AZ-Filmkritik

"Colette": Schreibende Emanzipation


Keira Knightley als Schriftstellerin Sidonie-Gabrielle Colette.

Keira Knightley als Schriftstellerin Sidonie-Gabrielle Colette.

Von Michael Schleicher / Online

Keira Knightley überzeugt in "Colette" als Schriftstellerin, die lernt, ihren eigenen Weg zu gehen. Die AZ-Filmkritik.

Colette gehört zu den erfolgreichsten Schriftstellerinnen und schillerndsten Gestalten der französischen Literatur des 20. Jahrhunderts. Nun widmet sich der britische Regisseur Wash Westmoreland ("Still Alice") den frühen Jahren der Kulturikone, die nach ihrem Tod 1954 als erste Frau überhaupt in ihrem Heimatland ein Staatsbegräbnis erhielt.

Keira Knightley spielt die junge Sidonie-Gabrielle Claudine Colette und festigt damit ihren Ruf als geborene Kostümfilmdiva. In den ersten Filmminuten glaubt man sich in einer Jane-Austen-Verfilmung, auch wenn als Austragungsort Burgund angegeben wird: Ein bescheidenes Herrenhaus in der Provinz, im Salon ein schmucker Herr aus Paris, der mit den Eltern angestrengt Konversation betreibt und als potenzieller Ehekandidat für die bezaubernde Tochter gehandelt wird.

Colette: Mit dem Frauenhelden geht's an die Seine

Die Erziehungsberechtigten ahnen ja nicht, dass sich Colette und der deutlich ältere Henry Gauthier-Villars (Dominik West) schon seit geraumer Zeit nach den Aufwartungsbesuchen zum Schäferstündchen in einer nahe gelegenen Scheune treffen. In Paris genießt der Verleger den Ruf eines umtriebigen Frauenhelden. Dennoch heiraten die beiden. Colette zieht 1893 mit ihrem Ehemann an die Seine und wird von diesem in die illustre Kulturszene der Belle Epoque eingeführt. Henry betreibt einen Verlag, in dem er eine kleine Kompanie von Ghostwritern beschäftigt, deren Werke unter seinem Pseudonym "Willy" veröffentlicht werden.

Damit finanziert er mehr schlecht als recht seinen aufwendigen Lebensstil. Aber als die Schreibsklaven meutern, drängt er Colette doch zur Feder zu greifen und ihre Erfahrungen als Mädchen aus der Provinz im wilden Paris niederzuschreiben. Der erste Band "Claudine erwacht" wird zum Riesenerfolg so wie zahlreiche Nachfolgebücher, die allesamt unter Willys Namen veröffentlicht werden. Von der eigenen Kreativität berauscht macht Colette das falsche Spiel mit. Schließlich kann sich eine Frau im Paris der Jahrhundertwende wenig Chancen auf dem Literaturmarkt erhoffen. Zudem liebt sie Henry, der sich selbst, aber auch ihr alle Türen für außereheliche Vergnügungen offen hält.

Viele Freiheiten - Alles bleibt im ehelichen Toleranzbereich

Westmoreland tut gut daran, die im Kern ausbeuterische Beziehung nicht mit klassischen Unterdrückungsklischees zu belegen, sondern deren emotionale Komplexität zu erkunden. Anfangs scheint Colette nur dem Charisma des Salonlöwen zu erliegen, aber schon bald bewegt sie sich selbstbewusst durchs quirlige Pariser Kultur- und Partyleben und nimmt sich die gleichen Freiheiten, die für ihren Ehemann selbstverständlich sind. Die Unkonventionalität verbindet das Paar und als Colette sich auf sexueller Abenteuerreise in lesbischen Affären ausprobiert, bleibt auch das zunächst im ehelichen Toleranzbereich.

Aber irgendwann verweigert sie die schriftstellerischen Dienste und geht als Schauspielerin mit ihrer Freundin Missy (Denis Gough) - eine Adlige in Männeranzügen - auf Theatertour durch die französische Provinz, während Henry ohne ihre literarischen Lieferungen schon bald vor dem finanziellen Ruin steht.

Deswegen wird der Regisseur seiner Heldin nicht gerecht

Auch wenn man deutlich spürt, dass Westmoreland seinen Film an den Erwartungshaltungen der Gegenwart ausgerichtet hat, überzeugt "Colette" vor allem in der ambivalenten Darstellung des ehelichen Abhängigkeitsverhältnisses. Colette wird nicht als wehrloses Opfer patriarchaler Unterdrückung gezeichnet, sondern als junge Frau, die gerade durch die Reibungskräfte und Freiräume in der Beziehung reift - und schließlich über sie hinaus wächst. Knightley und West bringen die Lebensfreude, Streitlust, aber auch die tiefen Gräben, die in der Beziehung aufreißen, mit überzeugendem Charisma auf die Leinwand.

In der filmischen Auflösung klebt Wash Westmoreland jedoch zu sehr an den Genrevorschriften des Kostümfilms und wird mit seiner braven Erzählweise und einem allzu engen biografischen Zeitfenster der unkonventionellen Lebensführung seiner Heldin nicht gerecht.

K: Neues Arena, City, Leopold, Museum Lichtspiele (OV); R.: Wash Westmoreland (USA, GB 112 Min.)