Kultur

Damiano Michieletto über "Aida"

Der Italiener inszeniert Verdis Monumental-Oper im Nationaltheater


Elena Stikhina als "Aida" allein und verlassen auf der von Paolo Fantinentworfenen Bühne, die sich langsam mit Sand füllt.

Elena Stikhina als "Aida" allein und verlassen auf der von Paolo Fantinentworfenen Bühne, die sich langsam mit Sand füllt.

Von Robert Braunmüller

Bei diesem Werk kommt es naturgemäß zu Enttäuschungen. Traditionalisten erwarten bei "Aida" historisches Dekor, Modernisten fürchten edle Langeweile, wie sie sich in den beiden Vorgänger-Inszenierungen im Nationaltheater breitmachte. Der Italiener Damiano Michieletto wagt den Versuch einer Neuinszenierung, Daniele Rustioni dirigiert, die Hauptrollen singen Elena Stikhina (Aida), Anita Rachvelishvili (Amneris) und Brian Jagde (Radamès). Premiere ist heute um 19 Uhr im Nationaltheater.

AZ: Herr Michelietto, noch in jedem Interview über Verdis "Aida", das ich selbst mit Regisseuren oder Dirigenten geführt oder gelesen habe, wurde behauptet, die Oper sei in Wahrheit ein "Kammerspiel". Erzählen Sie mir das jetzt auch?

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Der italienische Regisseur Damiano Michieletto

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Verdis "Aida" im Nationaltheater.

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Verdis "Aida" im Nationaltheater.

DAMIANO MICHELIETTO: Nein. "Aida" verbindet zwei Ebenen. Die Oper erzählt von privaten, intimen Beziehungen in einem großen, monumentalen Rahmen, und zwar szenisch wie musikalisch. Beides bedingt sich wechselseitig. Und das macht es für den Regisseur nicht einfach.

Worin besteht das Kammerspiel?

Es ist eine Liebesgeschichte, in die familiäre Beziehungen hineinspielen. Wie in fast jeder Oper Verdis gibt es einen Vater, der die Liebe zerstört: Hier ist es Aidas Vater Amonasro: Er droht seiner Tochter mit Liebesentzug und zwingt sie, ihrem Geliebten Radamès ein militärisches Geheimnis zu entlocken, das ihn zum Verräter macht.

Es gibt noch einen zweiten Vater, den König. Aber er bleibt blass. Doch der Oberpriester Ramfis hat etwas von einem strafenden Vater.

In meiner Inszenierung ist er keine Vaterfigur, sondern eine Art Gegenspieler zu Radamès. Die Priester bilden eine Opposition zum König, sie und Ramfis verlangen die Tötung der Gefangenen. In meiner Sicht wäre er gerne selbst Radamès oder gar der König. Und Schritt für Schritt erreicht er bei mir auch sein Ziel und heiratet Amneris, die Tochter des Königs. Bei mir ist er der manipulierende Bösewicht.

Jede Inszenierung von "Aida" ist ein Himmelfahrtskommando, weil man es nie allen wirklich recht machen kann.

Da ist schon was dran. "Aida" wurde für einen repräsentativen Anlass komponiert: die Eröffnung des Suez-Kanals. Ein vergleichbarer heutiger Auftrag wäre die Eröffnung der Olympischen Spiele, die größte Monumental-Show der Welt. Ismail Pascha, der Vize-König von Ägypten wollte etwas Spektakuläres, und das war damals eine Oper im Stil der französischen Grand Opéra mit historischem Stoff und pompöser, historisch korrekter Ausstattung. Deshalb entwarf der Archäologe Auguste Mariette, der Gründer des Ägyptischen Museums in Kairo, die Grundzüge der Handlung.

Auch die Ausstattung der Uraufführung wurde in Paris bestellt.

Verdi war nie in Ägypten, er reiste auch nicht zur Uraufführung. Ihn interessierte das Historische auch nicht besonders. Aber er lieferte, was bestellt wurde, und er bekam das wohl höchste Honorar, das jemals für eine Oper bezahlt wurde. Die Umstände der Entstehung sind aber für die heutige Aufführung unwichtig, und es ist besser, zum Kern der Geschichte zurückzukehren.

Worin besteht er für Sie?

Es geht um eine Frau, die einen Mann liebt, der aus politischen Gründen ihr Feind sein müsste. Die Geschichte hat etwas von Romeo und Julia. Daher habe ich versucht, die Handlung in einem Raum zu versetzen, in der man den Krieg zwar ahnt, obwohl er außerhalb dieses Raums stattfindet.

Wie muss man sich das vorstellen?

Wenn der Bote im ersten Akt auftritt und vom Überfall der Äthiopier berichtet, trägt er ein totes Kind mit sich. Man sieht die Mutter und ihr Leid.

Tote Kinder wurden schon sehr oft für Kriegspropaganda missbraucht. Das könnte man missverstehen.

Die Propaganda kommt erst später, beim Triumphmarsch. Die Leute wollen die Sieger ehren, aber die Soldaten kehren psychisch zerstört zurück. Mir geht es darum, nicht den Krieg zu zeigen, sondern seine Wirkung auf die Menschen.

Ein Problem traditioneller Inszenierungen ist das Blackfacing bei Aida und der koloniale Blick auf den Orient.

Beides ist verzichtbar. Es ist unnötig, den Konflikt zwischen Ägyptern und Äthiopiern durch die unterschiedliche Hautfarbe zu betonen. Das lässt sich ohne Schaden auch als eine Art Bürgerkrieg erzählen. Daher habe ich mich auch für einen Einheitsraum entschieden, in dem auch die Erinnerungen Aidas an ihre Heimat ihren Platz haben. Dieser Ort einstigen Glücks ist zerstört. Unsere Kostüme sind heutig und zugleich zeit- und ortlos.

Wo haben Sie "Aida" zum ersten Mal gesehen?

Ich kenne natürlich Fotos von traditionellen Inszenierungen wie der von Franco Zeffirelli und typischen Regietheater wie Peter Konwitschnys Grazer Produktion. Aber ich habe nie eine komplette Aufführung gesehen.

Premiere am 15. Mai, 19 Uhr im Nationaltheater, Restkarten. Liveübertragung im Hörfunk des BR-Klassik. Weitere Vorstellungen am 18., 21., 24., und 28. Mai und am 1. und 7. Juni sowie bei den Opernfestspielen. Karten unter: staatsoper.de