Landkreis Landshut

Die Welt im Zelt: Wie aus einer Notlösung das wohl größte Medienereignis der Stadtgeschichte wurde


Anna Migotto dreht für ihre RTI-Reihe "Terra" im Dultzelt.

Anna Migotto dreht für ihre RTI-Reihe "Terra" im Dultzelt.

Von Uli Karg

Angefangen hat alles damit, dass Janek Schmidt mit dem Zug nach Landshut gefahren ist, um seinen Schwiegereltern beim Holzstapeln zu helfen. Sein Schwiegervater holte ihn am Bahnhof ab und erzählte von einem Dultzelt auf der Grieserwiese, das gerade als Flüchtlingsunterkunft genutzt wird. "Dann hat Emma angerufen", sagt Schmidt. Am Dienstag erschien ein großer Artikel im britischen Guardian. Seitdem erlebt Landshut das wohl größte Medieninteresse seiner Geschichte.

"Emma", das ist Emma Graham-Harrison. Die Guardian-Korrespondentin schreibt über die Taliban, den IS - und über die Flüchtlingskrise in Europa. Am vergangenen Wochenende ist sie zusammen mit Flüchtlingen von Ungarn nach Deutschland gefahren und hat versucht, in eine Unterkunft in München zu kommen, um von dort zu berichten. Erfolglos. Also hat sie Janek Schmidt angerufen. Schmidt lebt als freier Journalist in München. Er arbeitet hauptsächlich für die Süddeutsche Zeitung, Brand Eins, die Zeit, den Economist. Dem Guardian hilft er gelegentlich aus, wenn es um Berichterstattung aus München geht.

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"Ich erzählte Emma von Landshut. Sie stieg in den Zug, sah das Bierzelt und war begeistert." Als Graham-Thompson während der Recherche merkt, wie gut die Geschichte funktioniert, ruft sie immer wieder in London an, um noch mehr Platz für den Artikel rauszuschlagen. "Vielleicht", sagt Schmidt, "hat das Zelt auch deshalb so einen Eindruck auf sie gemacht, weil sie gerade das Chaos in Ungarn erlebt hat und plötzlich mit dieser deutschen Ordentlichkeit konfrontiert war." Die Geschichte erscheint unter dem Titel "Where could the refugee families sleep? In the beer tent, of course" - "Wo könnten die Flüchtlingsfamilien übernachten? Im Bierzelt natürlich". Einen Tag später stehen nicht nur deutsche Reporter von Focus, taz, RTL,Sat.1, n-tv und den Öffentlich-Rechtlichen vor dem Zelt, sondern Kollegen aus der ganzen Welt. CNN, CBS, Rai 1. Flüchtlingschaos in Europa, ein bayerisches Bierzelt als sicherer, kleiner Hafen. Die Geschichte ist einfach zu verlockend.

Am späten Mittwochnachmittag dreht ein Zwei-Mann-Team von CNBC Europe seine letzte Außeneinstellung vor dem Zelt, dann geht's ab in den Kleinbus, die Deadline naht. Währenddessen verschafft sich Anna Migotto ein Bild über die Situation vor Ort. Über das Bierzelt, das Festwirt Peter Vorholzer auf Bitten der Stadt stehengelassen hat, um mit dieser Speziallösung die Stadt München angesichts der Flüchtlingsströme aus Ungarn zu entlasten. Sie ist hier, um für den italienischen Sender RTI einen Beitrag zu drehen. Migotto hat sich mit der Mafia beschäftigt, mit dem Nahostkonflikt, mit dem Irakkrieg. Ihre Arbeiten wurden vielfach ausgezeichnet. Und weil die Flüchtlingsfrage das große Thema unserer Zeit ist und weil der Artikel im Guardian ihr Interesse geweckt hat, ist sie nun in Landshut. Nachdem sie erste Informationen von Thomas Link bekommen hat, dem Leiter der Stabsstelle für Flüchtlingskoordination in Landshut, macht sie ein Interview mit Regierungspräsident Heinz Grunwald. Link wendet sich kurz an Migottos deutsche Assistentin und sagt: "Eine Bitte: Wäre es, möglich unser Interview auf Deutsch zu führen?" Auf Englisch hat er sich den Mund heute schon fusselig geredet.

Cyril Hofstein schreibt eine Reportage für das französische Magazin "Figaro".

Cyril Hofstein schreibt eine Reportage für das französische Magazin "Figaro".