Bayerische Staatsoper

Der Bartók-Abend "Judith" von und mit Katie Mitchell und Oksana Lyniv


Der Bartók-Doppelabend "Judith" von Katie Mitchell im Nationaltheater.

Der Bartók-Doppelabend "Judith" von Katie Mitchell im Nationaltheater.

Von Robert Braunmüller / TV/Medien

Belá Bartóks Einakter "Herzog Blaubarts Burg" und das Konzert für Orchester als Thriller von Katie Mitchell und Oksana Lyniv.

Die Münchner gelten als konservativ und auf Berühmtheiten versessen. Orchestermanager erzählen gerne, welche Schliche angewandt werden müssen, um dem Publikum dieser Stadt die Musik von Béla Bartók unterzujubeln. Es mag daher überraschen, dass der Doppelabend "Judith" mit dem Konzert für Orchester und dem Einakter "Herzog Blaubarts Burg" im Nationaltheater heftiger beklatscht wurde als Anna Netrebkos luxuriöses "Turandot"-Debüt in der gleichen Woche.

Aber der Erfolg dieser Premiere kommt nicht von ungefähr. Die pausenlose Synthese beider Werke durch die Regisseurin Katie Mitchell erweist sich als ungewöhnlich schlüssig. Das Medium Film (Co-Regie: Grant Gee) setzt ihre Inszenierung vergleichsweise konventionell ein: nicht mit Live-Kameras und auch nicht in einer Videokunstästhetik, sondern auf den ersten Blick auch wie in einem kommerziellen Thriller. Aber eben nur auf den ersten Blick.

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Der Bartók-Doppelabend "Judith" von Katie Mitchell im Nationaltheater.

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Der Bartók-Doppelabend "Judith" von Katie Mitchell im Nationaltheater.

Blondinen bevorzugt

Zuerst ist das Nationaltheater ein Großkino mit Live-Musik. Erzählt wird die Vorgeschichte der Oper, allerdings - und das ist der Reiz - auf Umwegen und über Nebenfiguren. Ein weitgehend unsichtbar bleibender Mann bucht ältere Damen für erotische Abenteuer. Sein Komplize - gespielt vom auf dem Besetzungszettel nicht genannten, in England vor allem mit Beckett-Rollen hervorgetretenen Schauspieler Conor Lovett - präpariert eine Mineralwasserflasche mit einem Betäubungsmittel und verlötet sie später wieder säuberlich. Dann holt er eine der Damen ab, die sich verabredungsgemäß eine blonde Perücke überzieht und anschließend auf einem Seziertisch landet, wo ihr die Fingernägel lackiert werden.

Dazu erklingt aus dem Orchestergraben das Konzert für Orchester. Die meisten Interpreten meinen, man müsse bei diesem 1943 für das Boston Symphony Orchestra komponierte Werk unbedingt die amerikanische Orchestervirtuosität mit auftrumpfendem Blech nachahmen. Die straff dirigierende, das Rhythmische schärfende Dirigentin Oksana Lyniv gehört nicht dazu: Sie betont das Schroffe, Aufgerauhte dieser Musik und ihre tiefe Traurigkeit.
Das hat nichts mit einer vordergründig die Bilder verdoppelnden Filmmusik zu tun, weil Bartóks Musik und die psychischen Abgründe der Bilder von Katie Mitchell sich komplementär ergänzen.

Judith ermittelt undercover

Die Hauptperson erscheint erst gegen Ende des Konzerts für Orchester. Eine am Computer recherchierende Polizistin nimmt die Spur der vermissten Frauen auf. Sie entschließt sich zu einem Undercover-Einsatz, wobei die letzte Steigerung der Musik sehr geschickt mit der schneller geschnittenen Fahrt zu Blaubarts Haus zusammenfällt. Dann verschwindet die Leinwand und wir befinden uns in der Burg mit den sieben verschlossenen Zimmern, die nun als Wandeldekoration nacheinander vorbeiziehen.

Oksana Lyniv und das Staatsorchester untermalen die Ermittlungen Judiths mit Bartóks gedeckten Klängen, die in sieben Miniatur-Tondichtungen Debussy mit Richard Strauss zusammenbringen. Obwohl Mitchell auf der Bühne realistisch erzählt, verzichtet ihre Inszenierung auf jede billige Psychologie. Warum Blaubart blonde Frauen liebt und was es mit seiner erotischen Fixierung auf Fingernägel und Kreuzchen-Anhänger auf sich hat, bleibt gänzlich unerklärt.

Eine Glückssträhne

Mitchell nähert sich auf diese Weise wieder dem statischen Symbolismus der Oper an, die ebenfalls auf Erklärungen verzichtet. Auch der Film nähert sich den Figuren nur auf Umwegen. Das alles funktioniert auch dank der beiden Sänger bestens. Nina Stemme hat den für eine Opernsängerin ungewöhnlichen Mut, im Film ohne jede Beschönigung eine ältere Polizistin mit Augenringen zu spielen. Der Lapidarstil der Musik passt hervorragend zu ihrer hochdramatischen Stimme. Gleiches gilt für John Lundgren und seinen bassigen Heldenbariton, der bei anderen Partien unbeweglich wirkt, was hier jedoch zur Glaubwürdigkeit der Figur beträgt.

Natürlich betont die Inszenierung gegenüber der Vorlage die Stärke Judiths, vor allem am überraschenden Ende, wenn Blaubart die Verkabelung der Ermittlerin entdeckt und Nina Stemme plötzlich eine Pistole in der Hand hält. Man mag den einschließlich einer Dirigentin und des neuen Titels "Judith" perfekt komponierten Abend feministisch nennen. Aber das drängt sich keinesfalls auf, weil alles musikalisch wie szenisch aus der Vorlage entwickelt ist. Dieser rundum geglückte von allen Konzessionen an die graue Opernnormalität freie Abend setzt die Glückssträhne der Bayerischen Staatsoper nach der "Toten Stadt" und "The Snow Queen" fort. Möge sie ewig währen.

Wieder am 4., 7., 9., 13. und 16. Februar sowie am 27. und 29. Juni im Nationaltheater. Restkarten online oder unter Telefon 2185 1920. Die Vorstellung vom 7. Februar wird auf staatsoper.tv ab 18.30 Uhr als Livestream übertragen

Lesen Sie auch unser Interview mit der Dirigentin Oksana Lyniv