Salzburger Festspiele

Milo Raus "Everyman" mit Ursina Lardi in der Szene Salzburg


Ursina Lardi mit Helga Bedau (im Video) in Milo Raus "Everywoman" bei den Salzburger Festspielen.

Ursina Lardi mit Helga Bedau (im Video) in Milo Raus "Everywoman" bei den Salzburger Festspielen.

Von Robert Braunmüller / TV/Medien

Milo Raus Inszenierung "Everywoman" mit Ursina Lardi und Helga Begau in der Szene Salzburg

In seinem "Genter Manifest" hat der Regisseur festgelegt, dass mindestens ein Laie zusammen mit den Schauspielern auf der Bühne stehen müsse. Die zwingende Mitwirkung einer Jederfrau oder eines Jedermann prädestiniert Milo Rau geradezu, zum 100. Geburtstag der Salzburger Festspiele eine Reflexion über Hugo von Hofmannsthals Domplatz-Spektakel und die letzten Dinge zu wagen. Das gelingt ihm mit "Everywoman" in der Szene Salzburg unerwartet eindrucksvoll, ja anrührend.

Zuerst einmal treibt einem eine Überdosis Glockengeläut aus einem tragbaren Radio gnadenlos jede metaphysische Stimmung aus. Über den Umweg einer Geschichte über den Sturz eines Pferdes auf einer Galopprennbahn kommt Ursina Lardi auf die Plötzlichkeit des Todes zu sprechen. Ehe der Zusammenhang mit "Jedermann" deutlicher wird, ist die sehr dichte und kaum jemals abschweifende Aufführung schon mitten drin im Thema.

Noch einmal Theater spielen

Ob es sich um Selbsterlebtes oder ästhetisch Überformtes handelt, bleibt in der Schwebe, ebenso die Grenze zwischen Schauspielerei und Privatheit. Auf der Leinwand über der Bühne erscheint eine Tischgesellschaft. Sie ähnelt der auf dem Domplatz bei "Jedermann". Auch hier stört der plötzliche Tod das Geschehen: Ursina Lardi erzählt von der 1949 in Lünen geborenen und in Berlin lebenden Helga Begau. Sie habe im Frühjahr erfahren, dass die an unheilbarem Bauchspeicheldrüsenkrebs leide und möchte noch einmal im Theater mitwirken.

Das alles geschieht sachlich, geradezu nüchtern. Gott bleibt lange aus dem Spiel. Die Schauspielerin spricht mit der per Video anwesenden Frau über ihre Jugend, die wilde Zeit nach 1968 in Berlin, einen Auftritt als Statistin an der Freien Volksbühne und den Sohn, der seit der Grundschulzeit in Griechenland lebt.

Eine Operation ist bei Helga Begau unmöglich. Trotz einer Chemotherapie wird sie in zwei Jahren gestorben sein. Sie spricht wenig, wird bald müde und sitzt dann im Video mit gesenktem Kopf nur noch da. Später redet sich Ursina Lardi ein wenig theaterästhetisch in Rage und entwirft die Utopie eines unmittelbaren, mit dem Zuschauer dialogisierenden Theaters. Sie lässt sich kaum davon frustrieren, dass die echten Zuschauer nie auf ihre bohrenden Fragen antworten.

Bach mit Regen

Dann spricht sie wieder mit Helga Begau über deren letzte Wünsche. Die Todkranke fragt, ob ihre Gage eventuell für eine Bestattung in Griechenland ausreichen würde. Und sie würde gerne im Sommer sterben, während eines Gewitterregens und mit Musik von Bach.

Ursina Lardi dreht einen Wasserhahn auf und spielt am Klavier nicht perfekt, aber umso bewegender Bachs Choralvorspiel "Nun komm der Heiden Heiland" in der Version von Ferruccio Busoni. Dann kommt sie noch einmal auf den von ihr geliebten Augenblick zwischen dem Ende des Spiels und dem Beifall zurück. Dazu gibt es Popmusik. Trotz Bach und Regen kann man nicht behaupten, dass der Abend irgendwie Trost spenden würde, und billigen schon gar nicht.

Wer hin und wieder vom performativen Getue auf unseren Bühnen genervt ist, bekommt von Milo Rau eine Lehre erteilt. Auch ohne die Mitwirkung eines Dramatikers kann ein starker Text entstehen. Es lässt sich auch ohne Sparwitze darüber reden, dass Theater gespielt wird. Laien können mitwirken, ohne wie in einer Völkerschau vorgeführt zu werden. Und auch ohne die schwitzende Einfühlung und tremolierendes Schauspielereigetute des alten Theaters sind starke Gefühle möglich.

Wieder an diesem Wochenende sowie am 27. und 28. August in der Szene Salzburg (ausverkauft), ab 15. Oktober in der Berliner Schaubühne

Ursina Lardi mit Helga Bedau (im Video) in Milo Raus "Everywoman" bei den Salzburger Festspielen.

Ursina Lardi mit Helga Bedau (im Video) in Milo Raus "Everywoman" bei den Salzburger Festspielen.