AZ-Interview mit NRW-Ministerpräsident

Armin Laschet spricht über Beschimpfungen – und wie Corona seinen Politiker-Alltag verändert hat


Der Ministerpräsident von NRW: Armin Laschet (CDU).

Der Ministerpräsident von NRW: Armin Laschet (CDU).

Von Steffen Trunk

NRW-Ministerpräsident Armin Laschet spricht in der AZ über Beschimpfungen, Blumen - und wie Corona seinen Politiker-Alltag verändert hat.

Armin Laschet, der Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen (59; CDU) hat - anders als Kollege Markus Söder - einen Kurs der schnellen Lockerungen gefahren.

AZ: Herr Laschet, Sie galten in der Corona-Krise als Wortführer für schnellere Lockerungen. Nun hat Ihnen Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow den Rang abgelaufen. Eifersüchtig?
LASCHET: Natürlich nicht. Herr Ramelow hat ja einen völlig anderen Vorschlag gemacht, als ich es in der Vergangenheit getan habe. Für mich war immer die Abwägungsfrage das Entscheidende: Welche Schäden, kurz-, mittel- und langfristig, richten wir durch die Abriegelungen an? Das Ergebnis unserer vorsichtigen Öffnungen ist, dass bei uns in Nordrhein-Westfalen seit April die Zahl der Neuinfektionen um 75 Prozent gesunken sind. Das zeigt doch, dass unsere Entscheidungen maßvoll und vernünftig waren. Ich habe übrigens nie Sorgen gehabt, dass das Öffnen und Lockern bei uns im Land ein großes Problem ist. Denn ich hatte Vertrauen, dass die Bürger sich verantwortlich verhalten. Diese Grundüberzeugung war nicht populär, gewiss. Lange Zeit war es populärer, möglichst viel zu verbieten.

Laschet pochte auf schnelle Lockerungen - warum?

Lange galt auch der Rat von Virologen in der Politik als maßgeblich. Diese würden gerne die Einschränkungen verlängern.
Ich will mich ja eigentlich nicht mehr zu Virologen äußern, seitdem ich für einige kritische Bemerkungen kritisiert wurde (lacht). Nur so viel: Natürlich ist der Rat aus der Wissenschaft für uns jederzeit wichtig - auch, aber nicht nur der von Virologen, sondern auch von Kinderärzten, Psychologen, Juristen, Ethikern, Wirtschaftswissenschaftlern. Ich habe mit großem Interesse die jüngste Äußerung von Professor Drosten vernommen, dass es in Deutschland doch vielleicht keine zweite Welle geben wird, wenn wir alles richtig machen.

Schon jetzt gibt es viele verschiedene Regelungen in den einzelnen Bundesländern. Soll sich das Corona-Virus künftig an Landesgrenzen halten?
Das Virus stoppt weder an den Grenzen der Nationalstaaten noch an den innerdeutschen Landesgrenzen. Die Idee in der letzten Besprechung der Ministerpräsidenten mit der Kanzlerin war, regional und nach Infektionsschwerpunkten zu handeln. Das kann ein Zentralstaat gar nicht leisten.

Also hatte Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann Recht mit seiner Aussage, von nun an müssten Ministerpräsidenten und Kommunen das Corona-Management übernehmen?
Wenn Kretschmann gemeint haben sollte, dass wir die Gespräche mit der Kanzlerin nicht mehr brauchen, dann wäre das falsch. Wir werden weiterhin einige gemeinschaftliche Standards benötigen und darum auch ringen müssen. Ministerpräsidenten und Kanzlerin müssen also selbstverständlich weiterhin miteinander im Dialog bleiben.

Laschet über die gesellschaftliche Spaltung

Gehen wir davon aus, dass die Zahl der Neuinfizierten niedrig bleibt - die wirtschaftliche Krise aber so wuchtig ausfällt, wie derzeit prognostiziert. Werden wir dann in Deutschland eine noch stärkere gesellschaftliche Spaltung erleben als in der Flüchtlingskrise?
Das ist eine meiner größten Sorgen. Viele der Experten, mit denen ich mich austausche - Ärzte, Naturwissenschaftler, aber auch Sozialwissenschaftler oder Ökonomen - haben früh vor gesellschaftlicher Polarisierung und Spaltung gewarnt. Das merke ich auch an den Briefen und E-Mails, die ich gerade bekomme, so viele wie noch nie in meinem politischen Leben.

Was steht darin?
Na ja, die einen sagen: Du schickst uns in den Tod. Andere sagen: Das ist ja alles Wahnsinn mit den Maßnahmen und ihr schränkt unsere Freiheit ein. Die einen schicken Blumen als Dank für das Krisenmanagement, andere senden Beschimpfungen. Diese Polarität könnte zunehmen, sollte die wirtschaftliche Lage noch dramatischer werden.

Rentner oder Beamte dürften kaum Einbußen erleben, viele Selbstständige könnten jedoch vor den Trümmern ihrer Existenz stehen.
In der Tat könnte es in Deutschland so kommen, dass wir die einen mit einem relativ sicheren Einkommen haben, die dem entschleunigten Leben in Corona-Zeiten vielleicht sogar etwas Gutes abgewinnen können. Dann sind da andere, die in die Arbeitslosigkeit abrutschen oder künftig auf Lohn verzichten müssen. Und dann sind da noch viele Soloselbstständige, deren Existenz regelrecht vernichtet wird. Diese Vielschichtigkeit der Krise könnte zu einer ganz anderen Polarisierung als in der Flüchtlingskrise führen.

Die EU will nun bis zu 750 Milliarden Euro mobilisieren. Ist das Wasser auf den Mühlen jener, die eine "europäische Schuldenunion" fürchten?
Wir müssen jetzt europäisch denken und handeln - und gut erklären, dass das eben nicht der Einstieg in die Schuldenunion ist. Wir brauchen mehr Europa! Diese Hilfe ist doch im ureigensten deutschen Interesse. Wenn Italien, Spanien und Frankreich nicht auf die Füße kommen, schadet das auch uns.

Auch Deutschland bastelt an einem Konjunkturpaket. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder hat eine Obergrenze von 100 Milliarden Euro für die weitere Neuverschuldung vorgeschlagen. Wollen Sie auch eine?
Ja, klar. Wir können ja nicht in wenigen Wochen und Monaten jüngeren Generationen so viel Schulden auferlegen, dass sie diese in ihrem Leben niemals abtragen können. Die Verschuldung muss in engem Rahmen bleiben, damit wir all das machen, was nun nötig ist, aber eben nicht mehr.

Sie wollen aber auch weitere Staatshilfen, etwa einen Familienbonus von 600 Euro pro Kind. Das ist happig.
Wir haben als CDU-FDP-Landesregierung von Nordrhein-Westfalen ein Zehn-Punkte-Programm vorgelegt, worin der Bonus nur ein Punkt ist. Wir wollen viel tun, um die Wirtschaft anzukurbeln, dazu gehört auch, ein Konsumimpuls zu setzen. Die Familien haben durch die Einschränkungen bei Kitas und Schulen in der Corona-Pandemie besonders viel geschultert. Das zu würdigen, fände ich ein wichtiges Signal.

Wünschen Sie sich, dass dieser Bonus Teil des bundesweiten Konjunkturpaketes wird?
Ich finde schon, dass im Konjunkturpaket des Bundes auch etwas gerade für Familien gemacht werden sollte, ja.

Werden die Steuern gesenkt?

Markus Söder will Steuersenkungen für alle. Sie auch?
Wir haben einiges vorgeschlagen, was Unternehmen sofort mehr Liquidität bringt, etwa Änderungen beim Vorsteuerabzug oder Entlastung bei den Energiekosten. Eine ganz große Steuerreform aber wird man so schnell nicht hinbekommen. Das ist eine Aufgabe für die nächste Legislaturperiode. Aber natürlich brauchen wir auch eine Entlastung der Steuerzahler.

Die vergangenen Monate waren eine bemerkenswerte Zeit für alle Politiker. Wie haben Sie es erlebt?
Diese Krise, mit jeder Wirkung, mit jeder Entscheidung, steht in keinem Lehrbuch. Sie müssen Tag für Tag unter Unsicherheitsbedingungen Risikoentscheidungen fällen. Sie müssen der Wissenschaft zuhören, am besten interdisziplinär. Und das alles in einer polarisierten Öffentlichkeit.

Gab es einen Moment, als Sie sich gefragt haben: Was machen wir hier eigentlich?
Natürlich kommt so etwas vor. Alle Verantwortungsträger wachen morgens mit Gedanken an Corona auf und gehen abends mit Gedanken an den Umgang mit der Pandemie ins Bett. Entscheidungen zu hinterfragen, sie immer wieder auf ihre Verhältnismäßigkeit zu überprüfen - das ist unsere Pflicht als Politiker.

Hat die Krise Ihr Auftreten verändert? Viele beschreiben Sie gerne als rheinische Frohnatur.
Andere sagen, ich schaue zu ernst. Jeder ist, wie er ist. Ich finde es wichtig, dass man dem Ernst der Lage angemessen auch abwägt und nachdenkt.

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