Tipp der Woche

Aufbruch ins Scheitern


Vincenzo Latronicos "Die Perfektionen" spielt im Berlin der Nullerjahre.

Vincenzo Latronicos "Die Perfektionen" spielt im Berlin der Nullerjahre.

Von Tim Gamerdinger

Jede Woche geben LZ-Mitarbeiter an dieser Stelle ihre ganz persönlichen Tipps für die Freizeit. Von Ausstellungen über Buchempfehlungen bis zu Geheimtipps in der Stadt. Diese Woche empfiehlt Trainee Tim Gamerdinger ein Buch über "Perfektionen".

Anfang der 2000er: Anna und Tom sind genervt vom Alltag und den immer gleichen Menschen um sie herum. Es ist Zeit, der Verheißung Berlins zu folgen. So beginnt der in Berlin lebende italienische Autor und Übersetzer Vincenzo Latronico seinen Roman "Die Perfektionen". Es ist eine Geschichte, die vor dem Hintergrund der Gentrifizierung immer wieder aus anderen Perspektiven erzählt worden ist: In sogenannten Gentrifizierungsromanen spielen oftmals Personen, die vor einer Wohnungsräumung stehen oder mit der Entwicklung der Stadt unzufrieden sind, eine tragende Rolle.

Tim Gamerdinger

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Latronico erzählt aus der Sicht jener, die von diesem gewaltigen Wandel, den sie mitverursacht haben, profitieren und ratlos dabei zusehen, wie irgendwann alles banal erscheint. Zunächst einmal scheint jedoch für die beiden gut ausgebildeten Fachkräfte, die der Autor "Expats" nennt, alles im "Überfluss" vorhanden zu sein. Viele Mietshäuser stehen leer und die großen Altbauwohnungen sind billig. Das Leben besteht aus hippen Cafés, Club-Nächten, die kein Ende kennen, Flohmärkten und Kunstausstellungen.

Latronico geht in seinem Roman präzise auf die Orte, die Speisen und die Hobbys des Paars ein, die ihren Alltag in Berlin prägen. Zunächst herrscht Euphorie. Doch irgendwann ist sie verpufft.

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Die Bilder von Berlin verlieren an Schärfe und die Einzigartigkeit, Intensität weicht der Ernüchterung. Und in der abgeranzten Toilette vom hippen Club, der sich nicht vom benachbarten Club unterscheidet, sieht man einmal mehr die provokanten Triggerwörter, die man schon zu oft gesehen hat. Latronicos Helden werden zu austauschbaren Typen, die auf den sozialen Medien darum wetteifern, wie man das alltägliche Leben perfekt inszeniert - wobei die Erfahrungen, die den Bildern zugrundeliegen, ausgeblendet werden.

Ganz nebenbei macht Latronico mit der Geschichte von Anna und Tom auch die Wandlung Berlins nachvollziehbar.