt dieses Ausnahmewerks zu berühren.

Am Freitag, Samstag und Sonntag spielen die Philharmoniker unter Lorenzo Viotti Gustav Mahlers Symphonie Nr. 6