Handlab / Straubing

Welck: "Linienrichter kam erst Montag aus dem Krankenhaus"


Schiedsrichter Tobias Welck (im Bild) kommt nach den Ereignissen von Handlab ins Grübeln, ob er als Schiedsrichter weiter auf dem Platz stehen soll. Der Betroffene Schiedsrichterassistent Michael Achatz hat das bereits ausgeschlossen (Foto: Schindler)

Schiedsrichter Tobias Welck (im Bild) kommt nach den Ereignissen von Handlab ins Grübeln, ob er als Schiedsrichter weiter auf dem Platz stehen soll. Der Betroffene Schiedsrichterassistent Michael Achatz hat das bereits ausgeschlossen (Foto: Schindler)

Von Redaktion idowa

Seit vergangenen Sonntag beschäftigt den Fußballkreis Straubing der tätliche Angriff des Teisbacher Trainers Vitus Nagorny. Er griff nach dem Spiel den Schiedsrichterassistent Michael Achatz von hinten an und soll ihn auch gewürgt haben. Tobias Welck aus Straubing war Schiedsrichter der Partie zwischen Handlab/Iggensbach und Teisbach.

Herr Welck, innerhalb kurzer Zeit sind Sie als Schiedsrichter zum zweiten Mal Zeuge von Ausschreitungen im Amateurfußball geworden. Was ist diesmal genau passiert?
Tobias Welck: "Da es sich um ein schwebendes Verfahren handelt, das sicherlich sowohl sportrechtlich, wie auch zivil- und strafrechtlich Folgen haben wird und ich als Schiedsrichter der besagten Begegnung dafür sicher als Zeuge in Betracht komme, möchte ich nicht zu sehr ins Detail gehen. Tatsache ist, dass der Trainer des FC Teisbach, Vitus Nagorny, meinen SRA Michael Achatz nach dem Schlusspfiff auf dem Platz in massiver Weise tätlich angegriffen hat. Herr Achatz musste mit der Trage vom Platz in die Kabine gebracht werden, konnte auch dort nicht aufstehen und musste vom herbeigerufenen Notarzt mit dem Rettungswagen ins Deggendorfer Krankenhaus gebracht werden. Dies durfte er erst am Montag auf eigene Verantwortung verlassen. Vom Notarzt wurde aufgrund der Verletzung von Herrn Achatz auch die Polizei verständigt, die noch auf dem Sportplatz in Iggensbach die Ermittlungen aufnahm und Zeugen befragte."

"Es gab nur eine strittige Situation"

Weshalb war Herr Nagorny so erregt?

Welck: "Das sollten Sie Herrn Nagorny am besten selbst fragen. Das Spiel war in keinster Weise unfair, hart oder hektisch - im Gegenteil. Deshalb war der Vorfall nach dem Spiel auch für niemanden vorherzusehen. Unmittelbar vor dem Vorfall gaben mir noch Spieler beider Mannschaften die Hand. Im Prinzip gab es in diesem Spiel nur eine strittige Situation, die für Proteste sorgte: Das 1:0 für Handlab in der 77. Minute auf der Assistentenseite von Herrn Achatz, bei dem Teisbach - und hier besonders Herr Nagorny - Abseits reklamierte. Offensichtlich ging es um dieses spielentscheidende Tor auch bei dem Vorfall."

"Ein Abschalten ist nur schwer möglich, wenn ein langjährige Schiedsrichterfreund 10 Minuten regungslos im Mittelkreis liegt."

Inwieweit beschäftigt einen so ein Vorfall wie dieser in Handlab am verganenen Wochenende noch auf der Heimfahrt bzw. zu Hause auf der Couch?
Welck: "Das muss man vielleicht erst einmal differenzieren. Dieser Vorfall ist in seiner Heftigkeit sicher noch weniger alltäglich als andere. Schon alleine deshalb war ich in den letzten 24 Stunden fast permanent mit den Geschehnissen befasst: Schon am Sonntag abend klingelte fast pausenlos das Telefon, weil das natürlich in Zeiten des Internets schnell die Runde machte. Zudem galt es die zuständigen Stellen im Kreis, Bezirk und Verband zu informieren, weil dieser tätliche Angriff natürlich prompt bis zu den höchsten Präsidiums- und Schiedsrichterstellen im BFV gehen muss. Außerdem war eine ausführliche schriftliche Meldung für das Sportgericht erforderlich, weitere Zeugenaussagen für die Polizei stehen an. Selbstverständlich galt es auch noch, Kontakt mit den Eltern des Schiedsrichters aufzunehmen und diesem zusätzlich auch noch psychisch beizustehen. Und auch abgesehen davon, ist ein Abschalten nur schwer möglich, wenn ein langjähriger Schiedsrichter-Freund 10 Minuten regungslos im Mittelkreis liegt, er mit einer Halskrause ins Krankenhaus transportiert und sein Kreislauf stabilisiert werden muss. Insgesamt wird uns dieser Vorfall auch noch lange beschäftigen, weil Michael Achatz - aus absolut nachvollziehbaren Gründen - in seiner ersten Reaktion keinen Fußballplatz mehr betreten will. Und ja, ich muss zugeben, irgendwann überlegt man auch selbst, ob das alles Sinn macht und ob es das alles Wert ist. Nach 20 Jahren als Schiedsrichter, etwa 1.500 Spielen und langjähriges Vorstandsmitglied der Schiedsrichter-Vereinigung Straubing habe ich mittlerweile als Schiedsrichter, Assistent, Beobachter und Funktionär bayernweit eine Menge erlebt, weshalb es mir durchaus gelingt, unschöne Vorfälle relativ schnell zu verdrängen und nach vorne zu blicken. Ich weiß aber, dass dies vielen, gerade jüngeren Kameraden, verständlicherweise nicht gelingt."

"Einige "Hartgesottene" fragen sich wohin das führen soll"

Verliert man angesichts solcher Aktionen die Lust als Schiedsrichter auf dem Platz zu stehen?
Welck: "Wie gesagt, in den letzten Wochen beginnen nun einige "Hartgesottene", darunter auch ich, sich vermehrt die Frage zu stellen, wohin das noch führen soll. Wir sind nicht darauf angewiesen, uns Wochenende für Wochenende zum Buhmann machen und als Idiot beschimpfen lassen zu müssen. Wir hatten alleine im Fußballkreis Straubing in den letzten Wochen drei Spielabbrüche, jetzt den Vorfall nach Spielende, dazu noch weitere kleinere Vorfälle, die gar nicht erst an die Presse gelangen. In unserer Nachbargruppe Mallersdorf wurde vor kurzem ein Schiedsrichter mit einer Wasserflasche beworfen, die ihn knapp verfehlte, an diesem Wochenende wurde einem Schiedsrichter die Kabinentür eingetreten. Es ist an der Zeit, dass man endlich von allen Seiten den Tatsachen ins Auge blickt: Wir sind in unserer Region längst keine Oase der Glückseligkeit mehr, die Grenze ist überschritten. Mit welchem Argument soll ich heute einen jungen Menschen überzeugen, noch Schiedsrichter zu werden?"

"Spieler sind selten das Problem"

Woran liegt es in Ihren Augen, dass sich derartige Situationen im Amateurfußball häufen?
Welck: "Ich denke, dafür muss man etwas ausholen. Grundsätzlich habe ich in fast allen Spielen, die ich pfeife, beobachte oder ansehe eines festgestellt: Hektik oder Aggressivität geht selten von innen nach außen, sondern meist von außen nach innen. Sprich: Die Spieler sind selten das Problem, zumeist wird die Atmosphäre von Trainern, Betreuern, Zuschauern - im Juniorenbereich Eltern - aufgehetzt und überträgt sich dann auf das Feld. Und hier sage ich unmissverständlich: Die Vereine sind aufgefordert dies abzustellen. Es gehört ja scheinbar zum guten Ton, dass man mit dem Eintritt auch gleich das Recht mitbezahlt, den Schiedsrichter oder Gegner zu beschimpfen. Haben Sie schon einmal erlebt, dass ein Verein dabei gegen seine eigenen Zuschauer vorgegangen wäre, ohne dass ihm dies aufgetragen worden wäre? Ich nicht. Hier ist aber ein Eingreifen notwendig. Und es soll mir bloß niemand mit dem blödsinnigen Argument kommen, solche Emotionen gehören zum Sport doch dazu. Was würden Sie denn sagen, wenn Sie morgen über den Stadtplatz gehen und jemand sagt zu Ihnen: "Na, Du Arschloch, bist Du auch schon wieder da? Was willst denn Du überhaupt hier?" Würden Sie das als Selbstverständlichkeit ansehen? Sicher nicht! Aber auf dem Fußballplatz ist es selbstverständlich, dass Schiedsrichter Woche für Woche mit so etwas leben müssen. Wer dies als gegeben hinnimmt, bereitet den Nährboden für solche Eskalationen wie zuletzt. Sicher spielen darüberhinaus natürlich auch noch schlechte Vorbilder im Profibereich oder die allgemeine gesellschaftliche Situation eine Rolle. Aber auf diesen bequemen Argumentne sollte sich der Amateurfußball nicht ausruhen."

"Es muss erlaubt sein über eine befristete Nichtansetzung von Spielen nachzudenken"

Was muss sich ändern, damit mit Fußball wieder ausschließlich die "schönste Nebensache der Welt" ist?
Welck: "Es muss ein radikales Umdenken stattfinden. Und in meiner Funktion als stellvertretender Obmann der SR-Gruppe Straubing sage ich auch klar und deutlich: Es muss erlaubt sein, auch über eine befristete Nichtbesetzung von Spielen nachzudenken. Natürlich trifft es dann immer auch Unschuldige, aber es sind mittlerweile Grenzen überschritten worden, die ein einfaches `Weiter so`nicht mehr zulassen. Das sind wir im übrigen vor allem auch unseren Schiedsrichtern schuldig, deren Unmut aus verständlichen Gründen mehr und mehr steigt. Wir verlieren Jahr um Jahr junge Schiedsrichter, die nach kurzer Zeit wegen Anfeindungen wieder aufhören, ich könnte alleine aus den letzten beiden Jahren zahlreiche Beispiele nennen. Wenn ich alleine die Diskussionen seit dem Handlab-Spiel in den einschlägigen Foren lese, dann wird deutlich, mit welcher Geisteshaltung manche Leute auf den Fußballplatz gehen. Wenn dies als gegeben und normal hingenommen wird, dann muss man aus Schiedsrichter-Sicht eindeutig zu erkennen geben: Nicht mehr mit uns. Denn es handelt sich immer noch um die schönste Nebensache der Welt."