AZ-Interview

Bayerns Linken-Chef Ates Gürpinar: "Die CDU hat den Mist mitverursacht"


Linke ist gleich AfD? "Es ist ein Unterschied, ob ich die Idee habe, auf Flüchtlinge zu schießen, oder ob ich ihnen helfe", sagt Gürpinar.

Linke ist gleich AfD? "Es ist ein Unterschied, ob ich die Idee habe, auf Flüchtlinge zu schießen, oder ob ich ihnen helfe", sagt Gürpinar.

Von Tabitha Nagy

AZ-Interview mit Ates Gürpinar zu den Gesprächen, die heute in Erfurt beginnen: Bayerns Linken-Chef über den Wahlschock von Thüringen und die Konsequenzen daraus.

München - Der 35-Jährige Ates Gürpinar ist Sprecher des Landesverbandes Die Linke Bayern (mit Eva Bulling-Schröter) und Kreissprecher seiner Partei in München.

AZ: Herr Gürpinar, was ging Ihnen durch den Kopf, als Ihr Parteifreund Bodo Ramelow völlig überraschend von einem Liberalen als Thüringer Ministerpräsident abgelöst wurde?
Ates Gürpinar: Ich habe es zuerst nicht geglaubt. Einen solchen Tabubruch hatte ich in meiner Gutgläubigkeit nicht erwartet. Dass CDU und FDP dieses Manöver der AfD mittragen - und die Wahl dann auch noch angenommen wird, war für mich unvorstellbar.

War es nicht naiv von Bodo Ramelow, zuversichtlich in die Abstimmung zu gehen, obwohl er keine Mehrheit hatte?
Die Thüringer Linken sind davon ausgegangen, dass CDU und FDP so etwas nicht machen würden. Zumal es im Vorfeld Gespräche mit der CDU über verschiedene Punkte gegeben hatte. Was ich viel schlimmer finde, ist, dass es CDU und FDP durchaus bewusst war, was passieren könnte: Sie haben darüber gesprochen und es gab auch ein Papier dazu, das genau vor diesem Szenario gewarnt hat. Die sind nicht irgendwo reingeschlittert oder haben zufällig jemanden aufgestellt. Mike Mohring hat am Freitag im Zuge seines Rücktritts erst wieder gesagt, dass dieses Szenario mitbedacht wurde, und dass er aufgrund dessen angeregt habe, dass die FDP niemanden aufstellt. Deswegen kann man das nicht als einfachen Fehler betrachten. Es war ein Tabubruch. Ein Tabubruch, der aber einige Erkenntnisse ermöglicht.

Erkenntnisse aus dem Wahlschock von Thüringen

Welche?
Es ist extrem deutlich geworden, was die AfD wirklich will. Jemanden aufzustellen und den dann mit keiner einzigen Stimme zu wählen - das zeigt deutlich wie nie, wie die AfD Menschen instrumentalisiert, um die Demokratie und ihre Prinzipien aufzulösen. Ich hoffe, dass das jetzt auch die Letzten erkannt haben: Dass diese Partei nichts anderes will, als die Demokratie zu destabilisieren und dabei auch über Menschen geht.

Welche Erkenntnis hat das Debakel noch gebracht?
Dass die Gleichsetzung von Rechts und Links völlig absurd ist. Es ist ein Unterschied, ob ich die Idee habe, auf Flüchtlinge zu schießen, oder ob ich ihnen helfen will. Es ist ein Unterschied, ob ich sage "wir werden sie jagen", oder ob ich kostenfreie Kitajahre durchsetze. Es ist ein Unterschied, ob ich Menschen unterdrücke, oder ob ich als Gutmensch gelte. Insofern habe ich die Hoffnung, dass sich bei CDU und FDP die Erkenntnis durchsetzt, dass diese Extremismustheorie "Rechts ist gleich Links" nicht zu halten ist. Das wird sich in den nächsten Tagen zeigen.

Aber auch die Linke gilt nicht bei allen Teilen der Bevölkerung als demokratische Partei. Gerade im Osten wird die SED-Vergangenheit immer wieder thematisiert.
Die Umfragen zeigen doch, dass das, was da immer behauptet wird, bei der Bevölkerung nicht verfängt. Selbst Menschen, die sonst CDU wählen, finden Bodo Ramelow einen guten Ministerpräsidenten. Daraus sollte die CDU Konsequenzen ziehen und in dieser Woche darstellen, dass sie sich nie wieder mit der AfD verbünden wird - aber im Zweifel Bodo Ramelow zum Ministerpräsidenten wählt.

Unvereinbarkeitsbeschluss der CDU

Glauben Sie wirklich, dass es so kommt? Schließlich gibt es den Unvereinbarkeitsbeschluss der CDU, der eine Kooperation auch mit der Linken verbietet.
Die CDU würde auf jeden Fall staatstragende Verantwortung beweisen. Sie hat den ganzen Mist mitverursacht, jetzt muss sie ihn wieder wegräumen. Da gibt es nur zwei Möglichkeiten: die Wahl von Bodo Ramelow oder Neuwahlen. Aus demokratietechnischer Sicht wäre es besser, einen Ministerpräsidenten zu haben - schon, damit die Thüringer wieder im Bundesrat vertreten sind. Wenn man auf die Umfragen schaut, wäre die erste Version auch besser für die CDU.

FDP-Chef Christian Lindner hat sich für die Vorgänge in Thüringen mittlerweile entschuldigt.
Das fand ich bemerkenswert. Aber auch daraus muss eine Konsequenz erfolgen. Dasselbe gilt übrigens für Markus Söder, der sich ja sofort scharf distanziert hat.

Inwiefern?
In Bayern gab es diesen Tabubruch schon: Vor einem Jahr hat Markus Söder in seinem Heimatbezirk Mittelfranken zumindest zugelassen, dass AfD und CSU das Gleiche versucht haben, sich aber nicht durchsetzen konnten. Dort sollte eine CSUlerin mit Stimmen von FDP und AfD zur Bezirksratspräsidentin gewählt werden, was eine Koalition von Freien Wählern bis Linke verhindert hat. Am Ende stand es 16:17 Stimmen - und niemand kann mir sagen, dass Söder davon nichts gewusst hat.

Die Linke in Bayern

Die Linke hat unlängst vermeldet, seit dem Wahlschock von Thüringen seien bundesweit rund 700 Menschen neu in die Partei eingetreten - über 100 allein in Thüringen. Wie sieht es in Bayern aus?
Wir haben seitdem 60 Neueintritte in Bayern, davon ein gutes Dutzend in München. Aber was ich unabhängig von meiner Partei entscheidend fand: Bei der Demo vor der Münchner FDP-Zentrale hat ein Redner von "Fridays for Future" gesagt, der Kampf gegen den Klimawandel sei immer auch ein Kampf gegen Faschismus - weil Faschisten Klimawandel-Leugner sind. Das fand ich insofern spannend, als dass eine Solidarisierung der Gesellschaft stattfindet, die sich gemeinsam gegen Rechts stemmt und sich trotz unterschiedlicher Schwerpunkte gegen die zunehmende Spaltung wehrt.

Wo die bayerische Gesellschaft politisch steht, wird am 15. März bei den Kommunalwahlen abgefragt. Wie ist die Linke im Freistaat aufgestellt?
Beinahe flächendeckend. Wir können in fast allen kreisfreien Städten und Landkreisen antreten und rechnen mit einer Vervierfachung unserer derzeit knapp 40 Mandate.

Das klingt nicht schlecht, ist aber gar nichts im Vergleich zu den Erfolgen, die bei den Grünen erwartet werden. Was machen die besser?
Erstens sind sie schon länger da. Und zweitens tun sie den Reichen nicht weh: Wenn Du die Grünen wählst, kannst Du Dich gut fühlen, hast aber als reicher Mensch keine Veränderung zu befürchten. Es geht darum, selbst gut und gesund leben zu können, aber keine Verbesserung für die Armen in der Gesellschaft anzupacken. Das macht es leicht, von der CSU zu den Grünen zu wechseln. Beispiel Mieten-Volksbegehren: Die Grünen scheuten sich bislang, das Begehren gemeinsam mit uns finanziell zu stemmen. Es ist nicht ihr Thema. Die Leute, die die Grünen wählen, sind mit die reichsten in der Gesellschaft. Die Erfolge der Grünen sind nicht darauf zurückzuführen, dass sie die Gesellschaft nach links bewegt haben - sondern darauf, dass die Grünen in die Mitte gewandert sind. Aber mir geht es nicht allein um Wahlen.

Der Kampf gegen Rechts

Sondern?
Die Menschen müssen wissen, dass der Kampf gegen Rechts, gegen diese menschenfeindliche Partei, länger geführt werden muss und dass dafür die Ursachen beseitigt werden müssen. Wir müssen ran an diese 20 bis 25 Prozent, die ein geschlossenes rechtes Weltbild haben.

Wie wollen Sie das anstellen?
Indem wir zum Beispiel das Bildungssystem grundlegend verändern: weg von der Vielgliedrigkeit des Schulsystems, das Menschen automatisch ausschließt - mit Privatschulen auf der einen und Mittelschulen auf der anderen Seite. Und darüber hinaus: Wir brauchen keine Viertel, in denen nur noch Reiche wohnen. Wir müssen diese Spaltung in der Gesellschaft überwinden - und da sind jetzt Grüne und SPD gefragt. Die müssen sich überlegen, ob sie tatsächlich mit der Partei eines Friedrich Merz koalieren würden, der bereits gesagt hat, er würde einen AfDler zum Vizepräsidenten wählen. Das wäre reine Verwaltung des Bestehenden. Oder ob wir, ausgehend vom Druck der Straße rund um den Kampf gegen Rechts, das Pflege-Volksbegehren, den Mietendeckel, gemeinsam etwas schneidern können, bei dem es um gesellschaftliche Veränderungen geht.

Das Thema Hass und Hetze gegen Politiker ist derzeit hochaktuell. Welche Erfahrungen hat die bayerische Linke in dieser Hinsicht gemacht?
Einbruch, Verwüstung, eingeschlagene Fensterscheiben, Farb-Attacken: Unsere Büros werden relativ regelmäßig angegriffen. Da ist bayernweit jeden Monat irgendwas. Was wir jetzt im Wahlkampf verstärkt feststellen, ist, dass mehr Plakate mutwillig zerstört werden - bislang 15 Prozent, sagt unser Chef-Plakatierer. Das ist schon überdurchschnittlich. Und wenn man, so wie ich, ständig mit einer "Die Linke"-Tasche durch die Stadt läuft, erlebt man auch mal böse Anfeindung bis hin zu Androhung von Gewalt. Allerdings - und das macht Mut - auch immer mehr Zuspruch.

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