Gäubodenvolksfest Straubing

Blingbling-Dirndl und ganz schlimme Kreativdirndl


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Willkommen in den Achtzigern: Die Menschen trugen seltsame Gewänder, die neongelb waren, neongrün, lila oder rosa-pastell. Wie lebende Textmarker sahen sie aus. Besonders schlimm ist das bei Dirndln.

Möchten Sie wissen, wie Tradition im demografischen Wandel ausschaut? Im Krönner-Außenbereich sitzt vor einer Maß ein Freund, er ist schon leicht über Sechzig. Es ist ziemlich voll, kaum noch ein Platz, nur zufällig bei ihm. Da kommen zwei Mädchen daher, etwa zehn und zwölf Jahre, natürlich im Dirndl. Nicht diese überladenen Fun-Dirndl, an denen alles Blingbling macht, sondern richtige Dirndl. Überhaupt waren sie ziemlich stilsicher.

Die Frisur nicht offen, sondern geflochten, wie es beim Dirndl gehört. Aber nur eine hat die Schürzenschleife links, was angeblich bedeutet, dass man noch ledig ist. Sie schauen also suchend umher, und weil aber mein alter Freund im Grunde ein sogar sehr netter Mensch ist, sagt er zwei Sätze: „Da is no frei. Kennts eich scho hersetzn.“ Die Mädchen schauen leicht erschreckt; die eine sagt, dass sie nur nach einer Freundin suchen, sie gehen weiter. Und er hört noch genau, wie die eine zur anderen sagt: „Etz hosdas selber gsäng! I hob da ja glei gsagt, dassd d’Schürzn anders binden sollst! Weil a so spinnt di ja a jeder oide Depp o!“

Das, Leser, ist Tradition: Wissen, wie man etwas macht, wissen, warum man es macht, und das Gespür dafür, wo man es macht und wo nicht. Deshalb für dieses Mädchen: „Chapeau!“, und damit auf in den Dirndl-Streit: Wir leben nämlich voll in den Achtzigern, davon bin ich fest überzeugt. In den Achtzigern war das nämlich so: Die Menschen trugen seltsame Gewänder, die neongelb waren, neongrün, lila oder rosa pastell. Wie lebende Textmarker sahen sie aus. Und an diesen lebenden Textmarkern war viel Blingbling und Klimperklimper, je mehr Accessoires, desto besser: lebende Textmarker, die sich als Christbaum verkleidet haben. Ja, es gibt schlimme Fotos von damals, von jedem von uns.

Prinzessin Diana, Krystle Carrington, Bling

In den Achtzigern hat es zum Beispiel diese Puffärmel gegeben. Man weiß nicht warum, aber es hat sie gegeben, an Prinzessin Diana zum Beispiel. Und im ZDF kam jeden Mittwoch, 21 Uhr, Krystle Carrington und Alexis Colby, Stil-Ikonen des Denver-Clans: Die trugen immerzu Pailetten-Kostüme, glitzerglitzer, blingbling. Und wer in der Nena-Phase war, kam mit Leopardenleggins daher, und erinnern Sie sich an die Outfits von Thomas Gottschalk? Gnadenlos.

So sind damals alle durch jenes Jahrzehnt gelaufen, gnadenlos schrill, am Rande der ästhetischen Insolvenz. Keinem war damals klar, dass dieses Jahrzehnt eine einzige, große, modische Sackgasse war, außer, man war ein uncooler Spießer.

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Die kracherten Zeiten sind Gott sei Dank vorbei, wie diese vier Mädls mit ihren stilvollen Dirndln 2017 am Rande des Volksfests beweisen.

Wenn heute, was leider vorkommt, Töchtern oder Enkeltöchtern Fotos von damals in die Hände fallen, sagen sie deshalb: „Hä? Wie seids ihr denn da rumgelaufen? Habts ihr des freiwilllig gmacht?“ Dann muss man entweder still schweigen und beschämt das Haupt senken. Denn in der Tat: Wer würde heute noch freiwillig so herumlaufen wie Boy George in „Karma Chameleon“ 1983, oder wie Cindy Lauper in „Girls just want to to have fun“ im selben Jahr? Oder man erhebt sein Haupt trotzig und erwidert streng: „Schau dich doch selber o, Lausdeandl, frechs! Ihr laufts doch heut grad aso umeinander!“

Noch 2014 waren gefühlte acht von zehn Dirndln am Volksfest eine Art Wiedergänger der Achtziger Jahre: Durch einen Riss in der Zeit müssen sie ins frühe 21. Jahrhundert entkommen sein, vor etwa gut zehn Jahren muss das gewesen sein. Seither treiben sie jedes Jahr im August ihr untotes Unwesen, als Fun- und Blingbling-Dirndl, und vor allem auf unserem eigentlich immer noch schönen Volksfest.

„War das die offizielle Polyester-Parade?“

Wenn unsere Töchter und Enkeltöchter dereinst selbst Töchter und Enkeltöchter haben werden, werden sie gut daran tun, ihre Volksfest-Selfies aus diesen Jahren zu löschen. Denn: „Was war denn das?“, werden die Töchter und Enkeltöchter dereinst fassungslos fragen. „Organzaschürzen? In knallgelb und knallrot? Und Puffärmel und Carmenblusen? Und auch noch in Schwarz? Mama! Habts ihr des freiwillig gmacht?“ Über andere historische Dirndl-Fotos aus den Jahren bis 2015 werden sie spotten: „War des die offizielle Polyester-Parade? Und habts ihr echt Dirndl mit Reißverschluss ghabt?“ Und überall Rüschen, und Borten, und Zierknöpfe, und in den seltsamsten Farbkombinationen: „Meingott, Mama.“

Da waren diese Flamenco-Dirndl: rot mit schwarzen Punkten, Volksfest-Partydresscode im Hispanic-Style. Und alles durchzogen von glitzernden Lurex-Fäden, und durchsetzt mit Pailetten, damit das ganze Dirndl auch richtig Blingbling macht. Ja, tief ist hineingegriffen worden in das unerschöpfliche Füllhorn des Kitsches, und das Symbol für pure Lebensfreude der Dirndl-Trägerinnen war das Totenkopfmuster. Totenköpfe wurden zuletzt auf den Armbändern der Achtziger gesichtet.

„Fun-Dirndl“, haben es die einen genannt, „Augenkrebsdirndl“ die anderen. Die anderen waren natürlich uncoole Spießer. Dabei sind diese Dirndl eine Weiterentwicklung der Dirndltracht, sagen die Blingbling-Dirndldesignerinnen, und das kann man tatsächlich so sehen; man kann ja auch „Ein kleines Edelweiß“ vom Hansi Hinterseer als Weiterentwicklung der Volksmusik sehen, warum nicht? Immerhin kommt da „Hollero-dihi“ drin vor, noch besser geht ja Volksmusik gar nicht. Bei den Dirndln ist das genauso.

Kann es sein, dass sich der Riss in der Zeit schließt?

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Tradition ist modern: Die Achtziger Jahre sind vorbei. Dieses Paar trägt, 2017, Dirndl und Lederhose ganz ohne Neonfarben.

Außerdem ist eh alles Geschmacksache, und den macht partytechnisch RTL II. Deshalb haben diese Dirndl auch so etwas RTL-II-Haftes, so Carmen Geiss- und Micaela Schäfer-mäßig, oder wie die Stars des individualisierten Massengeschmacks alle heißen. Claudia Effenberg und Giulia Siegel waren mit bei den ersten, und jetzt treten die Geiss und die Schäfer auf dem Oktoberfest zum großen Blingbling-Contest an. Aber vorher sausen sie mit einem TV-Team zur Dirndl-Designerin, weil sie die Kreativität so bewundern. Und dann beschließen Millionen junger Frauen, dass sie Kreativität auch so bewundern und kaufen grüne Organzaschürzen mit schwarzen Carmenblusen und Totenkopf.

Im Fernsehen hat eine solche Designerin einmal gesagt, dass sie Dirndl liebt, aber langweilig findet. Und dass sie die Dirndl deshalb weiterentwickelt. Das ist interessant, weil es so ehrlich ist. „Schatz, ich hab dich echt total lieb, außerdem find ich dich langweilig“: noch ehrlicher kann doch eine Liebeserklärung nicht sein. Trotzdem ist da heuer irgendwie den Eindruck: Die Liebe zu Blingbling-Dirndln im Augenkrebs-Stil nimmt etwas ab. In den Trachtenläden beobachten sie den neuen Trend: „Weg von dem Glitzer, weg von dem Blingbling“, haben sie bei Pöllinger festgestellt, und in der Trachten-Lisa genauso.

„Die Jungen mögen jetzt ganz viel die traditionellen Stoffe“, hören wir dort, „mit alten Bauernmustern, grad die 20- bis 25-Jährigen gehen auf sowas voll ab.“ Kann es sein, dass sich der Riss in der Zeit jetzt endlich schließt? Kann es sein, dass die schrecklichen Achtziger Jahre jetzt auch im Dirndl-Bereich langsam zu Ende gehen? Dass endlich das Ende der untoten Dirndl-Wiedergänger naht? Das wäre schön.

Und wer hat die Komplimente bekommen?

Es laufen zwar immer noch etliche damit herum, aber das muss man verstehen. Nicht jede ist auf der Höhe der Zeit, nicht jede kauft jedes Jahr neu. Denn nicht jede hat acht, zwölf oder 20 Dirndl. Obwohl: Die meisten Straubingerinnen haben das schon. Das jedenfalls hat eine nicht repräsentative Umfrage in einem Friseursalon, auf dem Stadtplatz und im Bekanntenkreis ergeben. „Acht“, sagt die Dame auf dem Friseurstuhl, „20“, sagt die Friseurin. Und ihre Kollegin hat 15. Die meisten aber hat eine Bekannte, nämlich unglaubliche 46! Und wir reden hier nur über Dirndl, die passen! Kein Einziges davon macht Blingbling. Einmal ist sie mit einer Freundin aufs Volksfest, die hatte ein Blingbling-Dirndl an. Ihres war ohne Tüll, ohne Rüschen und ohne Satinband, ein klassisches Dirndl halt. Und wer hat die Komplimente bekommen? „Zu mir hams gsagt, ‚wo hast denn des her? Mei, is des schee’, und zu ihr nix“, sagt sie und lächelt vergnügt, „a traditionelles Dirndl is ja ned langweilig. I woaß gar ned, wer des immer sagt.“

Dabei ist doch klar, wer das sagt: Die Blingbling-Dirndldesignerinnen natürlich, und außerdem die, die an „Mailand oder Madrid, Hauptsache Italien“ höchstens überrascht, dass der Satz aus dem Fußball kommt und nicht aus der Mode. Es gibt einen Internet-Clip von Harry G., dem knallharten Kulturkritiker des globalbayerischen Lifestyles. Man muss nur bei youtube „Harry G. Dirndl“ eingeben, schon hat man ihn. Er geht hart ins Gericht mit den Blingbling-Dirndln und ihren Trägerinnen. Eine Berliner Oktoberblinggängerin hat ihm daraufhin aber tüchtig Bescheid gesagt.

„Was ist Dein Problem?“

„Was ist Dein Problem?“, hat die Berlinerin Harry G. auf Youtube geschrieben, „Wenn ich aus Berlin anreise und aufs Oktoberfest gehe, dann hol ich mir halt so´n Dirndl für 50 Euro, was pink ist und süß aussieht.“ Das hat sie genau so geschrieben, und so fuhr sie fort: „Ich mach das Ganze doch nicht, um die bayrische Tradition zu bewahren, sondern um mal ein paar Tage den Fun mitzumachen. Ihr Bayern solltet mal cool sein und euch freuen, dass alle kommen und nicht immer nur rummeckern.“

Aber wie soll man cool bleiben und sich freuen, wenn pinke Berlinerinnen ankommen, in München und auch bei uns, und mit ihnen die Achtziger Jahre? Verstehen Sie mich bitte nicht falsch: Ich bin voll dafür, dass alle auf unser Volksfest gehen, auch pinke Berlinerinnen. Wir haben einen Titel zu verteidigen, das zweitgrößte Volksfest der bayerischen Welt. Ohne pinke Berlinerinnen schaffen wir’s nicht. Und niemand verlangt, dass pinke Blingblingerinnen die bayerische Tradition bewahren sollen, das sollen sie nicht. Es ist halt nur so: Blingbling-Dirndl sind hässlich. Man kann sie „verspielt“ nennen oder „kitschig“, das ist dasselbe. „Zeitlos schön“ wird sie nie jemand nennen: viel zu sehr Achtziger.

Schön, wenn die Blingbling zu Ende geht, die beiden Mädchen im Krönnergarten geben Hoffnung. Und für alle, die jetzt furchtbar schimpfen und mich einen Spießer schelten: Ich verstehe euch gut. Blingbling findet ihr schön, und es ist ein freies Land. Aber ich bin ein Kind der Achtziger Jahre, und ich weiß: Der Tag wird kommen, an dem ihr eure Selfies anschaut, und ihr werdet Abbitte leisten und sagen: „Ja, er hatte Recht“. Und eure Blingbling-Selfies werdet ihr löschen, weil euch schaudert, und die Dirndl selbst habt ihr nach der zweiten Tragesaison eh schon entsorgt.

Dieser Artikel erschien erstmals am 14. August 2015 im Straubinger Tagblatt.