Kultur

Kraftvolle Gedächtnisarbeit

Maren Solty gehört zu den "Anti War Women" in den Kammerspielen


Jelena Kuljic (von links), Moses Leo, Joyce Sanhá, Maren Solty und Leoni Schulz sind die "Anti War Women".

Jelena Kuljic (von links), Moses Leo, Joyce Sanhá, Maren Solty und Leoni Schulz sind die "Anti War Women".

Von Michael Stadler

Abwechslungsreicher kann ein Einstand wohl nicht sein. Als Erstes hat Maren Solty, frischgebackenes Ensemblemitglied an den Kammerspielen, in dem heiter-melancholischen "A scheene Leich"-Reigen von Gerhard Polt und den Well-Brüdern mitgespielt. Jetzt ist sie Teil des Projekts "Anti War Women", das Jessica Glause im Rahmen des "Female Peace Palace"-Festivals der Kammerspiele in Szene setzt.

AZ: Frau Solty, wie sieht es mit Ihrem politischen Engagement aus: Gehen Sie bei Demos mit auf die Straße?

MAREN SOLTY: Auf Demos bin ich durchaus anzutreffen. Zuletzt sind wir am 21. März mit der gesamten Produktion zur ver.di-Demonstration am Marienplatz gegangen. Wir hätten sowieso nicht proben können, weil die Technik streiken sollte, also haben wir gesagt, kommt, lasst uns alle gemeinsam dort hingehen. Mit welcher Dringlichkeit die Leute ihre Reden gehalten haben, wie sie mit ihrer Betonung entweder Buhs oder Applaus erzeugen wollten, war für uns natürlich besonders interessant.

"Anti War Women" dreht sich um den Frauenfriedenskongress von 1915 in Den Haag, den die Münchnerinnen Lida Gustava Heymann und Anita Augspurg initiiert haben. Halten Sie und die anderen nun auch Reden frontal ins Publikum?

Ja, durchaus. Die Reden von damals wurden detailliert protokolliert, insofern konnten wir auf sehr viel Material zurückgreifen. Man merkt beim Lesen, wie ernst es den Rednerinnen damals war. Eigentlich durften sie sich als Frauen nicht für politische Zwecke treffen, haben es aber trotzdem gemacht und wollten zeigen, dass sie absolut in der Lage sind, ihre Punkte rhetorisch kraftvoll zu vermitteln. Dabei ist das eine sehr juristische, komplizierte Sprache. Diese Reden erfordern einiges an Konzentration.

Laut Stücktext verkörpern Sie dabei vor allem Lida Gustava Heymann.

Am Anfang haben wir noch überlegt, ob wir nicht alle alles spielen, aber letztlich kristallisierte sich heraus, dass wir jeweils bei einzelnen Figuren bleiben. Wir haben uns dann in diese historischen Persönlichkeiten hineinrecherchiert und uns in großer Runde gegenseitig vorgestellt. Ich spiele nun Lida Gustava Heymann, eigne sie mir an, wechsele aber auch immer wieder ins Erzählen über sie.

Lida Gustava Heymann wurde 1868 als eine von fünf Töchtern eines wohlhabenden Hamburger Kaufmanns geboren. Wie kam es dazu, dass sie sich schon in jungen Jahren sozial engagierte?

Ähnlich wie bei den "Bayerischen Suffragetten", über die Jessica Glause bereits einen Abend an den Kammerspielen gemacht hat, stammen viele dieser Frauen aus bürgerlichem Hause. Sie setzten sich für die Rechte der Frauen stark ein, aber manche Dinge, die jenseits ihrer Klasse lagen, hatten sie nicht auf dem Schirm. Dieser Aspekt wird bei uns auch thematisiert. Von Lida Gustava Heymann ist bekannt, dass sie schon als Kind recht frech war und sich wenig gefallen ließ. Wenn es ihr zum Beispiel nicht gepasst hat, dass eine ihrer Schwestern heiratete, hat sie einfach mal den feinen Essenstisch verlassen.

Der erste Satz, den Sie sagen, lautet dementsprechend: "Weg mit dem höheren Töchterleben!"

Genau! Sie wollte sich nicht vorschreiben lassen, wie sie ihr Leben als Frau zu leben hat. In Hamburg hat sie sich zum Beispiel für die Rechte von Sexarbeiterinnen eingesetzt, hat sich Männerklamotten angezogen und ist auf die Straße gegangen, um aus nächster Nähe zu beobachten, wie schlecht die Sexarbeiterinnen von der Polizei behandelt wurden. Sie hat dann eine Wohnung in einem Haus angemietet, um Frauen Essen und Gespräche anzubieten. Als die Nachbarn sich beschwerten, dass es in der Wohnung zu laut zuginge, hat sie dann das ganze Haus gekauft.

Wie konnte sie sich das leisten?

Durch das väterliche Erbe, dass sie sich aber vor Gericht erst erstreiten musste. Ein großer Wendepunkt war für sie dann der erste Internationale Frauenkongress in Berlin 1896. Dort hörte sie eine Rede von Anita Augspurg und war von ihr sehr beeindruckt. Mit Augspurg, die in der Schweiz Jura studiert hatte und die erste Juristin Deutschlands war, entstand eine Beziehung, die auch politisch einiges an Kraft entwickelte. Zusammen kämpften sie vehement für Frauenrechte und Gleichberechtigung.

Die Idee eines Internationalen Frauenfriedenskongresses klingt dennoch ziemlich verwegen. Wieso fand er in Den Haag statt?

Zunächst sollte ein Kongress für Frauenstimmrecht in Berlin stattfinden, aber der wurde abgesagt, weil der Deutsche Frauenbund in sich gespalten war. Viele Frauen haben gesagt, ihr seid doch bekloppt, wir müssen jetzt unsere Ehemänner und Söhne unterstützen, euer Pazifismus ist naiv! Lida Gustava Heymann und Anita Augspurg lebten damals in München und fanden die Kriegseuphorie in der Stadt so furchtbar, dass sie unbedingt etwas unternehmen wollten. Sie kamen dann in Kontakt mit Aletta Jacobs, einer niederländischen Frauenrechtlerin, die ihnen anbot, die Ausrichtung des Kongresses zu übernehmen.

Es war dann nicht leicht, die Frauen aus verschiedenen Ländern zusammenzutrommeln.

Weil sie auch von allen Seiten Gegenwind bekamen. Die britische Regierung wollte den Frauen nicht erlauben, nach Den Haag zu reisen, was aber auch zeigt, dass sie diesen Kongress sehr ernst genommen haben. Belgien meinte, dass es nach den Gräueltaten der Deutschen in ihrem Land nicht möglich sei, sich mit denen an einen Tisch zu setzen. Letztlich sind aber doch fünf Belgierinnen angereist.

Wie viele Teilnehmer*innen waren es insgesamt? Die Zahlen schwanken zwischen 1100 und 1500.

Es gibt eine Riesenliste mit Namen und Adressen. Da aber nicht ganz klar ist, ob es alle nach Den Haag geschafft haben und es spontane Tagesgäste gab, schwirren verschiedene Zahlen herum. Letztlich waren es wohl um die 1500 Frauen aus 16 Ländern.

Einige Resolutionen kommen einem heute bekannt vor, weil sie US-Präsident Woodrow Wilson 1918 in seinen 14-Punkte-Plan für eine Friedensordnung nach dem Ersten Weltkrieg einfließen ließ.

Es ist auch historisch verbürgt, dass er die Resolutionen gelesen hat und gerade die Formulierungen zu außenpolitischen Themen für die besten hielt, die diesbezüglich jemals verfasst worden waren. Resolutionen aber wie jene, in der Vergewaltigung als Kriegswaffe verurteilt wird, all das, was mit Frauenrechten zu tun hat, wurde von ihm gedanklich weggestrichen. Den Rest aber hat er für seinen 14-Punkte-Plan übernommen und wurde später dafür gefeiert. Ich selbst habe in der Schule nie etwas von dem Kongress gehört. Das ist schon interessant, wer Geschichte schreibt und als relevant gilt.

Insofern hat diese Produktion den Auftrag, das Vergessene ins Bewusstsein zu holen.

Was ich super finde. Es gibt zum Beispiel auch ein Buch von Hope Bridges, einer Britin, die als erste praktizierende Ärztin und Gynäkologin in München gearbeitet hat. In dem Buch beschreibt sie detailliert die weiblichen Geschlechtsorgane. Da fragt man sich, wie weit wir heute wohl schon wären, wenn dieses Buch nicht nach seiner Veröffentlichung schnell von der Bildfläche verschwunden wäre.

Was Frauenrechte insgesamt angeht, gibt es heute…

…noch viel zu tun. Lida Gustava Heymann hat mal gesagt, lasst uns diese "schlauerfundene" Einteilung in männliche und weibliche Eigenschaften abschaffen. In diesem binären Denken, das für mich überhaupt keinen Sinn macht, stecken aber heute viele Menschen noch drin.

Als Sie sich für die Kammerspiele beworben haben, wird Ihnen vermutlich klar gewesen sein, dass Sie weniger klassische Rollen spielen, sondern eher Teil von Projekten wie diesem sein werden.

Ich habe vorher in Salzburg am Mozarteum Schauspiel studiert, dort haben wir uns auch mit Stückentwicklungen und Performance auseinandergesetzt. Ich mag das sehr gerne, wenn alle an einem kreativen Prozess beteiligt sind. An den Kammerspielen findet sich aber doch auch eine Vielfalt an Theaterformen, darunter auch rollenbezogene Inszenierungen wie "Nora" oder "A scheene Leich".

Sie sind noch vor dem Ende Ihrer Schauspielausbildung an den Kammerspielen Ensemblemitglied geworden, einem Haus, das zuletzt 56 Prozent Auslastung hatte, und landeten prompt im Paralleluniversum eines Stückes mit Gerhard Polt, das ständig ausverkauft ist.

Das ist schon ein bisschen verrückt. Ich bin aber sehr hoffnungsvoll, dass die Leute wieder mehr ins Theater gehen werden. Ich glaube, wir alle müssen wieder etwas zuversichtlicher werden. Nach den Aufführungen von "A scheene Leich" komme ich manchmal mit Zuschauer*innen ins Gespräch. Die sagen mir dann, ach, man kann ja sonst gar nichts mehr anschauen! Wenn ich dann aber nachfrage, wann sie vor dem Polt das letzte Mal im Theater waren, heißt es oft, ja, ist schon ein paar Jährchen her! Im Theater müssen sich nun mal die Dinge verändern. Ich finde, Veränderung ist etwas Schönes. Man sollte dem Neuen eine Chance geben. Das kann nämlich auch sehr viel Spaß machen.

Schauspielhaus der Kammerspiele, 31.3, 1.4., 20 Uhr, Karten unter Telefon 233 966 00