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Im Märzen der Bauer


Dieses Frühlingslied singt Wolfgang Engel mit seinen Freunden am 1. Mai in der Jakobsgasse. (Foto: Mathias Adam)

Dieses Frühlingslied singt Wolfgang Engel mit seinen Freunden am 1. Mai in der Jakobsgasse. (Foto: Mathias Adam)

Es gibt dieses Volkslied, das fast keiner kennt, der Refrain geht so: Die Amsel singt, die Oma schreit: Mensch, schon wieder Frühlingszeit! Nun ließe sich trefflich streiten, ob die Oma tatsächlich "schon wieder" schreit, oder nicht doch eher "ja endlich". Gerade den Omas kommt der Winter ja meistens sehr lang vor mit all dem Eis auf den Straßen, das sie an ihre Wohnungen fesselt, aber egal. Das Interessantere ist, dass im Frühling die Amsel singt und die Oma schreit, egal was. Gerade im Frühling schreien die Menschen, und man findet es schön. Am 4. März zum Beispiel.

Es war ein sonniger Tag, einer der ersten sonnigen Tage: Man konnte glasklar den Schatten sehen, den der Stadtturm endlich wieder warf! Man konnte mitten in der Sonne am Caféstand stehen! Man konnte fühlen, dass ab sofort viele sonnige Tage kommen! Und vor dem C&A konnte man diesen Sänger-Clan sehen und vor allem hören, der dort wieder stand.

"Millioni, Millioni, ähhhh!"


Es war dieser Clan aus Südosteuropa, der da im Sommer oft steht und seine Lieder in den Stadtplatz - wie soll man sagen - hinausschreit: Millioni, Millioni, ähhhh!, schreien sie hinaus, Millioni, Millioni, ähhhh!, oder so ähnlich. Im Sommer sagen dann viele Menschen: "Äh! Oh! Was für ein Geschrei!" Doch an einem 4. März klingt es wunderbar. Es klingt nach Sommer, nach Sonne, und sogar im Stadtturm lachte bei Millioni ähhhh! jemand fröhlich in seinem Laden, obwohl das Verhältnis von diesem Jemand zur Straßenmusik spätestens ab Juni ein doch eher zwiespältiges ist. Ab spätestens Juni ist das Verhältnis vieler am Stadtplatz arbeitenden Menschen zur Straßenmusik zwiespältig. Aber im Frühling lieben sie es.

Frühling ist, wenn alles singt, egal was und wie. Damit ist in erster Linie die Amsel gemeint, und ihre Mitvögel natürlich. Aber auch manch ein Mensch singt im Frühling gerne, das ist der Grund, warum es so viele Frühlingslieder gibt. Doch warum singt der Mensch überhaupt? "Ja", sagt sinnend Matthias Klimmer, Musiker und Gernsänger, "das fragt man sich oft: Warum singt dieser Mensch überhaupt?" Dabei blickt er auf mich mit einem Blick, der mir wohl sagen soll, dass mit "dieser Mensch" ein ganz bestimmter gemeint ist. Nämlich ich.

Es gibt die Theorie, dass der Urmensch einst sang, um Raubtiere abzuschrecken. Ich gelte gemeinhin als klarer Beleg für diese Theorie. Ich singe gerne, nur leider oft falsch. Ich treffe die Töne nicht. Oder besser gesagt, ich treffe sie schon, nur eben die falschen. Es ist wirklich schlimm. Ich habe es eben nicht gelernt. Niemand war da, der mich bei der Hand genommen hätte, um mir zu sagen: "Schau, kleines Woiferl, der du den gleichen Vornamen trägst wie jener große Komponist, der Komm lieber Mai und mache gemacht hat: An dieser Stelle musst du höher singen und an jener tiefer, denn wenn du das nicht machst, schreckst du nicht nur Raubtiere ab, sondern auch sonst alle anderen."

Man hat mir das ABC beigebracht und das Einmaleins, man brachte mir lateinische Sinnsprüche bei und den Anfang von Homers Odyssee, und das alles mit einer Akribie, dass ich noch heute "Andra moi ennepe, Musa, polütropon, hos malla polla planchtä, epei Trojäs, hieron ptoli-ethron epersen" auswendig aufsagen kann, sogar noch nach drei Maß Bier im Volksfest, falls nötig. Doch "Im Märzen der Bauer" beherrsche ich nur bis zu der Stelle, in der es heißt "die Rösslein einspannt". Wie geht es dann weiter?

Sehen Sie: Sie wissen es auch nicht. Fragen Sie zehn Leute, ob sie ein Frühlingslied kennen, und Sie hören zehn Mal: "Freilich. Im Märzen der Bauer." Und wenn Sie dann fragen, "wie geht das?", hören Sie zehn Mal: "Im Märzen der Bauer die Rösslein einspannt". Dann hören Sie kurz ein verlegenes "äh", und dann: "la lala la lala la lala la la". Ist es nicht so? Drei von den zehn werden ferner behaupten, dass ihnen Es tönen die Lieder, der Frühling kehrt wieder bekannt sei und außerdem Alles neu macht der Mai. Aber singen kann's keiner. Nur Kuckuck, Kuckuck, ruft's aus dem Wald ist noch manchem bekannt. Aber das war's dann.

Jede Krähe kräht besser als wir

Ist das nicht traurig? Jede Amsel ist uns überlegen. Jede Krähe kräht besser als wir. Das Liedre per toire jeder Drossel ist größer. Dabei wäre Singen so schön, und grad im Frühling. Es schüttet Glückshormone aus, Serotonin und Ephedrin. "Jeder, der singt", sagt der Kreismusikpfleger Franz Schötz, "geht glücklich weg, weil Singen toll ist." Und dass nicht mehr gesungen wird, sind die Nachwehen der Nazi-Zeit, sagt Franz Schötz, weil die Nazis das Singen missbraucht haben.

In der Lehrerausbildung gibt es tausend Möglichkeiten, sich um Musikausbildung zu drücken, an Grundschulen und Gymnasiums-Unterstufen wird deshalb nur noch ein gesangstechnisches Mindestprogramm abgespult. Ist es da ein Wunder, wenn kein Mensch heute mehr weiß, wie es nach Rösslein einspannt weitergeht? So geht das nicht weiter. Kein Wunder, dass uns der demografische Wandel bedroht.

Es war Charles Darwin (1809-1882), dem auffiel, dass Vögel mit Singen Weibchen anlocken und dass die besten Sänger die besten Weibchen erwischen. Daraus schloss Darwin, dass auch der Mensch wegen der Weibchen zu singen begann. Zwar hielt der Psychologe Carl Stumpf (1848-1936) entgegen, dass die ältesten bekannten Gesänge der Ur- und Naturvölker eher kriegerische und religiöse Gesänge seien und Darwin hier einen Vogel habe. Doch Tatsache ist: Solomon Burke, der umjubelte Star bei Jazz an der Donau 2008, hatte 21 Kinder, und zwar von sehr vielen Frauen. Und Burke war ein Sänger.

Burke sang Lieder wie Doodle Dee Doo. Klingt das wie Kriegsgeschrei? Nein, Doodle Dee Doo klingt nach Frühling, Singvogel und Weibchen anlocken, und nach 21 Kindern. Oder Bob Marley, Sänger solch lieblicher Lieder wie One Love, Is This Love und Three Little Birds: Offiziell hat er elf leibliche Kinder anerkannt, von acht verschiedenen Frauen, die tatsächliche Zahl seiner Kinder wird jedoch auf 22 bis 46 geschätzt: Vergessen wir Stumpf. Darwin hat recht.

Wir wollen hoffen, dass unsere tüchtigen Familienplanerinnen Schröder und Haderthauer daraus ihre Schlüsse ziehen, und dass sie künftig das Singen fördern - mit einer Singprämie vielleicht für jede Familie, die nachweisen kann, dass sie weiß, wie es nach die Rösslein einspannt weitergeht. Man kann es auch Liedergeld nennen, 150 Euro im Monat vielleicht.

Übrigens werden wir ein Frühlingslied-Singen machen. Die Idee kommt von einem Mann, der ein großartiger Saxofonspieler und ein grausliger Sänger ist, aber sie ist trotzdem gut. Am 1. Mai werden wir uns wie jedes Jahr im Stammlokal in der Jakobsgasse einfinden und unser alljährliches, sehr schönes und vor allem sehr anstrengendes Maibaumaufstellen bewältigen, und das "BioTrio" wird dazu spielen. Und dann werden wir singen, auch ohne Singprämie.

Der irischstämmige Teil der Stammgäste hat bereits angekündigt, auch mitzusingen und irisches Frühlingsliedgut beizusteuern. Auf Nachfrage wurde I Never Promised You A Rose Garden genannt, das zwar kein Frühlingslied ist und auch nicht Irisch, aber das ist egal. Hauptsache Singen, sagen die Iren, denn Singen macht glücklich, Irland hat nicht umsonst die höchste Geburtenrate in der EU.

Hiermit ergeht herzliche Einladung zum ersten Mai. Dann sitzen wir in der Jakobsgasse, stellen kurz einen Maibaum auf, und wenn das anstrengende Maibaumaufstellen erledigt ist, singen wir gemeinsam Der Mai ist gekommen, und außerdem:

Im Märzen der Bauer die Rösslein einspannt,
Er setzt seine Felder und Wiesen instand,
Er pflüget den Boden und egget und sät,
Und rührt seine Hände früh morgens und spät.


Amseln werden begeistert aufjuchzen. Krähen werden neidvoll verstummen. Und Glückshormone werden uns überfluten. Come along and share the good times while we can, heißt es in Rose Garden, dem nichtirischen Nichtfrühlingslied: Straubing, der Frühling wird wunderbar.

Es wird Frühling in Straubing. (Foto: Mathias Adam)

Es wird Frühling in Straubing. (Foto: Mathias Adam)