Kultur

Perlen, Blumen, Nebelschwaden

Von Vermeer bis zu den Venezianern: Auch im neuen Jahr warten zwischen Amsterdam und München famose Ausstellungen. Ein erster Blick auf die Höhepunkte


Durch ein Meer von Blumen wird man ab Februar in der Kunsthalle spazieren. Hunderte Münchner haben dazu beigetragen und monatelang gesammelt, getrocknet, gebunden. Die britische Künstlerin Rebecca Louise Law hat die Sträuße in die Installation "Calys" - Blütenkelch - überführt. Sozusagen als Ode an die Natur und ihre Schönheit.

Durch ein Meer von Blumen wird man ab Februar in der Kunsthalle spazieren. Hunderte Münchner haben dazu beigetragen und monatelang gesammelt, getrocknet, gebunden. Die britische Künstlerin Rebecca Louise Law hat die Sträuße in die Installation "Calys" - Blütenkelch - überführt. Sozusagen als Ode an die Natur und ihre Schönheit.

Von Christa Sigg

Kunst und Klima sind sich nicht sonderlich grün. Doch was wird aus uns ohne Kunst und Kultur? Gerade in Krisenzeiten. Deshalb werden wir auch im neuen Jahr nicht müde, Ausstellungen zu empfehlen - nicht unbedingt in New York oder Tokyo, das war schon früher nicht in unserem Sinne, sondern an Orten, die mit der Bahn zu erreichen sind. Ein paar reinstallierte Nachtzüge machen es möglich. Etwa, um bequem nach Amsterdam zu gelangen, wo Anfang Februar bereits der Höhepunkt des Kunstjahres 2023 erreicht sein dürfte: mit Jan Vermeer.

Bevor es aber in die Ferne geht, kommt es in München zu einer regelrechten Blütenexplosion. In der Kunsthalle dreht sich ab 3. Februar alles um Blumen: in der Kultur- und in der Kunstgeschichte, vom Altertum bis in unsere Tage, vermittelt durch Gemälde, Skulpturen, Fotografien, Design, Mode - die Blümchenbluse hat noch lange nicht ausgedient - und wissenschaftliche Objekte. "Flowers Forever" lautet der Titel, die Faszination für Rosen, Tulpen, Orchideen nimmt ja auch kein Ende und spielt genauso in den Religionen, der Mythologie, der Literatur und selbst in der Wirtschaft und der Politik eine Rolle. Das reicht von der weißen Lilie der Unschuld bis zu den roten Nelken der Sozialisten.

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Natürlich reist auch Jan Vermeers "Mädchen mit dem Perlenohrring" aus dem Mauritshuis in Den Haag zur Schau ins Amsterdamer Rijksmuseum. Bis heute weiß man nicht, wen der Künstler 1665 auf seinem Gemälde verewigt hat.

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Der berühmte "Wanderer über dem Nebelmeer" steht im Zentrum der großen Caspar-David-Friedrich-Ausstellung in der Hamburger Kunsthalle. Allerdings muss man sich noch bis Dezember 2023 gedulden.

Hunderte Münchner haben dazu beigetragen, dass sich die Kunsthalle mit echten Blumen füllt. Monatelang wurde gesammelt, getrocknet, gebunden, und nun ist die britische Künstlerin Rebecca Louise Law im stillgelegten Schwimmbad des HVB-Clubs dabei, die Sträuße in die Installation "Calys" (Blütenkelch) zu überführen. Sozusagen als Ode an die Natur und ihre Schönheit. Kunstaktion und Ausstellung (bis 27. 8.) sind Teil des großen "Flower Power Festivals" (3. 2. bis 7. 10.) in der ganzen Stadt, das heißt in Parks, Gärten, aber auch auf Plätzen, in Hör- oder Konzertsälen. Ein bisschen wie beim Faust-Festival.

Die letzte große Vermeer-Schau in Dresden ging erst vor einem Jahr zu Ende, überhaupt sind die deutschen Museen gar nicht so schlecht bestückt mit seiner raren Malerei. Doch wenn ein Haus in der Lage ist, das Maximum an Leihgaben zusammenzubekommen, dann das Rijksmuseum. Schon, weil man hier die "Dienstmagd mit Milchkrug" und die "Briefleserin in Blau" hegt; das "Mädchen mit dem Perlenohrring" aus dem Mauritshuis in Den Haag ist bei einem niederländischen Großprojekt selbstredend dabei. Von sensationellen 28 Gemälden wird geraunt, das Gesamtwerk umfasst um die 37.

Mittlerweile. 1975 waren es noch 31 anerkannte Werke. Diese wundersame "Vermeerung" hat vor allem mit Berichtigungen in der Zuschreibung zu tun. Drei Bilder sind durch minuziöse Hightech-Untersuchungen dem Delfter Superstar zugeschrieben worden. Darunter das "Mädchen mit der Flöte" aus der National Gallery in Washington, das die dortige Kuratorin noch im Oktober einem Kollegen Vermeers zugeordnet hat. Kurios ist das, zumal man am eigenen Haus tendenziell eher auf- als abwertet.

Es wird auf jeden Fall spannend, auch wenn es Absagen etwa für die zentrale "Malkunst" aus Wien - zu fragil - oder den "Astronomen" aus Paris - er urlaubt immer noch und vermutlich für sehr viel Geld in Abu Dhabi - gegeben hat. Dafür kommt dessen Pendant, der "Geograph" aus dem Frankfurter Städel, nach Amsterdam (10. 2. bis 4. 6.).

Auch an einem Titan der Moderne wird man 2023 schwerlich vorbeikommen. Pablo Picasso ist am 8. April vor 50 Jahren in Mougins nördlich von Cannes gestorben. Und in Frankreich und Spanien haben sich gleich mehrere Ministerien mächtig ins Zeug gelegt, um das gemeinsame Festprogramm "Picasso Celebration" zu ermöglichen. Über 40 Ausstellungen sind angesetzt, 16 in Spanien, zwölf in Frankreich, sieben in den USA, doch nur zwei in Deutschland. Die eine über die Gefährtinnen Fernande Olivier und Françoise Gilot im Picasso-Museum Münster endet bereits am 21. Januar. Dafür stehen sich ab 17. September im Wuppertaler Von der Heydt-Museum "Pablo Picasso und Max Beckmann" gegenüber.

Man kann natürlich auch die Museen abklappern, hierzulande wären das u. a. die Staatsgalerie in Stuttgart, das Museum Ludwig in Köln oder das Berggruen in Berlin. Auch in München besitzt man ein paar Picassos - aktuell haben es vier Gemälde in die neue "Mix & Match"-Schau der Pinakothek der Moderne geschafft: die "Frau" mit der markanten Nase von 1930 und die sitzende "Dora Maar" von 1941 (beide Saal 4), "Der Maler und sein Model" von 1963 (Saal 13) und schließlich die "Frau mit Violine" aus der kubistischen Phase von 1911 (Saal 30).

Basel mag nicht um die Ecke liegen, aber dort gab es früh schon Anhänger Picassos. Und als ein in finanzielle Nöte geratener Unternehmer seine zwei Werke ins Ausland verkaufen wollte, protestierten die Bürger, sodass nach einer Abstimmung die Bilder von der öffentlichen Hand fürs Kunstmuseum angekauft werden konnten. Das hat wiederum Picasso so sehr gerührt, dass er den Baslern gleich vier weitere Werke zukommen ließ.

Die wichtigen Picasso-Ausstellungen finden freilich eher vor den Toren der Stadt im noblen Riehen statt. Dort hat der Galerist und Sammler Ernst Beyeler 1997 ein fabelhaftes Museum eröffnet, in dem vor drei Jahren die Anfänge Picassos bis ins Vorfeld der Demoiselles d'Avignon gezeigt wurden. Im Jubiläumsjahr liegt der Fokus auf dem späten Œuvre. Die Schau "Picasso. Künstler und Modell - letzte Bilder" eröffnet am 19. Februar, der Titel sagt schon einiges. Es geht um den Blick auf den weiblichen Körper, zu dem sich der Maler zuweilen selbstironisch in Beziehung gesetzt hat. Aus heutiger Sicht gibt es Diskussionsbedarf, keine Frage (bis 1. 5.).

Wer es nach Paris schafft, wird im Musée de l'Homme ausgiebig über Picassos Auseinandersetzung mit der prähistorischen Kunst informiert (8. 2. bis 12. 6.). Ein Besuch im Musée national Picasso gehört dann unbedingt dazu, zumal das seine Dauerausstellung neu einrichtet und Highlights der Sammlung mit Arbeiten zeitgenössischer Künstler kombiniert. Inszeniert vom britischen Modedesigner Paul Smith ("Célébration Picasso - La collection prend des couleurs!" vom 7. 3. bis 27. 8.).

Picasso wird man auch in Frankfurt begegnen. Nicht in einer Einzelschau, aber zu einem interessanten Thema, dem Relief, das zwischen der Zwei- und Dreidimensionalität changiert. Dabei nimmt man im Städel die Zeitspanne von 1800 bis in die 1960er Jahre ins Visier, neben Künstlern wie dem Klassizisten Thorvaldsen, Gauguin, Rodin, Arp oder eben Picasso haben sich immer auch die Theoretiker an diesem "Herausragenden" Phänomen abgearbeitet (23.5. bis 17. 9.).

In diesem Jahr brauchen sich auch die staatlichen und städtischen Münchner Häuser nicht zu verstecken. Fünf Jahre nach der famosen Schau über die Florentiner Malkunst hofft man in der Alten Pinakothek, mit den Venezianern an diesen Erfolg (fast 140 000 Besucher) anknüpfen zu können. Unter dem Titel "Colore e Sentimento" wird Porträt- und Landschaftsmalerei der Renaissance zu sehen sein, also von Giovanni Bellini, den schon Albrecht Dürer über den grünen Klee gelobt hat, über den geheimnisvollen Giorgione oder Lorenzo Lotto bis hin zu Tizian und Tintoretto. Im Mittelpunkt stehen die Neuerungen, die in ganz Europa Verbreitung gefunden haben und bis in die Moderne wirken. Zu den 15 Werken der Münchner Sammlung kommen rund 70 Leihgaben. Von den faszinierenden Farben bis zu den manchmal erstaunlichen Botschaften der Bilder lässt sich da ab 27. Oktober einiges erzählen.

Dass am Tag darauf im Lenbachhaus eine Ausstellung über William Turner beginnt, ist ein herrlicher Zufall. Der englische Maler war ein großer Verehrer Tizians und Tintorettos und versuchte deren dramatischem Kolorit nachzueifern. 1819, mit bereits 44 Jahren, hat er sich zum ersten Mal nach Venedig aufgemacht, wo wundervolle Farb- und Lichtlandschaften entstanden sind. Turner malte wie später die Impressionisten mit der Staffelei vor Ort, und das ist lange nicht das Einzige, das ihn mit den Vorboten der Moderne verbindet. Man darf ihn auch als einen der Vorläufer der Abstraktion wahrnehmen - und damit passt er zur Sammlung des Lenbachhauses, das sich mit der Londoner Tate zusammentut und dadurch 40 Gemälde und 40 Aquarelle zeigen kann (28.10. bis 10.3.2024).

Nach diesen durchaus romantischen Einstimmungen bildet Caspar David Friedrich das ideale Finale - nicht in München, da sind immerhin vier Bilder in der Alten Pinakothek zu sehen. Sondern in der Hamburger Kunsthalle, die mit dem "Wanderer über dem Nebelmeer" und dem "Eismeer" zwei fundamentale Werke des kauzigen Malers aus Greifswald besitzt. Auch in dieser Retrospektive - Anlass ist der 250. Geburtstag im kommenden Jahr - geht es um Themen, die aktueller kaum sein könnten. Da wäre das Verhältnis von Mensch und Natur, deren Verletzlichkeit. Gute Kunst wirft einen immer auch in die eigene Gegenwart (15. 12. bis 1. 4. 2024).