Der Stammtisch und die AfD

Wut im Wald


Feindbilder: Merkel und Flüchtlinge. Damit macht die AfD Wahlkampf. Heute genau so wie hier bei einem Wahlkampfauftritt der Bund

Feindbilder: Merkel und Flüchtlinge. Damit macht die AfD Wahlkampf. Heute genau so wie hier bei einem Wahlkampfauftritt der Bundeskanzlerin in Regensburg im September 2017, kurz vor der Bundestagswahl.

Alexander Straßner ist Politikwissenschaftler an der Universität Regensburg. Geboren ist er in Zwiesel, mitten im Bayerischen Wald. Dort, wo die AfD bei der Bundestagswahl 2017 ihr bestes Ergebnis im Freistaat geholt hat.

Die Diskussion um das „Warum“ reißt seitdem nicht ab. Straßner saß schon im Wirtshaus der Eltern am Stammtisch und hat diskutiert. Genau diese Streitkultur sei verloren gegangen, sagt er. Dabei sei genau die jetzt so wichtig. Den politischen Eliten wirft Straßner schlechten Stil vor.

Herr Straßner, Sie kommen aus Zwiesel im Bayerischen Wald. Fühlen Sie sich abgehängt?

Alexander Straßner: (lacht) Ich persönlich nicht. Ich kann aber verstehen, dass sich viele Menschen im Bayerischen Wald abgehängt fühlen. Das hat vor allem mit der Entwicklung nach 1989/90 zu tun. Bis zu dem Zeitpunkt war der Bayerische Wald ein absolutes Zentrum für Tourismus. Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs sind staatliche Maßnahmen weggefallen. Das hat dazu geführt, dass die Tourismusindustrie zusammengebrochen ist, dass die Glasindustrie zusammengebrochen ist. Da hat man sich alleingelassen gefühlt.

Was hat die Politik da verpasst?

Straßner: Vor allem, dass die wichtigen politischen Eliten sich nicht mehr blicken lassen haben. Von der CSU hat man sich im Bayerischen Wald in den letzten Jahren fremdbestimmt und ein bisschen gegängelt gefühlt. Wenn ich da an die Erweiterung des Nationalparks denke, gegen die Stimmen der ortsansässigen Bevölkerung. Wenn ich an den Ausbau der Windenergie denke, der da diskutiert wird. In Oberbayern wird dringend saubere Energie gebraucht, aber die Windräder sollen im Bayerischen Wald stehen. Da kann ich das schon verstehen, dass man einen gewissen Grant entwickelt.

Wie würden Sie die politische Kultur im Bayerischen Wald beschreiben?

Straßner: Der Bayerische Wald hat eine gespaltene politische Kultur. Es gibt ein ganz ausgeprägtes Heimatgefühl, einen starken Struktur- und Wertkonservatismus. Man sieht bei Wahlen immer nur die CSU-Direktmandate. Gleichzeitig war die Schwerpunktindustrie im Bayerischen Wald die Holz- und Glasindustrie. Das hat zu einem hohen Arbeiteranteil geführt. Auf kommunaler Ebene gab es über lange Jahrzehnte hinweg eine stark gefestigte Sozialdemokratie. Mit der Degeneration der Sozialdemokraten haben diese Menschen ihre politische Heimat verloren. Im Bayerischen Wald wurde eine Nische frei, um die sich die etablierten Parteien nicht mehr gekümmert haben.

Alexander Straßner, Politikwissenschaftler aus Zwiesel.

Alexander Straßner, Politikwissenschaftler aus Zwiesel.

Hat die AfD diese Nische jetzt ausgefüllt?

Straßner: Die Nische hat die AfD selbstverständlich überhaupt nicht besetzt. Die ist ja inhaltlich ausgesprochen dürftig aufgestellt. Aber das Wahlergebnis ist Ausdruck eines Frustpotenzials. Die AfD steht stellvertretend für etwas, was den Menschen an der etablierten Politik nicht mehr passt.

Es gibt auch die Theorie, dass die AfD es einfach geschafft hat, ohnehin vorhandene rechte Tendenzen perfekt abzuschöpfen...

Straßner: Allein der Begriff rechte Tendenzen ist sehr unklar. Spätestens seit Ausbruch der Flüchtlingskrise ist eine ganz große Nische im Parteiensystem freigeworden. Der politische Konservatismus. Da ist ein riesengroßer blinder Fleck entstanden. Die Union ist mit Angela Merkel in die politische Mitte gewandert und hat das klassisch konservative Spektrum völlig aus den Augen verloren. Da muss man sich nicht wundern, dass Menschen sich dann Sorgen machen. Das ist aber nicht antidemokratisch oder fremdenfeindlich. Das sind konservative Standpunkte, die genauso legitim sind wie liberale.

Kommentar zum Thema

Die AfD hat eigentlich nur mit dem Thema „Flüchtlinge“ und mit dem Feindbild Merkel Wahlkampf gemacht. In Mauth im Kreis Freyung-Grafenau hatte sie mit rund 28 Prozent ihr bestes Ergebnis in Bayern. Dort leben kaum Flüchtlinge...

Straßner: Grundsätzlich sind relativ wenige Flüchtlinge dort angesiedelt. Aber das muss man in Relation zur gesamten Einwohnerzahl sehen. Im Bayerischen Wald tut man sich mit Veränderungen immer hart. Im urbanen Ballungsraum fällt die Aufnahme von Flüchtlingen nicht besonders stark auf, weil man da meistens sowieso eine multi-ethnische Zusammensetzung der Bevölkerung hat. Im ländlichen Raum sind aber schon wenige Flüchtlinge in der Lage, das Stadt- oder Dorfbild entsprechend zu verändern und bei den Menschen für Verunsicherung zu sorgen. Das ist nichts anderes als Ausdruck von Verunsicherung und kein latenter Rassismus oder Anti-Flüchtlings-Stimmung.

Haben Sie als Bayerwäldler eigentlich am starken AfD-Ergebnis zu knabbern?

Straßner: Nein. Wieso sollte ich? Die AfD ist, so ungern manche das hören mögen, eine demokratisch legitimierte Partei. Solang die nicht extremistisch argumentiert, solang sie nicht gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung verstößt, muss man das als Sprachrohr akzeptieren. Das gehört nun mal zur Demokratie. Das ist eine Fingerübung in Toleranz. Man muss einen politischen Gegner akzeptieren, auch wenn er einem nicht passt.

Sollten wir also an Stammtischen streiten?

Straßner: Vielleicht sollte man sich den Stammtischen mal wieder ein bisschen annähern. Allerdings hat man sich davon vollständig entfernt. Viele Politiker empfinden die Stammtischarbeit als Zumutung. Da muss man sich nicht wundern, wenn man sich von den Menschen auf der Straße entfernt und bei den Wahlen einen Denkzettel kriegt.

Mischen Sie sich am Stammtisch bei solchen Themen ein?

Straßner: Ganz bestimmt! Meine Eltern hatten ein Wirtshaus. Das gibt es zwar leider nicht mehr, aber ich saß immer gerne dabei. Ich habe auch zur Mäßigung aufgerufen. Freilich gibt es dort unreflektierte Meinungen, das sind ja nicht lauter Akademiker. Aber es gibt halt auch Menschen mit ganz einfachen Nöten. Die müssen alte Menschen pflegen, Kinder erziehen und ein Haus abbezahlen. Die sind mit anderen Problemen konfrontiert, als genau die richtigen Worte zu treffen, oder einzuordnen, ob ein Standpunkt jetzt rechts ist.

Was müssen die Volksparteien jetzt tun, um die Menschen wieder abzuholen?

Straßner: Ob die Volksparteien wirklich noch eine Zukunft haben, lassen wir mal dahingestellt. Es wäre auf jeden Fall dringend nötig, dass man das Diskutieren wieder lernt. Allerspätestens seit der Flüchtlingskrise ist doch klar geworden, dass man in politischen Sachfragen überhaupt nicht mehr miteinander redet. Wenn jemand einen konservativen Standpunkt formuliert, ist er ein Rechter. Das rückt ihn in die Ecke einer radikalen Minderheit, mit der man nicht zu reden braucht. Wer am Bahnhof steht und applaudiert, wenn die Flüchtlinge kommen, der ist ein Gutmensch. Und so argumentiert man nur noch in polarisierten Strukturen. Und politische Eliten müssen sich auch wieder an die Stammtische setzen. Da müssen auch mal wieder die Koryphäen dorthin kommen, wo es knirscht in der Politik. Nicht nur beim Volksfest schnell eine Rede halten und wieder heimfahren. Das ist ein schlechter politischer Stil. Diese Entfremdung hat erst zum Erstarken des Populismus geführt.

Und wie geht man mit dem Populismus jetzt um?

Straßner: Wir müssen uns inhaltlich mit den Positionen der AfD auseinandersetzen. Angriffsfläche genug gibt’s. Populismus ist ein Korrektiv. Ganz offensichtlich haben die etablierten Parteien viel verpasst. Nur: Wenn man inhaltlich der AfD nicht beikommt, dann hat das nicht nur was mit der AfD zu tun, sondern auch mit einem selber.

Interview: Alexander Bayer

Der Bayerische Wald: Hochburg der AfD

Fassungslosigkeit und Entsetzen bei den einen, Freude bei den anderen. So lässt sich die Stimmung im Bayerischen Wald am 26. September 2017 zusammenfassen. An jenem Tag, an dem die AfD bei der Bundestagswahl im Grenzgebiet zu Tschechien ihr bestes Ergebnis in Bayern geholt hat. Mit populistischem Wahlkampf zu 19,2 Prozent der Stimmen im Kreis Deggendorf – so viele wie in keinem anderen Kreis im Freistaat. Satte 28 Prozent in der Gemeinde Mauth – AfD-Spitzenwert in Bayern. Viele versuchten sich danach in Ursachenforschung.

Viel mehr als Binsenweisheiten und Klischees waren in den Tagen nach der Wahl nicht zu lesen. Die Zahlen ließen Kommentatoren zumindest zu einem Schluss kommen: Sowohl im Landkreis Deggendorf als auch in der Gemeinde Mauth stieg die Wahlbeteiligung sprunghaft an. Die AfD hatte es also geschafft, Politikverdrossene und Nicht-Wähler anzusprechen. Vor allem jene, die sich von etablierten Parteien vergessen fühlten.