Landau

Nach langer Odyssee in einer neuen Welt - mit traumatischen Erlebnissen im Gepäck


Symbolbild: Paul Knecht/dpa

Symbolbild: Paul Knecht/dpa

Über Tadschikistan und Russland nach Deutschland. Zu Fuß. Getrennt von der Familie. In quälender Ungewissheit. Für zahlreiche Menschen ist Deutschland zum Zufluchtsort geworden. Längst nicht alle haben dieses Ziel erreicht. Anita Skobl von der Rummelsberger Diakonie und Gruppenleiterin Christina Able erzählen von der rund 6.000 Kilometer weiten Flucht eines afghanischen Jugendlichen vor der Todesangst - und von zwei Mythen.

"Hallo", grüßt ein etwas schüchtern wirkender junger Mann im Westflügel des Seniorenheims an der Dr.-Godron-Straße. Er trägt einen grauen Pullover, eine Jeanshose und Turnschuhe. Seine Augen sind beinahe ebenso rabenschwarz wie sein Haar. Seit circa eineinhalb Monaten nennt der Junge die insgesamt 225 Quadratmeter fassenden Räumlichkeiten im ehemaligen Schwesternschülerwohnheim sein Zuhause. Der Gebäudetrakt bietet sechs Zimmer für je zwei Personen sowie Aufenthaltsräume. Zwölf Jungen im Alter von zwischen 14 und 17 Jahren aus Afghanistan und Syrien leben derzeit hier. Sie haben es nach Deutschland geschafft, ihre einstige Heimat hinter sich gelassen. Und sie alle haben eine Geschichte zu erzählen - von einer leidvollen Reise.

Traumatische Erlebnisse im Gepäck

"Die Clearing-Stelle soll - wie der Name schon sagt - die familiären Umstände und das weitere Vorgehen klären", sagt Anita Skobl, Regionalleiterin für Süd- und Ostbayern der Rummelsberger Diakonie, einem Wohlfahrtsverband der evangelischen Kirche mit 30-jähriger Erfahrung im Umgang mit Flüchtlingen. "Die Aufenthaltsdauer in der Erstaufnahmestelle sind circa zehn Wochen", informiert Gruppenleiterin Christina Able. Danach werde mit dem Jugendamt ein Bericht erarbeitet und entschieden, wie es weitergeht.

"Besonders wichtig sind der Deutsch-Unterricht, aber auch das Erlernen praktischer Dinge des alltäglichen Lebens", hebt Anita Skobl hervor. Erste Deutsch-Grundlagen wie "guten Morgen" und "wie geht's?" beherrschen die Jungen bereits. Für den Unterricht hat die Mittelschule Räume zur Verfügung gestellt. "Wir machen viele lebenspraktische Dinge", sagt Christina Able. "Zum Beispiel haben wir mal Straßenschilder fotografiert, damit die Jungen mit den deutschen Verkehrszeichen vertraut werden." Neben der schulischen werde auch großer Wert auf die psychologische Betreuung gelegt. Denn der Großteil der jungen Asylbewerber ist durch seine Erlebnisse traumatisiert.

Jawad (Name geändert) ist 16 Jahre alt, in der afghanischen Hauptstadt Kabul geboren. Er spricht Dari, etwas Englisch und mittlerweile auch ein wenig Deutsch. Jawad stammt aus einer Mittelschicht-Familie, hat zwei Schwestern und drei Brüder. Seine Mutter ist Hausfrau - sein Vater seit 2011 nicht auffindbar. Vor drei Jahren ist sein Vater - vermutlich von Taliban - verschleppt worden. Davor hatte er für die Regierung gearbeitet. Seit nunmehr drei Jahren hat die Familie nichts mehr von ihm gehört.

"Wichtig ist, dass sich zuerst mal Psychologen ein Bild von den Jungen machen. Es muss diagnostiziert werden, inwiefern es medizinischen, psychologischen, pädagogischen und schulischen Bedarf gibt", sagt Anita Skobl. Diese vier Bereiche gelte es abzuklären. Vor allem aber solle ein Gefühl der Sicherheit vermittelt werden. Einige der Jugendlichen leben in Ungewissheit darüber, was aus ihren Familien geworden ist. "Ein Junge ist zum Beispiel in Griechenland von seinem jüngeren Bruder getrennt worden - und seitdem hat er ihn nicht mehr gesehen, es gibt keine Spur von ihm. Viele haben schlimme Sachen erlebt, hatten Unfälle bei ihrer Flucht. Aber das sind schon taffe Männer", sagt Christina Able.

Die Flüchtlinge haben eine beschwerliche, weite Reise hinter sich. Und sie haben es geschafft. Sie leben. "Die meisten sind sehr motiviert, lernwillig." Und sie sind Überlebenskünstler, wie es Anita Skobl formuliert. Die Asylbewerber müssen sich an viele Dinge, die ihnen bisher unbekannt waren, erst noch gewöhnen - auch an den kleinen Plastik-Christbaum in der Clearing-Stelle.

Die Nintendo Wii hat den Adventskranz fürs Erste auf den Schrank verdrängt: Im Gruppenraum verbringen die jungen Asylbewerber einen Großteil ihrer Freizeit. Um die Identität der Jugendlichen zu schützen, wurden sie von hinten fotografiert. (Foto: S. Wimberger)

Die Nintendo Wii hat den Adventskranz fürs Erste auf den Schrank verdrängt: Im Gruppenraum verbringen die jungen Asylbewerber einen Großteil ihrer Freizeit. Um die Identität der Jugendlichen zu schützen, wurden sie von hinten fotografiert. (Foto: S. Wimberger)