Gürzenich-Orchester Köln

Beethoven im Konzert-Experiment


Das Gürzenich-Orchester Köln und sein Generalmusikdirektor François-Xavier Roth bei einer Probe vor dem Konzert im Prinzregententheater.

Das Gürzenich-Orchester Köln und sein Generalmusikdirektor François-Xavier Roth bei einer Probe vor dem Konzert im Prinzregententheater.

Von Robert Braunmüller / TV/Medien

Pierre-Laurent Aimard, François-Xavier Roth und das Kölner Gürzenich-Orchester mit Beethoven und Neuer Musik im Prinzregententheater

Die letzte Variation zerstäubt das Thema in Triller: als puren Klang. Um erfahrbar zu machen, wie Komponisten des 20. Jahrhunderts dieses Prinzip aus Ludwig van Beethovens op. 111 weitergedacht haben, spricht vieles dafür, den Schluss der letzten Sonate wegzulassen und in eine Klangflächenkomposition übergehen zu lassen. Wenn das Gürzenich-Orchester auf dem Podium sitzt, bietet sich dafür "Photoptosis" des Kölners Bernd Alois Zimmermann an, zumal in diesem Stück gegen Ende nach einer katastrophischen Ballung der Beginn des Finales aus Beethovens Neunter zitiert wird.

Mit dieser Konstellation dieser Werk endete die "Beethoven Akademie" mit Pianisten Pierre-Laurent Aimard und dem Gürzenich-Orchester unter seinem Generalmusikdirektor François-Xavier Roth im Prinzregententheater. Allerdings funktionierte nicht jede Konfrontation zwischen Beethoven und der Musik der letzten 50 Jahre gleich schlüssig. Der Zusammenhang zwischen dem als Raumklangstück gespielten Mondschein aus der Sonate Nr. 14 und dem vergleichsweise harmlosen "Tableau für Orchester" von Helmut Lachenmann stellte sich ebenso wenig her wie der Sprung von Beethovens Vierter ins Finale der Fünften mit einer kleinen Überleitung der Komponistin Isabel Mundry.

Krach aus der Stadtsparkasse

Nach der Pause begannen die Stücke miteinander zu sprechen. Dem Ausschnitt aus dem ersten Satz des Klavierkonzerts Nr. 5 antwortete die eigens für dieses Programm komponierte "Quasi una bagatella" für Klavier und Orchester von Francesco Filidei: ein´postmoderne Arabeske, die freundlich Beethovens nicht enden wollende Schlusswendungen parodiert und ein wenig Vogelgezwitscher aus Mundstücken hinzufügt.

Beethovens eigener, erheblich grimmigerer Humor kam dagegen nicht vor. Das Konzert widmete sich vor allem dem Pathetiker der ganz bekannten Werke. Dass der Gürzenich-Chef Roth durchaus eine Kapazität des historisch informierten Stils ist, war allenfalls am vibratolos strahlenden Klang der ersten Violinen im Allegretto der Siebten zu ahnen. Sonst ging es zwar transparent und anti-romantisch, aber mit einer Unlust am Leiseren auch ein wenig rustikal zu.

Nach "Photoptosis" verlieh ein älterer Herr seiner Meinung lautstark Ausdruck, dass es sich nur um Lärm gehandelt habe. Es wäre hochnäsig, ihn hier zu belehren, dass dieses Orchesterwerk bereits vor 51 Jahren von der fortschrittlichen Stadtsparkasse Gelsenkirchen anlässlich der Feier ihres 100-jährigen Bestehens in Auftrag gegeben wurde.

Aber der Zwischenruf verweist auf ein Problem dieses Konzerts: Es wurde frontal vom Podium herunter gespielt, ohne dass jemand zum Mikrofon gegriffen und ein paar Zusammenhänge erklärt hätte. Und man kann sich auch fragen, ob diese "Beethoven-Akademie" wirklich zum Image der Marke Hörtnagel passt, deren Kunden nun mal vor 40 Jahren oder noch früher beschlossen haben, die Musikgeschichte mit Béla Bartók für beendet zu erklären.

Mehr Experimente mit dem Format Konzert

Aber es war trotzdem richtig, dieses Konzert aus der Kölner Philharmonie ins Prinzregententheater zu holen. Wichtiger wie fünf Saalflüchtige und ein Zwischenrufer sind die 900 überwiegend älteren Besucher, die Neuer Musik interessiert zuhören, obwohl sie sich von einer "Beethoven-Akademie" womöglich etwas anderes erwartet haben. Und, noch wichtiger: Das Konzert bewies, dass es sehr wohl Alternativen zur gut abgehangenen Abfolge aus Ouvertüre, Solo-Konzert und Symphonie gibt.

Wer in München einen Haufen Steuergeld bekommt, weil er einen Bildungsauftrag wahrnimmt, darf Beethoven nicht nur durch ein routiniertes Weiter-So und noch eine Eroica als Museumsstück ehren. Wie man es anders, interessanter, gegenwärtiger und trotzdem mit einem bekannten Solisten machen kann, bewies dieser Abend, auch wenn es nicht restlos funktionierte.

Gar kein Risiko einzugehen und immer nur wie gewohnt weiterzuwursteln, ist die schlechtere Lösung.

François-Xavier Roth dirigiert das Räsonanz-Stifterkonzert der musiva viva am 23. Mai um 19 Uhr im Herkulessaal das Orchester Les Siècles mit Werken von Rameau, Manoury und Varèse. Karten von 12 bis 38 Euro bei BRticket unter Telefon 0800 5900 594