Kultur

Zuhause ist, wo man landet

Andrea Gronemeyer inszeniert in der Schauburg "Zugvögel" von Mike Kenny


Nisha (Maya Haddad) und Nik (Michael Schröder) nähern sich allmählich an.

Nisha (Maya Haddad) und Nik (Michael Schröder) nähern sich allmählich an.

Von Mathias Hejny

Eine Frage, auf die man erst einmal kommen muss: Wo sind die Schwalben, die im Dach von Omas Haus nisten, eigentlich zu Hause? "Bei uns", meint Oma, denn sie bauen hier ihre Nester und ziehen ihre Jungen groß. Andererseits fliegen sie im Herbst in den Süden und Nisha ist sicher, dass ihre Heimat das Zuhause der Schwalben ist. Das ist eine der schönen, unaufdringlich eindringlichen Augenblicke, die der britische Dramatiker Mike Kenny in seinem neuen Stück "Zugvögel" geschaffen hat.

Bis vor drei Jahren zeigte die Schauburg Kennys Jugendstück "Der Junge mit dem Koffer", das über die Flucht und das Fortgehen erzählt. "Zugvögel", ein "Erzähltheater" für Kinder ab neun Jahren, ist keine Fortsetzung, schließt aber mit dem Ankommen der Geflüchteten an. Die Perspektive ist allerdings nicht die des syrischen Mädchens, sondern des kleinen Nik, in dessen Nachbarschaft sie mit ihrer Familie zieht. Niks Vater (David Benito Garcia) und die Oma (Simone Oswald) sind von den Neuen nebenan wenig begeistert.

Aber Nisha ist nun eine Schulkameradin von Nik, der beginnt, sich mit ihr zu beschäftigen. Bei der Busfahrt zur Schule wird sie von zwei anderen Schülern mit rassistischen Sprüchen beleidigt. Nik schaut nicht nur weg, sondern bringt Nishas Rucksack, den sie im Bus vergessen hatte, an sich.

Erst später bringt er die Tasche zum Fundbüro, hat aber einen Mantel daraus gestohlen, von dem er weiß, dass er dem Mädchen viel bedeutet. Und Nik ist inzwischen sicher, dass sie, wie in einem Märchen, das ihn beeindruckt, ein verwandelter Schwan ist und fliegen kann.

"Ich gehe davon aus, dass ihr mich mittlerweile nicht mehr leiden könnt", wendet er sich zerknirscht ans Publikum. Aber das hört dem eigentlich ziemlich netten Kerl, den Michael Schröder spielt, gerne und sehr aufmerksam zu. Nebenbei baut er bei der Oma ein Puzzle zusammen, mit dem schon der Opa spielte. Die 1000 Teile sind eine alte Weltkarte, die viele Grenzen nicht mehr so zeigt, wie sie heute sind. Aber man kann sehen, wie weit es von Syrien nach Deutschland ist. Wenn Omas Schwalben nach dem Sommer dort sind, werden sie Nishas Haus nicht mehr finden, denn im Bürgerkrieg wurde es zerstört.

Nach und nach puzzelt er sich auch ein Bild von Nisha zusammen, die über Niks Welt mehr weiß als er von ihrer. Maya Haddad verleiht dem Mädchen viel temperamentvolle Entschlossenheit und auch eine gewisse Unerbittlichkeit, gegen die die Jungs keine Chance haben.

Schauburg-Intendantin Andrea Gronemeyer inszenierte selbst und ließ von Ausstatterin Mareile Krettek einen Raum bauen, dessen tiefe Schwärze im überraschendem Gegensatz steht zur lichtvollen Menschlichkeit, die der Text vertritt. Die wechselnden Schauplätze werden von beweglichen Versatzstücken nur markiert. Die darauf projizierten Formen und Strukturen wirken verblasst wie Erinnerungen an Träume, was der schnörkellosen Schauspielerei und den kräftigen Farben der Kostüme etwas Verwunschenes verleiht.

Am Ende hat das Stück eine große Runde gedreht: Von deutscher Fremdenangst über die biblische Legende vom Saulus, der dort, wo Nisha fliehen musste, Christen verfolgte und nach einem Gespräch mit Gott zum Heiligen Paulus wurde, weiter über den archaischen Mythos vom Schwanenmädchen zum Märchen über das hässliche Entlein, ohne dabei den gut gelaunten Lebensmut zu verlieren.

Schauburg, heute, 18 Uhr, 5. Juli, 19 Uhr, 23337155