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Unterm Brennglas: Julian Nagelsmann will zeigen, dass Ausraster ein Ausrutscher war

Beim ersten Auftritt nach dem verbalen Ausraster in Gladbach zeigt sich Julian Nagelsmann reumütig und kämpferisch. Das Spiel gegen Union ist auch ein Test, wie der Bayern-Coach seine Emotionen im Griff hat.


Beim Gipfeltreffen doppelt im Fokus: Julian Nagelsmann will im Spiel gegen Union Berlin zeigen, dass der Gladbach-Ausraster nur ein Ausrutscher war

Beim Gipfeltreffen doppelt im Fokus: Julian Nagelsmann will im Spiel gegen Union Berlin zeigen, dass der Gladbach-Ausraster nur ein Ausrutscher war

Von Patrick Strasser

München - Ein Lachen? Wenigstens ein Lächeln? Ein kleiner Wortwitz? Nichts dergleichen. Frühere Pressekonferenzen haben Julian Nagelsmann oft sichtlich und hörbar Spaß bereitet. Seine Witzchen mit den Reportern, sein lauthalses Lachen über eigene Formulierungen ermunterten die Zuhörer, brachten frischen Wind in den fensterlosen Raum an der Säbener Straße.

Nun hat Nagelsmann auf Durchzug geschaltet. Freudlos und angespannt wickelt er die Fragerunde am Freitag ab. Nur nichts Falsches sagen. Natürlich wollte und musste der 35-Jährige bei seinem ersten Auftritt in der Öffentlichkeit seit letztem Samstag reumütig und etwas kleinlaut rüberkommen.

Ein rot-blauer Trainingsanzug als Büßergewand. Seinen Groll auf die Leistung von Schiedsrichter Tobias Welz und dessen Roten Karte wegen Notbremse für Dayot Upamecano hatte Nagelsmann nach dem 2:3 in Mönchengladbach quasi en passant öffentlich gemacht. Er brüllte. Auf dem Hinweg in die Schiedsrichter-Kabine ("Das ist doch ein Witz! Will der mich verarschen oder was?!") wie auf dem Rückweg ("Mein Gott, mein Gott! Ein weichgespültes Pack!").

Vor allem letzterer, unfeiner Ausruf wird lange an ihm haften bleiben. Auch wenn die Strafe des DFB-Sportgerichts in Form einer Geldbuße von 50 000 Euro - und keiner Sperre - eher milde ausfiel. Nicht in seiner Wahrnehmung. "Die 50 000 Euro netto" (damit wäre auch das geklärt) seien "keine milde Strafe", betonte er. Mittlerweile habe der Trainer die Strafe "akzeptiert, weil es ein Fehler war". Über seinen Wutausbruch sagte er: "Emotionen gehören dazu, aber sowas nicht, das sollte man nicht sagen. Ich muss mich in gewissen Situationen zügeln und meine Emotionen in andere Bahnen lenken."

Was ihn wirklich ärgerte - und da wurde für einen kurzen Moment aus der Büßer-Miene ein kämpferisches Gesicht. Er habe Schiedsrichter Welz und sein Unparteiischen-Team nicht "bewusst" beleidigt, um auf "Abteilung Attacke" zu machen. Dies wäre "völliger Blödsinn". Denn, so Nagelsmann, Sternzeichen Löwe: "Ich bin so. Und wenn ich nicht gewinne, werde ich emotional." Fühlt er sich ungerecht behandelt, gerät die Zündschnur zur Explosion seiner Gefühle ziemlich kurz. Siehe Mönchengladbach.

Also werden die Augen der Stadion-Besucher und TV-Zuschauer am Sonntag im Spitzen-Duell der Bayern mit Union Berlin (17.30 Uhr, DAZN) auf Nagelsmann und sein Benehmen an der Seitenlinie gerichtet sein.

Hat der Wüterich von Gladbach seine Emotionen unterm Brennglas im Griff? Drei Gelbe Karten, zwei davon im Februar (gegen Bochum und in Gladbach) hat er schon gesehen an der Seitenlinie, die vierte würde eine automatische Sperre für ein Spiel nach sich ziehen. Die Regelung gibt es seit der Saison 2019/20, Mainz-Trainer Bo Svensson widerfuhr diese Strafe in der vergangenen Spielzeit.

Bis Saisonende nicht gesperrt zu werden, sei "mein Ziel", meinte Nagelsmann. Heißt: Noch 13 züchtige Auftritte am Spielfeldrand. Gibt Leichteres in diesen für ihn und den Verein turbulenten und emotionalen Zeiten.

Warum die Diskrepanz der Leistungen in der Bundesliga und in der Champions League (sieben Spiele, sieben Siege) so groß sei aktuell? Nagelsmann bemühte einen Vergleich: "Wenn man im Freizeitpark eine Achterbahn zum ersten Mal fährt, ist es spektakulär. Beim neunten Mal macht es auch noch Spaß, aber ist nicht mehr so spektakulär." Anders formuliert: "Die Spieler sind alle Menschen mit unterschiedlichen Charakteren. Wenn du sehr häufig hintereinander Meister wirst, muss man seinen eigenen Anspruch auch über andere Dinge definieren." Oder ist nicht genau die Ansprache eine der Aufgaben des Trainers?

Auf eine vermeintlich ruhige Trainingswoche ohne die Belastung und Anspannung eines Spiels angesprochen antwortete er schnippisch: "Die Ruhe suche ich noch." Gegen Union sieht er "alle in der Pflicht. Die Formel ist so einfach wie komplex: Wenn du gewinnst, ist Ruhe - wenn nicht, ist keine Ruhe. Also sollten wir gewinnen." Ja, das würde guttun. Und könnte ihm am Sonntag ein Lächeln ins Gesicht zaubern.