Klischee und Kult

Dort, wo es nur drei Ampeln gibt


Idyllisch inmitten von Wald und Wiesen erhebt sich der Markt Perlesreut.

Idyllisch inmitten von Wald und Wiesen erhebt sich der Markt Perlesreut.

Ein Leben in der Großstadt? – „Ist nichts für mich“, sagt David Osterer bestimmt und schüttelt den Kopf. Er setzt sich eine Schutzbrille auf und dreht an einem Rädchen, ehe eine grelle, blau leuchtende Flamme aus dem Glasbrenner herausschießt. Vorsichtig hält er ein Stück Glas in beiden Händen und dreht es gleichmäßig in der Flamme.

Der 27-Jährige lebt gern in seiner Heimat. Er ist bewusst in seinen Geburtsort Ringelai im Landkreis Freyung-Grafenau zurückgekehrt. Zuvor hat er unter anderem in München den Beruf des Glasfachmannes erlernt. Abgesehen davon, dass ihm das Leben in der Stadt zu teuer ist, „habe ich hier Familie, Freunde und Bekannte um mich herum“.

Konzentriert bläst er in das Glas, bis sich der unverarbeitete Körper langsam aufbläht und eine gleichmäßig runde Kugel entsteht. Er schiebt sich die Schutzbrille von der Nase, Schweiß perlt über seine Stirn. Bevor er weiter arbeitet, hält er für einen Moment inne und blickt aus dem Fenster seiner Werkstatt.

Er atmet tief ein: „Wenn ich aus dem Fenster schaue und die Natur sehe, geht mir das Herz auf“, schwärmt der 27-jährige Glasfachmann. In der Stadt fühle er sich hingegen eingeengt und gefangen, nicht frei. „Mir fehlt die Luft zum Atmen.“ Auch die urbane Hektik und Unruhe missfällt Osterer. Er schätzt das entschleunigte Lebensgefühl und die Ruhe und Gemütlichkeit am Land.

Diese Mentalität wirkt sich auch auf seine Arbeit aus. Denn der 27-Jährige setzt auf Einzelfertigungen und Handarbeit statt Massenfertigung. „Regionales Handwerk muss man schätzen und ihm mit Respekt begegnen“, sagt der Rückkehrer. Billige Fließbandfertigung? – Osterer rümpft die Nase: „Davon halte ich nicht viel.“

Regionalmanager sorgen dafür, dass Menschen wie Osterer auch einen Anreiz haben, um auf dem Land zu bleiben. Einer davon ist Stefan Schuster. Der gebürtige Augsburger ist in Straubing aufgewachsen, und hat über die Stationen München und Passau den Weg nach Freyung gefunden und ist nun Regionalmanager des Landkreises.

Mit einem Marketingmix, wie er es selbst nennt, will Schuster mit den Hinterwäldler-Klischees aufräumen und das Bewusstsein für die Wertigkeit des ländlichen Raumes wecken. Dafür wirbt der Landkreis viel auf Social-Media-Kanälen, präsentiert sich auf Messen und bespielt große, digitale Werbeflächen im Großraum München. Womit? „Mit Ampelanlagen“, antwortet Schuster knapp. Was im ersten Moment irritierend wirkt, löst sich schnell auf. Im Landkreis Freyung-Grafenau gebe es nur drei Ampeln – in München seien es um die 900. Die Nachricht dahinter: „Wir verbringen den Feierabend nicht im Stau, wir nutzen und genießen die Freizeit nach einem stressigen Arbeitstag“, sagt Schuster. Das schlagende Argument jedoch sind die niedrigen Lebenshaltungskosten im Landkreis Freyung-Grafenau.

Claudia Pecho schaut zwischen ihren zwei Computerbildschirmen hindurch. Sie sitzt hinter ihrem Schreibtisch in der sogenannten Bauhütte in Perlesreut. Sie ist die Geschäftsführerin des Ilzer Landes – ein Verbund von zwölf Kommunen aus den Landkreisen Freyung-Grafenau und Passau mit Sitz in Perlesreut. Auch sie ist eine Heimkehrerin, hat in Berlin studiert und in Potsdam promoviert. Heute wohnt sie in Passau. Zwar fühlt sie sich auch in einer mittelgroßen Stadt wie Passau wohl, „aber in Großstädten ist die Gemeinschaft meist nur temporär und nicht von Dauer“, erklärt sie ihre Rückkehr in die Nähe ihrer Heimat. „Die Mentalität und der Humor sind auf dem Land einfach anders“, sagt sie. Gegenseitige Unterstützung und Tradition verbinden – und halten die Menschen hier auf dem Land.

Regional produzieren, global liefern

Sie bestätigt, dass es an Arbeitsplätzen nicht mangle. „Wir müssen nur noch besser sichtbar machen, wie innovativ die Arbeit und hoch qualifiziert die Jobs bei uns sind.“ Dafür müsse die Region noch mehr Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Denn: „Wahrnehmbarkeit gehört zur Attraktivität – und Attraktivität spielt sich oftmals im Internet ab“, sagt Pecho. Die Globalisierung bezeichnet sie als einen Segen. Anfangs war der irrtümliche Glaube, dass dadurch der ländliche Raum völlig abgedrängt werde. Dabei entpuppte sich globales Denken als eine Chance fürs Land. Denn: Der Warenverkehr fließt. „Wir können hier regional produzieren, aber die Ware in die ganze Welt hinaus verschicken und liefern“, sagt Pecho.

Dem Land laufen die Frauen davon

Um Rückkehrer müsste aber gar nicht erst geworben werden, wenn die jungen Leute nicht zuvor weggingen. Um dem entgegenzuwirken hat der Landkreis Freyung-Grafenau für kommendes Jahr eine Sozialraumanalyse in Auftrag gegeben: Schwerpunkt wird eine geschlechterspezifische Betrachtung werden. Denn es fällt auf, dass mehr Frauen dem ländlichen Raum den Rücken kehren – und nur selten wiederkommen. Das bekommen auch Schuster und Pecho immer öfter zu hören. Woran das liegt? – „Können wir uns auch nicht so recht erklären“, gibt Schuster zu.

Aber eine Vermutung hat er – und spricht es wohl auch deshalb nur sehr leise aus: Die meist männlich geprägte Vereinskultur könnte ein Grund sein. Am mitgliederstärksten sind unter anderem die Feuerwehren und Fußballvereine auf dem Land. „Mädchen und junge Frauen würden sich womöglich lieber einen Volleyballverein wünschen“, mutmaßt Schuster.

Neben solchen Analysen kümmern sich die Regionalmanager unter anderem um die Schaffung regionaler Netzwerke, Zusammenarbeit mit anderen Wirtschaftsregionen und initiieren verschiedene Projekte – damit der ländliche Raum lebenswert bleibt.