AZ-Kommentar

Kurz vor Sturz: Der "Wunderwuzzi" als Getriebener


Das Regierungsexperiment von Sebastian Kurz ist krachend gescheitert, kommentiert AZ-Redakteur Stephan Kabosch.

Das Regierungsexperiment von Sebastian Kurz ist krachend gescheitert, kommentiert AZ-Redakteur Stephan Kabosch.

Von Bernhard Lackner

Österreichs Kanzler Kurz braucht jetzt das Geschick des Bundespräsidenten. Gut für ihn und das Land, dass das Staatsoberhaupt Alexander Van der Bellen heißt, kommentiert AZ-Redakteur Stephan Kabosch.

Wer sich mit Rechtsextremen ins Bett legt, wacht mit einer Staatskrise auf. Österreichs Kanzler steht an einem Wendepunkt seiner Karriere. Keine Frage: Das Ibiza-Video ist ein FPÖ-Skandal und keine ÖVP-Affäre, das Verramschen des Landes hat Heinz-Christian Strache in Aussicht gestellt und nicht Sebastian Kurz. Aber es war sein Regierungsprojekt, welches nach nur 500 Tagen krachend gescheitert ist. Kurz musste wissen, auf welch zwielichtigen Partner er sich da eingelassen hat. Und doch hatte er allen Warnungen zum Trotz die Freiheitlichen salonfähig gemacht - vielleicht auch in einem naiven Glauben daran, dass sich die FPÖ durch Umarmung erdrücken und zähmen lässt. Das konnte nicht funktionieren, so wie auch alle vier vorangegangenen FPÖ-Regierungsbeteiligungen in Wien vorzeitig beendet waren.

Der Tsunami aus Ibiza an jenem Freitagabend ließ aus dem Taktiker der Macht einen Getriebenen der Umstände werden. "Wunderwuzzi" Sebastian Kurz droht das Schicksal, als erster Bundeskanzler der Zweiten Republik durch ein Misstrauensvotum des Parlaments gestürzt zu werden. Seine unmittelbare politische Zukunft hängt ab von FPÖ-Abgeordneten, die auf Rache sinnen, und von einer SPÖ, welche sich gerade selbst neu erfinden muss und die Demütigungen durch die Kurz-Bewegung noch lange nicht vergessen haben wird.

Bundespräsident Van der Bellen: Kluger Moderator der Krise

All dies findet statt in einer Gemengelage, in welcher die Parteien bereits im Kampfmodus sind für die Neuwahlen im Herbst. Das lässt eine Schlammschlacht befürchten, wo Läuterung gefragt ist. Und es macht die nicht erst seit dem Ibiza-Video überfällige Wiederherstellung von Vertrauen und Glaubwürdigkeit so schwierig. Es ist dies aber auch die Stunde des Staatsoberhauptes, das diese Krise moderieren muss. Alexander Van der Bellen tut dies - mit den genau richtigen Worten an das Land und seine Menschen, entschlossen, besonnen, staatsmännisch. Man mag sich gar nicht erst vorstellen, dass der im damaligen Wahlkrimi unterlegene FPÖ-Politiker Norbert Hofer an Stelle von Van der Bellen in der Hofburg sitzt.