Kritik an schleppender Impfstoffversorgung wird härter

In der Koalition gärt der Impfgroll


Die EU-Kommission habe mehr Verhandlungsmacht gegenüber den Impfstoffproduzenten, sagt Regierungssprecher Steffen Seibert.

Die EU-Kommission habe mehr Verhandlungsmacht gegenüber den Impfstoffproduzenten, sagt Regierungssprecher Steffen Seibert.

Die stockende Versorgung Deutschlands mit dem Corona-Impfstoff bringt die Bundesregierung in die Defensive. Aus vielen Ecken werden nach dem Jahreswechsel schwere Vorwürfe laut, dass bei der Bestellung des Serums geschlafen wurde. Das Motzen beschränkt sich nicht auf die Opposition und einzelne Wissenschaftler, sondern schallt aus den Reihen der großen Koalition selbst.

Auch Söder kritisiert Ministerium

Mecklenburgs-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) und SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil erheben den Zeigefinger gegen Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU). Der Minister ist aber auch nicht vor Angriffen aus der kleinen Schwesterpartei sicher: CSU-Chef Markus Söder nutzte die Bild-Zeitung, um seine Vorwürfe vor der Tür des Gesundheitsministeriums abzuladen. "Fakt ist: Es ist zu wenig bestellt worden, auch von den falschen Herstellern", meinte der bayerische Ministerpräsident.

Biontech-Chef verwundert

Die Attacken zielen auf die strategische Entscheidung der Bundesregierung, die wirtschaftliche Macht Deutschlands nicht eigennützig auszuspielen, sondern alle EU-Mitgliedstaaten per gemeinsamer EU-Bestellung mit dem Impfstoff des deutschen Herstellers Biontech zu versorgen. Der Vater des Impfstoffs, Biontech-Chef Ugur Sahin, unterstellte der EU-Kommission im Gespräch mit dem Spiegel eine gefährliche Sorglosigkeit bei der Bestellung des Serums für alle 27 Länder. "Offenbar herrschte der Eindruck: Wir kriegen das hin, es wird alles nicht so schlimm, und wir haben das unter Kontrolle. Mich hat das gewundert", sagte Sahin im Gespräch mit dem Spiegel.

Regierung verteidigt Vorgehen

Neben Gesundheitsminister Spahn gerät nun auch Kanzlerin Angela Merkel (CDU) unter Druck, die das gemeinsame europäische Vorgehen ausdrücklich gebilligt hatte. Ihr Sprecher Steffen Seibert ging, nachdem er bei seinem ersten Auftritt nach dem Jahreswechsel ein gesundes neues Jahr gewünscht hatte, unmittelbar die Verteidigung über. Seine Argumente: Die EU-Kommission habe erstens mehr Verhandlungsmacht gegenüber den Impfstoffproduzenten. Zweitens sei im Sommer nicht klar gewesen, welcher Impfstoff welchen Herstellers das Rennen mache. Und drittens sei Deutschland nicht vor Corona sicher, wenn es in den Nachbarländern nicht auch durch Impfungen zurückgedrängt werde.

EU-Kommission hüllt sich in Schweigen

Die EU-Kommission hüllt sich in Schweigen, warum sie ihre Marktmacht nicht zur Geltung brachte. Israel, das beim Impfen die Europäer abgehängt hat, bezahlte dem Biontech-Partner Pfizer mehr Geld und wird jetzt prioritär beliefert.

Sehnsüchtiges Warten auf Impfstoff

Für die Regierung in Berlin und die alle, die sehnsüchtig auf das Serum warten, wird sich in den nächsten Wochen am schleppenden Setzen der schützenden Spritzen nichts ändern. Biontech, so die Zahlen aus dem Gesundheitsministerium, wird bis Ende März zwischen elf und 13 Millionen Impfdosen liefern. Wenn das US-Pharmaunternehmen Moderna wie erwartet am Mittwoch die EU-Zulassung für sein Gegenmittel erhält, kommen 1,5 bis zwei Millionen hinzu. Beide Wirkstoffe müssen zweimal gespritzt werden, um gegen die Erreger voll wirksam zu werden. Im ersten Quartal werden absehbar sieben Millionen Menschen hierzulande geimpft werden.

Spahn rechtfertigt sich

Die Unbekannte der Rechnung der Bundesregierung ist die Zulassung weiterer Impfstoffe. Schon bald könnte in der EU das Serum des britisch-schwedischen Pharmakonzerns Astrazeneca eine Genehmigung bekommen und die Verfügbarkeit von Gegenmitteln noch im ersten Vierteljahr erhöhen. "Das Problem ist die geringe Produktionskapazität zu Beginn", entgegnete der Gesundheitsminister seinen Kritikern. Der Vorwurf dürfte ihn noch eine Weile begleiten.