Kultur

"Salvador Dalí der Gitarre"

Jeff Beck war für andere Gitarristen der berühmteste aller Rockgitarristen. Nun starb er mit 78 Jahren


Jeff Beck (links) und Schauspieler Johnny Depp tourten zusammen und spielten 2022 auf dem Tollwood.

Jeff Beck (links) und Schauspieler Johnny Depp tourten zusammen und spielten 2022 auf dem Tollwood.

Von Dominik Petzold

Als der Gitarrengott ein letztes Mal nach München kam, erkannten ihn viele gar nicht. 6000 Menschen waren vergangenen Sommer ins Tollwood-Zelt geströmt, doch viele wussten offensichtlich nicht, wer dieser Mann an der weißen Stratocaster war. Sie waren wegen seines Kompagnons hier, Johnny Depp, nicht wegen Jeff Beck. Manch einer von ihnen dürfte dann gestaunt haben, welche Klänge aus dessen Verstärker kamen. Klänge, die man live nie wieder hören wird, denn niemand wird seinen Sound jemals kopieren können. Bereits am Dienstag ist Jeff Beck im Alter von 78 Jahren an einer bakteriellen Meningitis gestorben.

Die E-Gitarre ist das Instrument, das die Rockmusik definierte, und abgesehen von Jimi Hendrix gab es keinen bedeutenderen Gitarristen als Jeff Beck. Das spiegeln die Reaktionen auf seinen Tod. "Er war unnachahmlich, unersetzlich - der absolute Gipfel des Gitarrenspiels", schrieb Brian May von Queen. Sein Aerosmith-Kollege Joe Perry nannte Beck den "Salvador Dalí der Gitarre", den "ultimativen sechssaitigen Alchemisten". Brian Wilson bezeichnete ihn als "genial", David Gilmour als seinen "Helden". Tony Iommi (Black Sabbath) sagte, es werde nie wieder einen Musiker wie ihn geben. Patti Smith nannte ihn "einen Meister meiner Generation".

Geboren wurde Geoffrey Arnold Beck am 24. Juni 1944 im südlichen Londoner Vorort Wallington. Seine Mutter wollte, dass er Klavier lernt. Doch der Junge war fasziniert von amerikanischen Rock'n'Roll- und Blues-Gitarristen, insbesondere von Gene Vincents Gitarrist Cliff Gallup, der sein wichtigster Einfluss war und dem er später ein Tribute-Album widmen sollte. 1956 baute sich der junge Jeff selbst seine erste Gitarre aus Zigarrenkisten, und die Eltern ließen ihn gewähren. "Ich nehme an, sie dachten: ,Wenn er die Gitarre hat, geht er wenigstens nicht raus, um zu stehlen'", sagte Beck dem "Rolling Stone". "Die einzigen Freunde, die ich hatte, waren ziemlich zwielichtig."

Eine Ausnahme war Jimmy Page, den ihm seine Schwester als Teenager vorgestellt hatte. Als die Yardbirds Page 1965 überreden wollten, Nachfolger des abgewanderten Eric Clapton zu werden, sagte er ab und empfahl stattdessen seinen Jugendfreund. Und Jeff Beck wurde schnell als Saiten-Zauberer berühmt: Er holte ungehörte Sounds aus der Gitarre, ließ sie auch mal wie eine Sitar klingen, arbeitete mit starker Verzerrung und suchte stets nach experimentellen Sounds. "Ich machte die seltsamsten Geräusche", sagte er später. "Wenn ich nicht in jedem Song mindestens zehn Mal die Regeln breche, habe ich meinen Job nicht anständig erledigt."

Die Yardbirds hatten in den knapp eineinhalb Jahren mit Beck ihre erfolgreichste Zeit, mit Hits wie "Heart Full of Soul" und "Over Under Sideways Down". Und auf der B-Seite dieser Single von 1966, "Jeff's Boogie", zeigte der Namensgeber bereits eine Virtuosität, die zu der Zeit vielleicht Country-Musiker in Nashville an den Tag legten, die in der Rockszene aber unüblich war.

1966 überwarf sich Beck während einer US-Tour mit der Band, begann als Solist und hatte sogleich einen Hit mit "Hi Ho Silver Lining", einem Popsong, den er mit dünner Stimme selbst sang. Obwohl das Lied gut war und Hitproduzent Mickie Most ihn zum Frontmann aufbauen wollte, ließ Beck danach beides für immer bleiben, den Pop und den Gesang. Stilprägender wurde die B-Seite, die er gemeinsam mit Jimmy Page aufgenommen hatte, "Beck's Bolero", eines der größten Instrumentals der Rockgeschichte: Es spielt erst mit dem Rhythmus von Ravel, dann wird Schlagzeugberserker Keith Moon von der Leine gelassen. Beck hatte diese über alle Maßen kraftvolle Nummer schon während seiner Yardbirds-Zeit aufgenommen, und sie sollte 1968 noch mal auf seinem großartigen Debütalbum "Truth" erscheinen.

Darauf war größtenteils die Begleitband zu hören, die er im Jahr zuvor zusammengestellt hatte: mit dem noch völlig unbekannten Sänger Rod Stewart und Ronnie Wood, der kurzfristig vom Gitarristen zum Bassisten umfunktioniert worden war. Beim Debütkonzert fiel der Strom aus, die Kritiken waren fürchterlich und der fuchsteufelswilde Beck wollte die Band sogleich wieder auflösen. Er beruhigte sich aber wieder, und später eroberten sie auf fünf Tourneen die USA, woran sich Wood und Stewart nun auf Twitter nochmal dankbar erinnerten. Bei zahlreichen Konzerten war Jimi Hendrix zu ihnen auf die Bühne gekommen. Doch nach zwei Alben und ausgerechnet wenige Wochen vor einem geplanten Auftritt in Woodstock löste Beck die Band auf. Es war eine von vielen unberechenbaren Entscheidungen. Auch deretwegen gelang es seinem damaligen Manager Peter Grant nicht, ihn zum Superstar zu machen - anders als Becks Kumpel Jimmy Page mit dessen Band Led Zeppelin.

Die nächsten beiden Alben der umformierten Jeff Beck Group offenbarten neben Rock auch Einflüsse von Soul und Rhythm & Blues und waren nicht übermäßig erfolgreich, das gleiche galt für das weniger überzeugende Album des Powertrios Beck, Bogert & Appice im Jahr 1973. Zwei Jahre später landete Jeff Beck aber einen kommerziellen Erfolg und feierte zugleich einen kreativen Triumph: das Instrumentalalbum "Blow By Blow", das er mit Beatles-Produzent Gorge Martin schuf und das Platz vier der US-Charts erreichte. Beck hatte sich als Musiker weiterentwickelt, stark beeinflusst von John McLaughlin, und spielte eine seelenvolle Jazz-Rock-Fusion. Die klang auf dem nächsten Album "Wired" 1976 mindestens ebenso grandios, aber ein vergleichbarerer Erfolg sollte sich nicht mehr einstellen, in der Zukunft auch nicht mehr.

Dazu schlug Beck wohl auch zu viele Haken: Mal spielte er Fusion, mal Hard Rock, mal Rockabilly - er folgte keinem Karriereplan, sondern immer seiner musikalischen Neugier, und überragende Alben gelangen ihm nicht mehr. 1985 versuchte er es auf "Flash" nochmal mit Sängern und hatte einen kleinen Hit mit Rod Stewart und "People Get Ready". Danach machte er wieder instrumental weiter. Sein Publikum blieb mittelgroß - 2018 spielte er im Circus Krone. Erst als er sich im vergangenen Jahr mit Johnny Depp zusammentat, der ihm als Musiker auf groteske Weise unterlegen war, erreichte er wieder ein deutlich größeres Publikum.

Doch in der Musikszene galt er stets als Gigant. Zwei Mal wurde er in die "Rock'n'Roll Hall of Fame" aufgenommen, 1992 mit den Yardbirds und 2009 als Solist, außerdem gewann er acht Grammys. Er hatte starken Einfluss auf Rock, Jazz-Rock und auch Heavy Metal und arbeitete mit so unterschiedlichen Künstlern und Bewunderern wie Mick Jagger, Brian Wilson, Roger Waters oder Tina Turner, auf deren Song "Private Dancer" er 1984 ein nicht imitierbares Solo spielte.

Sein Stil war seit den Achtzigern nochmals individueller geworden, da er seither ohne Plektrum spielte. Mit den Fingern der rechten Hand zupfte, hämmerte und streichelte er die Saiten, zugleich zog er am Tremolo-Hebel und am Lautstärkeregler seiner Stratocaster. So schaffte er einen singenden Ton und verband die Noten, ob rasend schnell oder zart und langsam: Die zwölf Töne waren ihm nicht genug, oft bewegte er sich irgendwo zwischen ihnen. Diese einzigartige Technik können Gitarristen vielleicht lernen, wenn sie Jeff Becks Rat folgen: täglich vier bis fünf Stunden üben, am besten rund dreißig Jahre lang. Aber selbst dann werden sie niemals über dasselbe Gefühl in den Fingern verfügen, das seine einzigartige Gabe war, und über die "offenbar grenzenlose Imagination", die ihm sein Jugendfreund Jimmy Page zusprach.

Aber vielleicht ist es auch einfach so, wie Rod Stewart in seinem Nachruf über den Mann schrieb, der seine Karriere in Gang gebracht hatte: "Jeff Beck war von einem anderen Stern."