Kultur

Das Ende kann warten

Gerhard Polt und die Well-Brüder mit ihrer Erblastkomödie"A scheene Leich" in den Kammerspielen


Gerhart Polt (links) und Stefan Merki.

Gerhart Polt (links) und Stefan Merki.

Von Michael Stadler

Alles hat ein Ende, nur die Wurst hat zwei. Auch dieses Lied huscht an diesem Abend kurz am Ohr vorbei, ja, dem Tod ist unsere Lebenslust halt wurscht. Umso bereitwilliger gibt man sich der Illusion hin, dass manche Dinge doch kein Ende haben. Zum Beispiel, dass auf der Bühne der Kammerspiele Gerhard Polt mit den Well-Brüdern auftritt, so, wie sie es in den letzten vierzig Jahren getan haben, über verschiedene Intendanzen hinweg, mit einer Beständigkeit und Heiterkeit, die zumindest vorübergehend alle Vergänglichkeit vergessen machte.

Kein Wunder also, dass sich im Foyer der Kammerspiele ein vornehmlich junggebliebenes, vereinzelt tatsächlich junges Publikum tummelt, darunter Campino von den Toten Hosen und Oberbürgermeister Dieter Reiter. Wie Fruchtfliegen um ein noch frisches Stück Fleisch schwirren sie da herum. Es ist ein Publikum, das sicherlich schon einige Polt-Well-Abende gesehen hat und vermutlich derzeit nicht mehr allzu oft ins Theater geht. Die Auslastung der Kammerspiele betrug zuletzt rund 60 Prozent; Polt und die Wells sorgen für den nötigen Aufschwung: Die nächsten Aufführungen sind bereits ausverkauft.

An diesem Abend geht es eben nicht um diverse, queere, feministische Ansätze, sondern um ein Wiedersehen mit guten alten Bekannten, die komödiantisch-satirische Unterhaltung mit viel Musik garantieren. Was sie dieses Mal thematisch anbieten, ist jedoch genau das, was man eigentlich verdrängen wollte: die Vergänglichkeit, den Tod. "A scheene Leich" lautet der Titel der Inszenierung, womit nicht eine fesche Leiche gemeint ist, sondern die Leichenfeier, die in dem Moment schön wird, wenn die Lebensfreude sich wieder durchsetzt. Nicht mehr todestrunken sind die Trauergäste dann, sondern besoffen. Am Ende wird Polt dementsprechend ein Bier aufmachen.

Am Anfang steht er hingegen in hochgewachsener Melancholie, glatzert und dickbrillig, auf der dunklen, noch leeren Bühne; neben ihm Stefan Merki, ebenfalls auf steinalt getrimmt, im Rollstuhl sitzend.

Als Bestattungsunternehmer Pius Brenner grummelt Polt am Rande der Unverständlichkeit davon, wie er, Pius, als Bub erstmals eine Leiche sah, in deren geöffneten Mund eine Fruchtfliege flog. Reges Insektenleben im Schlund des Todes - das bringt die Gegensätze des Daseins in einem herrlich ekligen Bild zusammen und war die Initialzündung für Pius, eines Tages mit der Sterblichkeit sein Geschäft zu machen. Nun segnet der Eigentümer der "Pietas Ruhe GmbH & Co KG" aber selbst das Zeitliche.

Wie sein Nachfolger, ebenfalls gespielt von Polt, das Unternehmen oben im Funeralistenranking halten will, wird zu einem der losen roten Fäden des Abends, der keine Nummernrevue sein will, aber im Wechsel von Musikeinlagen, solistischen Momenten und einigen Gemeinschaftsszenen letztlich genau das ist.

Dass nicht der Eindruck von Stückwerk entsteht, ist wohl vor allem dem Schweizer Regisseur Ruedi Häusermann zu verdanken. Als Neuzugang im bewährten Team taktet er die Szenen mit sicherem Rhythmusgefühl, bringt sie in einen eleganten Fluss und setzt selbst ein paar schräge Noten. So fügt er zum Beispiel das Schleifgeräusch von Stühlen in den Soundtrack des Abends ein, der ansonsten von Karli, Michael und Stofferl Well bestimmt wird. Teilweise greifen die Brüder auf eigene Lieder zurück oder dichten andere Klassiker um, von Chaplins "Nonsense-Song" aus "Modern Times" bis hin zu Hits der Comedian Harmonists: "Ein Heim, ein gutes Heim, das ist das Beste, was es gibt auf der Welt…"

Zu einer Bandbreite von bravourös gespielten Instrumenten wird gesungen und gestanzelt bis hin zum Rap, wenn die Well-Brüder nicht gerade aus ihrem Erinnerungsschatz als Begräbnis-Band auf dem Land schöpfen.

Immer wieder setzt Häusermann einzelne Führungspersonen in heiteren Kontrast zu brav gehorchenden Gruppen; sei es, dass Stofferl Wells mit einem Laienchor Mendelssohns "Abschied vom Walde" für das Brenner-Begräbnis einstudiert oder Nekro-Manager Polt das Wissen seiner Angestellten hinsichtlich verschiedener Urnen-Designs abklopft. Zu den kleinen, bösen Freuden gehört es, wenn er nebenbei einen Untergebenen zusammenscheißt. Der bayerische Grant ist ja auch vom Aussterben bedroht.

Einige Laiendarstellerinnen und -darsteller bilden das dienstfertige Kollektiv, das durch Verschieben bemalter Prospekte (Bühnenbild: Christl Wein-Engel und Häusermann) den Raum verändert. Stefan Merki und Maren Solty aus dem Ensemble der Kammerspiele mischen in der Gruppe mit, konturieren zudem in Monologen einzelne Figuren. So spielt Solty sowohl die Ex-Frau Brenners, die sich um ihr Erbe betrogen fühlt, als auch die neue junge Geliebte, die als Alleinerbin schon mal plant, das gesamte Mobiliar auf eBay zu verschachern. Als rollstuhlfahrender Herr Sabo gibt Stefan Merki das bejammernswerte Beispiel eines alten Heimbewohners ab, der von einigen Missständen in der Pflege zu berichten weiß.

Der Skandal um das Pflegeheim in Schliersee, das wegen Hygienemängel und mehrerer Todesfälle 2021 schließen musste, bildet eine tragische Folie des Abends. Wie die Alten in Heimen und vom Nachwuchs vernachlässigt werden, wie die menschliche Würde aufs Spiel gesetzt wird, weil Profitdenken die Pflege und die, hier gleich angedockte, Bestattung durchdringt, prangert der Abend eindrücklich an, wobei Polt weiterhin jene verkörpert, die es mit der Moral nicht so haben.

Die satirische Dichte früherer Tage mag sich nicht ganz einstellen, aber ein paar Pointen zünden und man schaut allein schon deswegen begeistert zu, weil da vorne Polt und die Well-Brüder stehen. Dazu Merki und Solty, ein toll singender Chor und eine Regie, die sanfte Akzente setzt.

Wenn Polt alleine an die Rampe tritt und über das Erinnern, Erinnerungslücken oder Erblasten philosophiert, ist man ganz bei ihm und bei sich selbst. Denn frühere Polt-Well-Auftritte lagern im Gedächtnis, mitsamt all dem, was damals sonst noch so war. Gegen Ende isst Polt als einziger Gast beim Leichenschmaus eine Suppe. Er löffelt und löffelt. Ach, könnte es doch ewig so weitergehen.

Kammerspiele, die nächsten Termine im Februar sind allesamt ausverkauftWeitere Termine kommen im März, siehe www.muenchner-kammerspiele.de