The Who

Roger Daltreys Autobiografie „My Generation"


Erstaunlich rüstiger Rocker: "The Who"-Sänger Roger Daltrey, hier bei einem Konzert 2016 in Bologna.

Erstaunlich rüstiger Rocker: "The Who"-Sänger Roger Daltrey, hier bei einem Konzert 2016 in Bologna.

Von Robert Braunmüller / TV/Medien

Roger Daltrey wird 75 Jahre alt, kündigt ein neues Album an und hat seine Autobiografie verfasst

Vor 54 Jahren sang und stotterte Roger Daltrey eine Zeile, die sein Bandkollege Pete Townshend in dem Song "My Generation" geschrieben hatte: "I Hope I Die Before I Get Old". Man kann nun offiziell festhalten: Das hat nicht geklappt. Roger Daltrey feiert am Freitag seinen 75. Geburtstag. Und er wird noch in diesem Jahr mit dem ein Jahr jüngeren Pete Townshend, dessen Wunsch ebenso unerfüllt blieb, ein neues The Who-Album aufnehmen.

Bemerkenswert ist daran weniger, dass die Herren in diesem Alter noch rocken - sehr hörenswert übrigens, wie ein Youtube-Video ihres Konzerts bei "Rock in Rio" von 2017 belegt. Das eigentliche Wunder ist vielmehr, dass The Who überhaupt bis in die 70er Jahre durchgehalten haben. Das schreibt Daltrey jetzt in seiner Autobiographie "My Generation", die pünktlich zum Geburtstag auf Deutsch erschienen ist.

Vier Feinde sollt ihr sein

Denn Streit, Zerwürfnisse, ja Feindschaft prägten den Bandalltag. The Who, da ist sich Daltrey mit Townshend einig, waren "vier Leute, die nie gemeinsam in einer Band hätten sein dürfen". Da waren der düstere, exzentrische Bassist John Entwistle und der verrückte Keith Moon, von dessen in der Rockgeschichte einzigartigen Eskapaden noch die Rede sein wird. Da war der geniale, aber schwierige und von Selbstzweifeln geplagte Pete Townshend, der wie viele britische Rockmusiker seiner Generation von einer Kunsthochschule kam. Und daneben der überaus bodenständige, erdnahe Fabrikarbeiter Roger Daltrey, der sich noch heute darüber lustig macht, dass Townshend seine Gitarrenzertrümmerungen zur Kunst in der Tradition Gustav Metzgers erhob: "Gustav wer? Blödsinn."

Aufgewachsen war er in einem Londoner Problemviertel, als Sohn eines armen, traumatisierten Kriegsveteranen. Als Jugendlicher war er jähzornig, raufte oft und meist erfolgreich: Von blutigen Gegnernasen ist im Buch mehrmals die Rede, einen Kumpel schlug er aus Versehen fast tot, und als er auch noch ein Luftgewehr in den Unterricht mitbrachte, flog er von der Schule. Dabei hatte er gar nicht abgedrückt, als ein Mitschüler sein Auge verlor. Danach arbeitete Daltrey in einer Stahlblechfabrik, in der Gehäuse für Computer hergestellt wurden. Und das wäre wohl sein Schicksal geblieben, wäre er Anfang der Sechziger nicht Entwistle und Townshend begegnet.

Die Stimmung blieb eisig

Ihre Band "The Detours" spielte sich in London nach oben, und das finale Puzzlestück kam von selbst angeflogen: Keith Moon, dessen Haare nach einem misslungenen Blondierungsversuch orange waren und der trommelte wie niemand vor und nach ihm. Seit 1965 nahm das Quartett als "The Who" eine brillante Single nach der anderen auf, mit einigem Erfolg.

Doch die Stimmung blieb eisig, die vier konnten einfach nicht miteinander, die Band stand permanent kurz vor der Auflösung. Vor allem mit Daltrey konnte keiner: Er hatte die Pillen seiner Kollegen genervt ins Klo geworfen, weil ihre benebelten Auftritte immer mieser wurden, flog deshalb kurzzeitig aus der Band und wurde nach seiner Rückkehr - die Fans hatten das Trio ausgebuht - jahrelang geschnitten. Keith Moon bewarf ihn bei Auftritten mit seinen Stöcken. Allerdings auch, weil er durchsetzen wollte, mit seinem Schlagzeug vorne auf der Bühne zu stehen.

Und Moon trieb Daltrey auch ansonsten halb in den Wahnsinn. Mal fuhr Moon einen Cadillac mit Absicht in den Hotelpool. Mal sprengte er in einer US-Fernsehshow sein Schlagzeug in die Luft: Der Stunt war vorher mit einem Brandschutzinspektor geplant worden, doch "irgendwann zwischen Probe und Sendung, zwischen der ersten und der zweiten Flasche Cognac bestach er den Inspektor", schreibt Daltrey in seinem Buch. "Er wollte einen größeren Knall."

Der schleuderte Daltrey mehrere Meter nach vorne, sorgte für eine Unterbrechung der Live-Übertragung und versengte Townshends Haare, die sich davon erholten sollten, anders als sein Hörvermögen, das nie wieder hundert Prozent erreichte.

Vom Rocker zum Heimwerker

Gegen Ende der Sechziger war Daltrey mit The Who längst ein Star, aber immer noch bettelarm. Bei der US-Tour 1967 aß er nur einen Hamburger am Tag, doch am Ende der erfolgreichen Konzertreise standen wieder nur Schulden: Die zertrümmerten Instrumente gingen ins Geld, außerdem zerlegte Moon gern mal sein Hotelzimmer. Daltreys Koffer mussten stets gepackt sein, ständig flog die Band mitten in der Nacht raus.

Das Schicksal änderte sich für Daltrey erst, als Townshends Rockoper "Tommy" 1969 ein Riesenhit wurde. Damit stieg The Who auch kommerziell in die erste Reihe auf, bald spielten sie weltweit in Stadien. Den plötzlichen Wohlstand genoss er, doch sein Ruhm blieb ihm eher gleichgültig.

Die anderen Rock-Großstars kennt er bis heute nur flüchtig. Wenn The Who nicht aktiv waren, zog er sich mit seiner Familie in das Landhaus zurück, das er von den ersten größeren Einnahmen kaufte und bis heute bewohnt, und werkelte, malte und schraubte daran rum.

Und wie betrug sich der brave Heimwerker auf den wilden Rock'n'Roll-Touren der Siebziger? In seiner Autobiographie erfährt man wenig darüber - und das, so ist der Eindruck gegen Ende des Buchs, erscheint dann doch etwas verkürzt dargestellt. Da schreibt der seit 1971 Verheiratete, wie er in den Neunzigern von einer erwachsenen Tochter erfuhr, an deren Mutter er sich nicht erinnern konnte. Und erstmals und ganz beiläufig erwähnt er da die weiteren Verzweigungen des Daltrey-Clans: "Ich erinnere mich an die Mutter meiner schottischen Tochter, meines schwedischen Sohns und meiner Tochter, die in Yorkshire lebte. Aber in diesem Fall hatte ich keine Ahnung."

Bodenständig und schlicht

In den Siebzigern und Achtzigern verfolgte Daltrey auch eine Schauspielkarriere, die sich zufällig ergeben hatte, als er die Hauptrolle in Ken Russells "Tommy"-Verfilmung übernahm. Auch seine Solo-Karriere begann vielversprechend mit dem erstaunlich soften Album "Daltrey", verlief danach aber mäßig erfolgreich. Das Zentrum seines künstlerischen Lebens war und blieb es, die brillanten Songs von Pete Townshend zu singen, auch nachdem Keith Moon 1978 gestorben war. Anfang der Achtziger hatte sich die Band kurzzeitig aufgelöst, doch seit 1989 geht The Who immer wieder auf Tour, auch nach dem Tod von John Entwistle 2002.

Vor allem die irren frühen Jahre dieser Band, aber auch das raue London seiner Jugend sind der perfekte Stoff für eine Autobiographie, und Daltrey bringt sie angenehm bündig zu Papier, bodenständig-schlicht und mit britischem Witz. Der geht auch in der deutschen Übersetzung nicht verloren.

Nur hätte man die Single "Substitute" nicht aus dem Jahr 1966 ins Jahr 1970 verlegen sollen. Aber was sind schon vier Jahre angesichts eines dreiviertel Jahrhundert langen Rock'n'Roller-Lebens?

Roger Daltrey: "My Generation. Die Autobiographie" (C. Bertelsmann, 384 Seiten, 24 Euro)