Politik

Was ist dran an Beamtenmythen?

Gerade erst wurde zum x-ten Mal vorgeschlagen, Beamte sollten in die Rentenkasse zahlen. Die Argumente für und wider Staatsdienerregeln.


Reiner Holznagel, Präsident des Bundes der Steuerzahler.

Reiner Holznagel, Präsident des Bundes der Steuerzahler.

Von Martina Scheffler

Mega-Mietzuschuss", "abkassieren" - die Volksseele kochte hoch, als Ende vergangenen Jahres bekannt wurde, dass Beamte mit Kindern rückwirkend einen Mietzuschuss erhalten sollen. Nicht nur deshalb wurde - wieder mal - Kritik an Beamten geübt. Sie sollten in die Rentenkasse einzahlen, forderte im Februar der Präsident des Bundessozialgerichts Rainer Schlegel. Was ist dran an Ansichten über Beamtenprivilegien?

Besoldung versus Lohn: Ist man mit einem Beamtengehalt besser dran?

"Wir haben eine Bandbreite", sagt der Vorsitzende des Bayerischen Beamtenbundes (BBB) Rainer Nachtigall der AZ. Von der Besoldungsgruppe A3 (Stufe 1: 2370,74 Euro brutto, Stufe 8: 2693,09 Euro) bis A16 (6368,18 bis 8078,22 Euro) bis hin zur B-Besoldung (bis B11 - 15 074,80 Euro) gehen die Gehälter.

Rainer Nachtigall.

Rainer Nachtigall.

Allerdings, so gibt Nachtigall zu bedenken, seien im Öffentlichen Dienst "die Bildungsabschlüsse im Beamtenbereich höher als im Tarifbereich" - also bei Angestellten. Etwa 70 Prozent der Beamten hätten "mindestens Fachhochschulabschlüsse", bei Tarifbeschäftigten liege der Anteil nur bei zehn bis 15 Prozent.

Aber ein Beamter wüsste, dass er "die großen Verdienstmöglichkeiten, die es in der freien Wirtschaft für Leistungsstarke gibt, so nicht hat". Bei Beamten seien den Aufstiegsmöglichkeiten Grenzen gesetzt, ein schneller Aufstieg nicht möglich: "Da gibt es einen dreijährigen Turnus, man ist von Bewertungen abhängig und muss sich dann bewerben." Auch in puncto Bonuszahlungen schauten Beamte in die Röhre. In der Automobilwirtschaft etwa "gibt's schon mal Prämienzahlungen, wenn Geschäftsjahre gut laufen, das ist halt wurscht im Öffentlichen Dienst".

"Die Kosten steigen im Alter ordentlich"

Die öffentliche Meinung hält offenbar die Gehälter der Beamten für hoch genug, zumindest laut einer Umfrage im Auftrag der "Bild": Darin sprachen sich im Dezember 60 Prozent der Befragten gegen eine Erhöhung der Besoldung von Beamten aus. Da die Entwicklung der Bezüge bei Beamten an die von Hartz IV beziehungsweise des Bürgergeldes gekoppelt ist, steigen demnach bei einer Erhöhung der Sozialleistung auch die Beamtengehälter. "Die Mehrheit der Deutschen will nicht, dass die Gehälter der Staatsdiener automatisch steigen", konstatierte Bild.

Private Krankenversicherung und Beihilfe vs. gesetzliche Krankenversicherung: Gibt es da Klassenunterschiede?

Ja, räumt Rainer Nachtigall ein, man bekomme als Privatversicherter wohl schneller einen Termin beim Facharzt: "Es wird sicher Beispiele geben, wo das so ist, aber das ist die Frage, wie reagiert die Ärzteschaft, das ist kein Problem der Versicherung."

Aber: Es gebe innerhalb der Beamtenschaft "durchaus kontroverse Diskussionen" darüber, dass die private Versicherung teurer sei als die gesetzliche, gerade für Eltern, die viele Kinder haben. "Aber auch durch die Steigerungsraten im privaten Bereich." Mit zunehmendem Alter würden die Kosten "ordentlich steigen".

Das führe auch in den eigenen Reihen bei einigen zu der Überlegung, ob eine Bürgerversicherung nicht der bessere Ansatz sei. Der BBB sehe das nicht, sagt Nachtigall: "Die Kombination aus Beihilfe und privater Versicherung ist aus unserer Sicht ein bewährtes System."

Wer sich für eine Bürgerversicherung einsetze, tue dies, weil die gesetzliche Krankenversicherung vor großen Herausforderungen stehe. Der Gedanke, durch eine Versicherung für alle Zugriff auf die Rückstellungen der Privaten zu bekommen, sei keine Lösung. Es handele sich nur um einen einmaligen Effekt, dafür seien dann mehrere Millionen Menschen mehr in einer gemeinsamen Versicherung. "Diese zusätzlichen Versicherten verursachen ja auch Kosten und bringen nicht nur Beiträge."

Der Verband der Privaten Krankenversicherung gibt außerdem zu bedenken, Privatversicherte tragen "mit ihren Honoraren überproportional zur medizinischen Infrastruktur bei", und weiter: "Ohne PKV fehlten jedem niedergelassenen Arzt im Schnitt über 55 000 Euro pro Jahr - das Gesundheitssystem insgesamt würde 12,7 Milliarden Euro einbüßen."

Die positiven Effekte einer Bürgerversicherung sprechen dagegen etwa die Autoren einer Studie im Auftrag der Bertelsmann Stiftung an. "Wenn alle Bundesbürger gesetzlich versichert wären, würde die Gesetzliche Krankenversicherung jährlich ein finanzielles Plus in Höhe von rund neun Milliarden Euro erzielen", heißt es zu der Studie von 2020.

"Der Beitragssatz könnte entsprechend je nach Szenario um 0,6 bis 0,2 Prozentpunkte sinken." Bislang gesetzlich versicherte Arbeitnehmer und ihre Arbeitgeber könnten 145 Euro an Beiträgen pro Jahr sparen.

Begründung: Die bislang Privatversicherten verdienen mehr (im Durchschnitt 56 Prozent) und seien gesünder. So sei der Anteil mit mindestens einem Krankenhausaufenthalt pro Jahr bei Privatversicherten mit 17 Prozent deutlich geringer als bei GKV-Versicherten mit 23 Prozent. Kritisiert wurde ein weiterer Effekt, der in Bayern beobachtet wurde: Je mehr Privatversicherte es in einer Region gibt, desto mehr Ärzte lassen sich dort nieder.

Pension versus Rente: Kann sich der Staat Pensionen noch leisten?

Bei der Kritik, Pensionen seien zu hoch und eine Rente für alle gerechter, gehe es manchen um den Beamtenstatus an sich, sagt Rainer Nachtigall. "Das entzündet sich hauptsächlich an Lehrern." Die könnten sowohl Angestellte als auch Beamte sein. Aber dazu habe sich das Bundesverfassungsgericht geäußert und angegeben, dass Lehrer verbeamtet sein sollten. "Für uns ist die Diskussion schräg", sagt Nachtigall. "Man kann das infrage stellen, aber: Die Frage ist geklärt."

Auch Kritiker gäben zu, dass es einen Kernbereich geben müsse, Polizei, Steuer, Zoll, in dem Beamte arbeiten.

"Bei hoheitlichen Aufgaben, die für die Ausübung der Staatsgewalt unabdingbar sind, hat eine Verbeamtung nach wie vor Sinn - zum Beispiel bei Polizei und Justiz", sagt der Präsident des Bundes der Steuerzahler Deutschland (BdSt), Reiner Holznagel, der AZ.

"Eine teure Variante der Personalpolitik"

"Insgesamt muss die Verbeamtungspraxis der vergangenen Jahrzehnte aber kritisch gesehen werden: Zum einen sind kaum Vorkehrungen für künftige Pensions- und Versorgungslasten geschaffen worden. Deshalb haben die öffentlichen Haushalte schon heute ein großes Problem - mit zunehmender Verschärfung!"

2021 gab das Bundesarbeitsministerium an, 82 Prozent der gesetzlichen Renten in Deutschland belaufen sich auf weniger als 1500 Euro monatlich. 95,1 Prozent der Pensionen von Bundesbeamten aber liegen über diesem Betrag. Das Bundesarbeitsministerium erklärte den großen Unterschied zwischen Renten und Beamtenpensionen unter anderem damit, dass in die Statistik auch Renten eingingen, die etwa aufgrund von geringen Beschäftigungszeiten sehr niedrig ausfielen.

"Fakt ist, dass aktive Beamte für den Landeshaushalt durchaus attraktiv sind, weil der Staat als Arbeitgeber bzw. Dienstherr keine Sozialversicherungsbeiträge leisten muss", sagt BdSt-Präsident Holznagel. "Viele Jahre später, im Pensionsalter, kehrt sich dieser Vorteil aber um: Dann muss die Beamten-Versorgung inklusive der Gesundheitsfinanzierung nämlich mit Steuermitteln aufgebracht werden. Unterm Strich ist das Beamtenverhältnis eine teure Variante der Personalpolitik für Staat und Steuerzahler."

Treue vs. Freiheit: Können Beamte machen, was sie wollen? * Auch noch als Pensionär habe man Treuepflichten dem Staat gegenüber, sagt BBB-Vorsitzender Nachtigall. Das habe sich etwa bei den jüngsten Ermittlungen gegen die sogenannte "Reichsbürger"-Szene gezeigt: Pensionäre, die gegen ihre Treuepflicht verstoßen, können sanktioniert werden.

"Wenn sich ein Tarifbeschäftigter in der Rente etwas zuschulden kommen lässt, Straftaten etwa, dann ist das halt so" und könne nur mit Strafverfolgung geahndet werden.

Einem Pensionär drohe dagegen mitunter der Verlust des Ruhegehalts. Die Treueverpflichtung beinhalte auch das Streikverbot, "das sichert dem Staat Arbeitsfähigkeit zu". Wo es das nicht gibt, zeige sich Chaos wie etwa bei der Bahn oder an Flughäfen. "Der große Vorteil für den Staat ist die Verlässlichkeit." Auch die eigene Jobsicherheit erkauften Beamte mit dem Verzicht auf Streikmöglichkeiten. Nachtigall sieht in vielen Diskussionen eine "Neiddebatte, die häufig geführt wird, wenn es für die Wirtschaft kritisch wird".

BdSt-Präsident Holznagel fordert "eine strukturelle Modernisierung in diesem Beschäftigungsverhältnis". Und weiter: "Das Beamtenrecht steht einem modernen Staat oft selbst im Weg. So beklagen Lehrkräfte die verkrusteten Strukturen. Das gesamte System muss zeitgemäßer werden! Mein Fazit: Auch die Personalpolitik der öffentlichen Hand braucht eine Zeitenwende! Wir benötigen Menschen im Öffentlichen Dienst, die qualifiziert und motiviert sind, wir brauchen gute Rahmenbedingungen, aber auch mehr Nachhaltigkeit in den Haushalten!"