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Filmfest Venedig: Delikate Angelegenheiten


"La Vérité" von Regisseur Hirokazu Koreeda mit Catherine Deneuve (l) und Juliette Binoche eröffnet die 76. Internationalen Filmfestspiele in Venedig.

"La Vérité" von Regisseur Hirokazu Koreeda mit Catherine Deneuve (l) und Juliette Binoche eröffnet die 76. Internationalen Filmfestspiele in Venedig.

Von Anne Hund / Stadtviertel

Die Filmauswahl der diesjährigen Festspiele von Venedig verspricht alles, was ein Festival auszeichnet - politische Filme, viel Starglamour und mehr als eine Kontroverse.

Europa ist anders - zumindest ein bisschen. In Amerika jedenfalls hat der Verleih Amazon Woody Allen klar gemacht, seine neue Komödie nicht mehr herauszubringen nach der nie bewiesenen Daueranschuldigung wegen sexueller Übergriffe vor über 25 Jahren. In Italien solidarisierten sich dagegen sofort Intellektuelle und bekannte Filmkritiker mit Allen, und in Italien und ganz Europa wird der Film auch ab Herbst starten. Was hätte also näher gelegen, als die Weltpremiere mit dem Jungstar Timothée Chalamet sowie Elle Fanning, Selena Gomez und Jude Law am Lido zu haben?

Viele Woody-Filme wurden hier schon gezeigt, und Allen dreht sogar gerade in Spanien sein aktuelles Sommerprojekt. Auch besitzt er - noch näher - einen verwunschenen Palazzo hier am Canal Grande. Dass "A Rainy Day in New York" aber die 76. Filmbiennale unter hiesigen tropischen Temperaturen heute nicht eröffnet, liegt an der klimatischen Abkühlung durch die #MeToo-Bewegung.

Diskussion um den Woody-Allen-Film

Die Diskussion um den Allen-Film wäre in Italien aber vielleicht nicht noch einmal im Vorfeld der Filmbiennale so hochgekocht, wenn nicht ausgerechnet die Moderatorin der Eröffnungsgala, Alessandra Mastronardi, in einem Interview in der Tageszeitung "La Repubblica" genau das beklagt hätte: die Feigheit, Allen nicht einzuladen: "Ich finde das eine delikate Angelegenheit und ich werde mir den Film jedenfalls im Kino anschauen!", sagte die 33-jährige Schauspielerin, die mit Allen schon "To Rome with Love" gedreht hat.

Festivaldirektor Alberto Barbera musste sich im Vorfeld aber noch weitere Ohrfeigen gefallen lassen. Wie zum Beispiel die Frage: Warum in politisch korrekten Zeiten nur zwei Regisseurinnen (aus Saudi Arabien und Australien) im Wettbewerb mit 21 Filmen vertreten sind? Barbera, ein gelassener, eleganter Italiener, der nichts von Quoten hält, ist kein Zyniker, sonst hätte er antworten können: Aber meine Damen, es gibt eine Steigerung von 100 Prozent! Denn im vergangenen Jahr hatte nur eine einzige Regisseurin um den Goldenen Löwen gekämpft.

Polanskis Film "J'accuse" eröffnet zentrales Festivalwochenende

Bei aller Aufregung, gibt es auch noch die "Causa Polanski". Sein Film "J'accuse" (nach dem Roman "Intrige" von Robert Harris) eröffnet das zentrale Festivalwochenende, was ebenfalls Protest hervorrief. Schließlich gibt es einen US-Haftbefehl gegen den 86-Jährigen, weil er Mitte der 70er Jahre Sex mit einer 13-Jährigen hatte.

Ob Polanski, der also von seinem Schweizer Exil aus für den Lido "freies Geleit" bräuchte, wirklich kommt? Seine Frau und Schauspielerin Emmanuelle Seigner und Louis Garrel jedenfalls werden im Palazzo del Cinema erwartet sowie Jean Dujardin, der den französischen General Alfred Dreyfus spielt, der in der nationalistischen Hysterie des späten 19. Jahrhunderts einer antisemitischen Intrige zum Opfer fällt.

Bei soviel schmutziger Wäsche kann man der Eröffnungsgala heute Abend entspannter entgegen sehen. Obwohl: Ausgerechnet Catherine Deneuve hat ja genervt von der #MeToo-Debatte etwas überspitzt ein "Recht der Frau auf sexuelle Belästigung" angemahnt. Jetzt darf die französische Filmdiva genau die Rolle einer Filmgöttin im Eröffnungsfilm "La Verité" spielen - neben Juliette Binoche und Ludivine Sagnier.

Hirokazu Koreeda - Regisseur des Eröffnungsfilms

Und auch wenn noch Ethan Hawke dabei ist, fällt auf: Soviel französische Starpower zur Eröffnung der Mostra Internationale d' Arte Cinematografica ist ein witziges Winken vom Lido an die Cote d'Azur, also Richtung Cannes, dem wichtigsten Filmfestival der Welt, dem Venedig seit einigen Jahren dicht auf den Fersen ist.

Immerhin konnte sich Venedig als erste große Bühne für mögliche Oscarkandidaten etablieren - viele Filme, die in Vorjahren auf dem Lido Weltpremiere feierten, gewannen später Oscars, darunter "Roma", "La La Land" und "Shape of Water".

Dazu passt auch, dass der Regisseur des Eröffnungsfilms der Japaner Hirokazu Koreeda ist, der mit "Shoplifters" letztes Jahr die Goldene Palme in Frankreich gewonnen hat und jetzt "die Herausforderung gesucht hat, zum ersten Mal im Ausland und in einer ihm fremden Sprache zu drehen - mit Schauspielern, von denen man sonst nur träumen kann", wie er selbst sagt.

Stardichte am Lido - Cannes könnte blass werden

Und was die diesjährige Stardichte am Lido anbelangt, könnte Cannes ohnehin blass werden. Denn neben den bereits Erwähnten werden noch Penélope Cruz, Gael García Bernal, Scarlett Johansson, Adam Driver, Brad Pitt, Tommy Lee Jones, Donald Sutherland, Johnny Depp, Harvey Keitel, Joaquin Phoenix und Robert De Niro und sogar Meryl Streep erwartet.

Und Jungstar Timothée Chalamet, der für "Call Me By Your Name" schon Oscar-nominiert war, kommt auch auf den Lido, um außer Konkurrenz seinen Film "The King" vorzustellen. Ach ja, die Hauptrolle in Woody Allen Film "A Rainy Day in New York" hat er ja auch gespielt.

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