Krieg

Scholz kritisiert Ukraine-Debatte scharf


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Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD).

Von dpa

Bundeskanzler Olaf Scholz hat die seit Wochen laufende Debatte über die deutsche Unterstützung für die Ukraine scharf kritisiert. "Die Debatte in Deutschland ist an Lächerlichkeit nicht zu überbieten", sagte er bei der Konferenz Europe 2024 in Berlin. "Das ist peinlich für uns als Land."

SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich hielt unterdessen an seiner Idee eines "Einfrieren des Kriegs" fest, von der sich inzwischen aus seiner eigenen Partei auch Verteidigungsminister Boris Pistorius mit den Worten distanziert hat: "Es würde am Ende nur Putin helfen."

Der Kanzler hatte Ende Februar einer Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern mit einer Reichweite von 500 Kilometern eine klare Absage erteilt und damit eine heftige Debatte ausgelöst, in der sich neben der Union auch die Koalitionspartner Grüne und FDP gegen ihn stellten.

"Es ist eine ziemlich wenig erwachsene, peinliche Debatte in Deutschland, die außerhalb Deutschlands niemand versteht", sagte Scholz nun auf der Veranstaltung Europe 2024 von "Zeit", "Handelsblatt", "Tagesspiegel" und "Wirtschaftswoche". Er verwies darauf, dass Deutschland der zweitgrößte Waffenlieferant der Ukraine ist und dies im Ausland auch anerkannt werde. "Ich wünsche mir eine Debatte in Deutschland, die Besonnenheit nicht diskreditiert, als etwas, das zögerlich sei."

Dem Kanzler ist immer wieder Zögerlichkeit bei der Lieferung von Waffen für den ukrainischen Abwehrkampf gegen Russland vorgeworfen worden. Scholz hielt den Kritikern entgegen, dass Deutschland nicht nur bei der Menge der gelieferten Waffen vorangeschritten sei, sondern auch, was die Qualität der Waffensysteme angeht. "Wir haben ja als Deutsche, wenn ich das über Zögern nochmal sagen darf, fast alle gefährlichen Waffen als Allererste geliefert", sagte er. Er nannte weitreichende Artillerie und Kampfpanzer als Beispiele. "Ich könnte diese Liste unendlich verlängern."

Aber stimmt das wirklich? Scholz war vor allem bei der Lieferung der Kampfpanzer vom Typ Leopard 2 Zögerlichkeit vorgeworfen worden. Erst nach monatelanger Debatte und unter massivem Druck der osteuropäischen Verbündeten entschied er sich im Januar 2023 dafür. Voraussetzung war, dass auch die USA ihre Abrams-Panzer zur Verfügung stellten. Der "Allererste" war Scholz mit der Zusage nicht. Großbritannien hatte vorher schon seine Challenger versprochen.

Trotzdem wird Deutschland seit dieser Entscheidung als wichtigster Unterstützer der Ukraine neben den USA und Großbritannien international anerkannt - auch vom ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, von dem seitdem keine offene Kritik an den deutschen Waffenlieferungen mehr zu hören ist.

Bei der Lieferung von Marschflugkörpern sind allerdings nun andere Länder vorangeschritten: Frankreich und Großbritannien haben ihre Raketen der Typen Storm Shadow und Scalp schon vor längerer Zeit bereitgestellt. Scholz will das leistungsfähigere Taurus-System der Bundeswehr dagegen nicht liefern. Er befürchtet, dass Deutschland dadurch in den Krieg hineingezogen werden könnte.

Als wenn er mit Taurus nicht schon genug zu tun hätte, hat die Debatte für den Kanzler mit dem Vorstoß Mützenichs noch eine neue Wendung genommen. "Ist es nicht an der Zeit, dass wir nicht nur darüber reden, wie man einen Krieg führt, sondern auch darüber nachdenken, wie man einen Krieg einfrieren und später auch beenden kann?", hatte Mützenich in der vergangenen Woche in der Bundestagsdebatte über Taurus gesagt.

Der "Neuen Westfälischen" sagte der SPD-Fraktionschef auf die Frage, ob er seine Äußerung zurücknehmen möchte. "Nein, das möchte ich nicht. Ich bin in den Sozial- und Friedenswissenschaften ausgebildet. Dort wird das Einfrieren als Begrifflichkeit genutzt, um in einer besonderen Situation zeitlich befristete lokale Waffenruhen und humanitäre Feuerpausen zu ermöglichen, die überführt werden können in eine beständige Abwesenheit militärischer Gewalt." Das benötige natürlich die Zustimmung beider Kriegsparteien, was man nicht von außen diktieren könne.

Mützenich ist von Politikern der Union, aber seitens der Koalitionspartner Grüne und FDP für die Äußerung scharf kritisiert worden. Am Montag distanzierte sich auch Verteidigungsminister und Parteikollege Boris Pistorius von ihm. Bei einem Besuch in Warschau sagte er: "Einen Diktatfrieden darf es nicht geben und keinen Frieden, der dazu führt, oder einen Waffenstillstand oder ein Einfrieren, bei dem Putin am Ende gestärkt herausgeht und den Konflikt fortsetzt, wann immer es ihm beliebt."

Noch deutlicher wurde Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne). "Heute vor 10 Jahren hat Wladimir Putin die Krim annektiert", schrieb die Grünen-Politikerin auf der Plattform X (früher Twitter). "Wer glaubt, seinen Krieg gegen die Ukraine einfrieren zu können, der sollte in die Geschichte schauen."

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Boris Pistorius (SPD), Bundesminister der Verteidigung.

Verteidigungsminister Boris Pistorius warnt indes davor, in der Debatte die wesentlichen Bedürfnisse der Ukraine im Abwehrkampf aus dem Blick zu verlieren.

Ausreichend Artilleriemunition, weiter reichende Raketenartillerie sowie die Luftverteidigung seien die wirklich existenziellen Fragen, sagte der SPD-Politiker im Deutschlandfunk vor einer neuen Abstimmungsrunde der Ukraine-Unterstützer in Ramstein.

Er kritisierte, dass aus einer geheimen Sitzung des Verteidigungsausschusses Informationen öffentlich wurden. "Dass aus der Sitzung Geheimes nach draußen gedrungen ist, gehört genau zu dieser Kakofonie. Jeder versucht, sich über sein Verhalten zu profilieren, in irgendeiner Weise sein Spiel zu spielen", sagte Pistorius. Er wundere sich ohnehin, dass mehr als 100 Teilnehmer bei einer solchen Sitzung dabei gewesen seien.

Bei der Unterstützung der Ukraine ist nach seinen Worten die Geschlossenheit sowohl der Regierungskoalition als auch der Regierungsfraktionen ungebrochen. Er warnte aber auch vor Schaden in der Taurus-Debatte: "Also zunächst mal ist diese Diskussion über Monate auf die Spitze getrieben worden. Das ist das gute Recht von jedermann, der das möchte. Man hätte ja gar nicht an den Punkt kommen müssen, dass ein für alle Mal auszuschließen. Ich glaube allerdings, dass klar sein muss, dass die Unterstützung für die Ukraine auf anderen Feldern wichtiger ist."

Pistorius bekräftigte, dass er nicht von einem Einfrieren des Kriegs in der Ukraine gesprochen hätte, wie es der SPD-Fraktionsvorsitzende Rolf Mützenich tat. "Weil das Wort einfrieren signalisiert, man könne einen solchen Krieg und wir reden ja nicht über einen beidseitigen Konflikt, einen solchen Krieg einfach so einfrieren und dann hoffen, dass es besser wird. Wir wissen aus der Geschichte und aus den Erfahrungen mit Putin, dass das niemals so sein wird", sagte Pistorius. Die Worte Mützenichs bedeuteten aber den Wunsch nach Frieden.

Auch die Spitze der Unionsfraktion hat die neuerlichen Äußerungen von SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich zu einem Einfrieren des Ukraine-Kriegs scharf zurückgewiesen. "Ich halte diesen Ansatz für absolut inakzeptabel", sagte der Parlamentarische Geschäftsführer der CDU/CSU-Abgeordneten im Bundestag, Thorsten Frei (CDU), in Berlin. Er fügte hinzu: "Ich sehe hier nirgends einen Ansatz, wie man zu Friedensverhandlungen kommen kann." Es scheine innerhalb der SPD und der Ampel-Koalition in diesem Zusammenhang "noch einiges an Klärungsbedarf" zu geben.

Trotz Kritik will der SPD-Fraktionsvorsitzende Rolf Mützenich an seinen Äußerungen zum Einfrieren des Ukraine-Kriegs festhalten. Auf die Frage, was er mit dem Begriff gemeint habe und ob er ihn korrigieren wolle, sagte Mützenich der "Neuen Westfälischen": "Nein, das möchte ich nicht. Ich bin in den Sozial- und Friedenswissenschaften ausgebildet. Dort wird das Einfrieren als Begrifflichkeit genutzt, um in einer besonderen Situation zeitlich befristete lokale Waffenruhen und humanitäre Feuerpausen zu ermöglichen, die überführt werden können in eine beständige Abwesenheit militärischer Gewalt." Das benötige natürlich die Zustimmung beider Kriegsparteien, was man nicht von außen diktieren könne.

"Die SPD ist keine Partei der Putinversteher", sagte Pistorius. Die SPD stelle mit Olaf Scholz (SPD) den Kanzler und Deutschland stehe an der Spitze aller europäischen Unterstützer der Ukraine. Pistorius: "Es darf und kann keinen Zweifel geben an unserer Solidarität und unserer Unterstützung für die Ukraine. Alles andere sind herbeigeführte Diskussionen, die niemand braucht und die auch niemandem helfen, am wenigsten der Ukraine."


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