Heimatzeit in Geisenhausen

Geisenhausen als neue Heimat

Flüchtlinge und Vertriebene leben seit mehr als 70 Jahren in der Marktgemeinde


Für Irmlind Geisler ist die Heimat Niederbayern, wo es sie mit vier Jahren zusammen mit ihrer Familie hinverschlagen hatte.

Für Irmlind Geisler ist die Heimat Niederbayern, wo es sie mit vier Jahren zusammen mit ihrer Familie hinverschlagen hatte.

Schon während des zweiten Weltkriegs kamen Evakuierte aus Hamburg, aus dem Saarland und aus Schlesien nach Niederbayern. Nach dem Krieg brauchten sehr viele Heimatvertriebene aus dem Sudetenland, aus Ungarn, Rumänien und anderen Ostbereichen Unterkunft, Nahrung, Erwerb und erlebbare Nächstenliebe. Ob für diese Menschen Geisenhausen zur zweiten Heimat geworden ist, soll an zwei Schicksalen beispielhaft gezeichnet werden.

Konrektorin Maria Diewald beschrieb das Schicksal der Menschen in der Festschrift "Geisenhausen - 1000 Jahre Heimat und Lebensraum" aus dem Jahr 1982. Der Wohnraum war damals sehr beschränkt, so dass für die ankommenden Familien häufig nur ein Zimmer zur Verfügung stand. Auch die Ernährungssituation war problematisch. Also hielt man sich häufig Kaninchen. Von der Marktgemeinde wurden Flüchtlingsgärten angelegt, die noch heute als Schrebergärten in der Irlacher Straße bestehen.

Franz Hubl fühlte sich in Niederbayern wohl, unterhält aber noch Verbindungen zu seiner ehemaligen Heimat im Egerland.

Franz Hubl fühlte sich in Niederbayern wohl, unterhält aber noch Verbindungen zu seiner ehemaligen Heimat im Egerland.

Franz sollte aufs Gymnasium

Franz Hubl kam als neunjähriger Bub im Viehwaggon als Heimatvertriebener zusammen mit seiner Mutter und drei jüngeren Brüdern nach Herrngiersdorf nördlich von Landshut. Die Familie wurde bei einem Landwirt einquartiert, der ihnen eine kleine Wohnung hergerichtet hatte und sich insgesamt als freundlicher Mann herausstellte. "Natürlich waren die Einheimischen nicht begeistert, dass so viele Fremde ankamen", fügte Hubl hinzu. Seine Mutter konnte als gelernte Bäuerin auf dem Hof mitarbeiten, um die kleine Familie zu ernähren. Ab September 1946 besuchte der junge Franz die dritte Klasse der dortigen Volksschule, wo es mehr Flüchtlings- und Vertriebenenkinder gab. "Ich habe mich schnell mit den anderen Buben und Mädchen vertragen", erinnert sich Franz Hubl. Die vierte Klasse musste er auf Geheiß des Lehrers überspringen und sollte nach der sechsten Jahrgangsstufe nach Ansicht des Pfarrers und der Lehrkräfte auf ein Gymnasium wechseln. Also begann Franz in Regensburg im Internat seine humanistische Ausbildung, die ihn zum Abitur führte. Nach dem Wehrdienst und dem Studium kam er als Lehrer nach Oberroning und Jahre später an die Grundschule Vilsbiburg, wo er das Amt des Konrektors übernahm.

Einfach war es gewiss nicht für die Mutter, die vor der Vertreibung alleine den Bauernhof in Kahudowa im Egerland in der heutigen Tschechei führte. Eines Sonntagvormittags war ein Lastwagen voll Menschen auf den Hof gefahren und ein amerikanischer Offizier hatte ihr erklärt: "Das sind die neuen Besitzer eures Hofs". Der Vater war in Kriegsgefangenschaft und für die Mutter war die neue Situation eine Tragödie. Schon nach kurzer Zeit wurde sie mit ihren Kindern in ein Lager ausquartiert und durfte nur 40 Kilogramm Gepäck mitnehmen. Von dort aus ging es dann in einem Viehwaggon nach Bayern.

Wo ist jetzt Franz Hubls Heimat? "Das ist schwierig zu sagen", antwortet er. Einerseits fühlte er sich als Lehrer in Niederbayern wohl. Andererseits ist er seit vielen Jahren Vorsitzender der Sudetendeutschen Landsmannschaft des Landkreises Vilsbiburg und von Geisenhausen und hat enge Verbindungen zu dem kleinen Bauerndorf in der Tschechei, von dem er abstammt.

Zehn Tage im Zug

Im Alter von nur vier Jahren kam Irmlind Geisler zusammen mit ihrem siebenjährigen Cousin, der Mutter und der Großmutter in Niederbayern an. In der ersten Bleibe in der Nähe von Geisenhausen war die kleine Flüchtlingsfamilie nicht sonderlich willkommen. Doch zwang die Partei im Februar 1945 die Wohnungsinhaber zur Aufnahme. "Ich habe mich mit den Kindern gut verstanden", erzählt Irmlind Geisler. Doch sei ihre Mutter mit vielen Kleinigkeiten schikaniert worden. Als der Vater dann im Sommer 1945 aus dem Krieg zurückkam, zog die Familie ins nahe Neutenkam auf einen großen Bauernhof, wo der Vater als Knecht mitarbeiten konnte. Die Bäuerin hatte dafür gesorgt, dass es den Fremden den Umständen entsprechend gut erging.

Es war im Winter 1945 gewesen, als in Breslau die Front immer näher kam und die kleine Irmlind mit Mutter zwangsevakuiert werden musste. Zunächst fand man bei den Großeltern in Schlesien Unterschlupf. Als dann die Rote Armee nur noch zehn Kilometer entfernt war, entschlossen sich Mutter und Großmutter zur Flucht. Nur das Nötigste konnte im Koffer mitgenommen werden und es ging mit einem Wehrmachtlastwagen auf den Rückzug in Richtung Westen. Ganze zehn Tage und zehn Nächte war die Familie dann mit dem Zug unterwegs, unterbrochen von Tieffliegerangriffen, vor denen man sich in den Gräben seitlich der Bahnlinie schützen musste. "Gewaschen haben wir uns vorne bei der Lokomotive, wenn sie das Wasser ausgelassen haben", erinnert sich Geisler.

Nach dem Besuch der Volksschule wechselte Irmlind Geisler nach München-Pasing zum Mädchen-Realgymnasium, wo sie gleich in die zweite Klasse aufgenommen wurde. Der Vater hatte nämlich mit ihr Latein gebüffelt. Später studierte die junge Frau in Bonn und in München Psychologie. Als Heimat betrachtet sie heute Niederbayern, hat allerdings noch emotionale Beziehungen zu Breslau. So bereiste Geisler mehrmals Schlesien und zeigte ihren Töchtern, wo sie aufgewachsen ist.