Kredite in Corona-Zeiten

"Wir befinden uns in einer kritischen Phase"

Bundesobmann der Sparkassen rechnet wegen Corona-Krise mit hohen Kreditausfällen


Hoch konzentriert: Walter Strohmaier, Bundesobmann der deutschen Sparkassen und einer der Vizepräsidenten des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes sowie Chef der Sparkasse Niederbayern-Mitte.

Hoch konzentriert: Walter Strohmaier, Bundesobmann der deutschen Sparkassen und einer der Vizepräsidenten des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes sowie Chef der Sparkasse Niederbayern-Mitte.

Bislang sind die deutschen Sparkassen gut durch die Corona-Krise gekommen. Doch die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie werden in den nächsten Monaten auch Spuren in den Bilanzen der Geldhäuser hinterlassen. "Die Einschläge werden uns Sparkassen auch deutlich treffen", sagt Walter Strohmaier, Bundesobmann der deutschen Sparkassen, im Interview mit unserer Zeitung. Wie er sich die Zukunft der Sparkassen vorstellt, erklärt er im weiteren Verlauf des Gesprächs.

Deutschland wird gerade von einer "Jahrhundertrezession" erschüttert. Wie sehr beunruhigt Sie die aktuelle Entwicklung, gerade mit Blick auf die wirtschaftliche Entwicklung und die daraus entstehenden Folgen für die Sparkassen?

Walter Strohmaier: Das Thema nehme ich schon sehr, sehr ernst. Denn: Wir befinden uns in einer durchaus kritischen Phase. Die Risiko- und Liquiditätssituation sind in den Bilanzen der Sparkassen zwar aktuell noch besser, als ich es erwartet habe. Sie wird sich aber im Verlaufe der nächsten Monate noch deutlich verschlechtern. Den meisten Unternehmen ist es gelungen, mit entsprechenden Maßnahmen auf das Herunterfahren der Wirtschaft zu reagieren. Jedoch ist bei vielen von ihnen die Grenze der Belastbarkeit erreicht. Sollte sich die Lage nicht bessern, wird es zu merklichen Kreditausfällen auch bei den Sparkassen und Banken kommen. Und da bin ich Realist genug, um zu wissen: Diese Einschläge werden kommen. Und die werden uns Sparkassen auch deutlich treffen. Es bleibt zu hoffen, dass es zu keinem zweiten Lockdown kommt. Für die kleinen und mittleren Betriebe, die von der Corona-Pandemie kalt erwischt wurden und die sich allmählich unter geänderten Rahmenbedingungen mühsam aus dem Tal herausarbeiten, wäre das ein ganz dramatischer Schlag. Dann hätten wir richtig Stress.

Das Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung in Halle (IWH) hat vor starken Kreditausfällen gewarnt, die vor allem Sparkassen und Volksbanken treffen könnten. Teilen Sie diese Prognose?

Strohmaier: Nein. Die Grundannahme der IWH-Ökonomen, wonach vor allem kleine und mittlere Firmen sowie die mit Sparkassenkrediten pleitegehen würden, ist falsch. Vielmehr kommt uns hier die dezentrale Organisation unseres Sparkassenverbundes mit einer breiten Risikodiversifizierung zugute. Die Auswirkungen der Corona-Pandemie sind durchaus auch regional unterschiedlich. Mit unserer breiten Verankerung im Markt und unserem Wissen können wir vor Ort kompetente Kreditentscheidungen auch speziell in schwierigen Zeiten treffen.

Die vergangenen Monate haben gezeigt, dass Bankgeschäft auch mit weniger stationärer Präsenz funktionieren kann: Ist das nun das Modell der Zukunft auch für die Sparkassen? Schließlich kommt dem Kostenbewusstsein unverändert eine große Rolle zu.

Strohmaier: Ich sehe das zweigeteilt. Gerade die vergangenen Wochen und Monate haben gezeigt, wie wertvoll das digitale Know-how und Dienstleistungsangebot für unsere Kunden ist. Diese Angebote werden auch stärker nachgefragt. Nichtsdestotrotz bin ich der festen Überzeugung: Trotz der steigenden Nutzung digitaler Angebote ist und bleibt die persönliche Beratung kein Auslaufmodell. Sie wird immer ihre Daseinsberechtigung haben. Der persönliche Kontakt bestimmt die Kommunikation zwischen den Kunden und den Sparkassen. Dies gilt vor allem bei eher komplexen Finanzdienstleistungen wie Kreditanträgen, Investitionen, Vermögensanlagen, Altersvorsorge und Beratungen. Das Internet kann das persönliche Gespräch und die individuelle Beratung nicht ersetzen.

Hat das Regionalprinzip in einer digitalen Bankenwelt eine Zukunft?

Strohmaier: Davon bin ich zutiefst überzeugt. Eine regional tätige Sparkasse kann den regionalen Markt am besten einschätzen. Die Corona-Krise zeigte außerdem deutlich auf, wie wichtig eine vertrauensvolle Hausbankbeziehung ist. So haben wir bisher für fast alle unserer Kunden die für sie jeweils maßgeschneiderte und optimale Lösung finden können. Das kann eine Bank aber nur, wenn sie ihre Kunden und den Markt kennt. Entscheidungen werden bei uns in keinem zentralen Bankturm getroffen, sondern vor Ort.

Wie stark belastet die Regulatorik, die eigentlich auf international tätige Bankkonzerne abzielen sollte, kleine und mittlere, regional verankerte Kreditinstitute?

Strohmaier: Die überbordenden regulatorischen Anforderungen belasten die regionalen Banken schon überproportional stark. Manche Entscheidungen werden mehr von der Regulatorik getrieben als von betriebswirtschaftlicher Notwendigkeit. So wird beispielsweise der Verkauf von qualifizierten Wertpapieren in der Fläche für kleinere Kreditinstitute wegen der steigenden Anforderungen der Bankenaufsicht ein immer schwierigeres Unterfangen. Es wäre schade, wenn sich Banken wegen des bürokratischen Aufwands aus der Fläche zurückziehen. In der Folge könnte das die Schließung von jetzt schon weniger frequentierten Filialen noch beschleunigen. Mit ihrem Regelwerk ist die Europäische Union für unser bewährtes deutsches Drei-Säulen-System leider weit übers Ziel hinausgeschossen. Das lässt sich jetzt auch in der Corona-Krise beobachten, da jetzt - wohlgemerkt in der Krise - vorübergehend einige Regeln gelockert werden. Diese Lockerungen sollten bei Bewährung vor allem auch im Interesse unserer deutschen Wirtschaft dauerhaft beibehalten werden und dürfen vor allem nicht nach der Krise sogar noch verschärft werden, nur weil etwa beim Wirecard-Desaster kriminell gehandelt wurde.

Welche aufsichtlichen Erleichterungen hielten Sie für angemessen, was wäre nötig, um den Geldinstituten zu helfen?

Strohmaier: Da gäbe es einen ganzen Katalog, angefangen von den Eigenkapitalerleichterungen über die Anforderungen in der Wertpapierberatung bis hin zu übersteigerten Vorschriften im Verbraucherschutz. Vor allem in Zeiten von Null- und Minuszinsen sehen wir Sparkassen es auch als unsere gesellschaftspolitische Aufgabe, grundsätzlich jedem Bürger den Zugang zum Wertpapiermarkt zu ermöglichen. Jedoch stehen diesem Vorhaben oftmals sehr hohe Hürden in Regulatorik und Verbraucherschutz entgegen. Natürlich stehen auch wir für Verbraucherschutz, aber oftmals versteht ja nicht einmal der Kunde, warum er nach der Beratung ein ganzes Bündel an Formularen unterschreiben und Merkblätter lesen soll.

Gefährdet die EU-Bankenunion mit einheitlichen Regeln die Einlagensicherung der Sparkassen?

Strohmaier: Der von der EU angestrebte gemeinsame europaweite Schutz von Sparguthaben ist meiner Ansicht nach der falsche Ansatz. Wir wollen nicht, dass unser bewährtes System auch für weniger starke Systeme in Europa geradestehen soll. Da haben wir ein Problem damit. Und deshalb wehren wir uns auch dagegen.

Interview: Hubert Obermaier