Kultur

Das Unerwartete

Die Accademia di Santa Cecilia unter Antonio Pappano in der Isarphilharmonie


Das perfekte Duo: Antonio Pappano (rechts) mit dem Pianisten Víkingur Ólafsson in der Isarphilharmonie.

Das perfekte Duo: Antonio Pappano (rechts) mit dem Pianisten Víkingur Ólafsson in der Isarphilharmonie.

Von Robbert Braunmüller

Es ist eine Binsenweisheit, dass die gründliche Beschäftigung mit einem oft gespielten Werk überraschend Neues zu Tage fördern kann. Trotzdem kann man die Tage, an denen Orchester die Wege der gewohnten Routine verlassen, jährlich an den zehn Fingern abzählen, ehe sie im Kalender rot eingetragen werden.

Am Dienstag war in der Isarphilharmonie so ein Tag. Antonio Pappano drängte das Orchestra dell'Accademia Nazionale di Santa Cecilia Roma so forsch in den ersten Satz der Symphonie classique von Sergej Prokofjew hinein, dass es ein wenig wackelte. Aber rasch klärte sich das Bild: Normalerweise unterschlagene Nebenstimmen traten hervor, die Musik gewann an Transparenz. Pappano trieb dem Stück seine Behäbigkeit aus und schärfte seinen ironischen Blick auf die Tradition.

Viele Besucher hatten sich auf ein Wiedersehen mit Martha Argerich bei Maurice Ravels Klavierkonzert gefreut. Doch sie erkrankte, Víkingur Ólafsson sprang für sie ein, und mehr als das: Die Sicht des kalt und virtuos spielenden Isländers passte ideal zu Pappanos Gründlichkeit. Das der "Rhapsody in Blue" vergleichbare Konzert verträgt ebenfalls ein Plus an Präzision.

Bei aller Rasanz wurden auch hier Details der Instrumentierung hörbar. Pappano holte aus dem Schluss des ersten Satzes ein offenbachsches Höllenlachen heraus, Ólafsson spielte mit messerscharfer Rasanz und maschinenhafter Kühle. Das Adagio assai sentimentalisierte er nicht: Es blieb ein kubistisch abstrahierter Mozart. Dann stürzte er sich in das rasante Perpetuum mobile des Finales.

Bei der Symphonie Nr. 5 von Jean Sibelius funktionierte Pappanos Ansatz nicht ganz so gut. Der Dirigent verzichtete auf das große nordische Breitwand-Sentiment, das dem Orchester ohnehin nicht gegeben ist.

Der Zerfall der Form, das Zerklüftete, teilweise auch Ziellose der Musik rückte in den Vordergrund. Das ist zwar ein zwingender Ansatz. Aber der Musik fehlte hier - nach den selbst gesetzten Maßstäben des ersten Teils - eine letzte Trennschärfe. Auch die finale Steigerung und ihr abruptes Ende gelang wohl nicht ganz so eisig wie beabsichtig.

Das kann passieren. Die Gastspiele Pappanos und seiner Römer bleiben trotzdem ein Fixpunkt im Münchner Konzertkalender. Da passiert immer etwas im besten Sinn Unerwartetes: Genau das, was den Kern von Musik ausmacht.

Überraschend - das am Rande - auch der Umgang mit den Blumen: Víkingur Ólafsson gab seinen Strauß nicht wie üblich an eine Musikerin weiter, sondern an eine Dame in der ersten Reihe. Sir Antonio fühlte sich da als Gentleman herausgefordert: Auch seine Blumen fanden am Ende des Konzerts eine neue Besitzerin im Parkett.

Im März erscheint bei Warner eine Aufnahme von Giacomo Puccinis Oper "Turandot" mit Pappano und der Accademia di Santa Cecilia. Die Hauptrollen singen Sondra Radvanovsky und Jonas Kaufmann