Bayerische Staatsoper

Warum Jonas Kaufmann als Otello weiß bleibt


Szenen einer Ehe: Jonas Kaufmann und Anja Harteros in "Otello".

Szenen einer Ehe: Jonas Kaufmann und Anja Harteros in "Otello".

Von Robert Braunmüller / TV/Medien

Amélie Niermeyer über ihre Inszenierung von Verdis Oper "Otello" im Nationaltheater

Bei Verdi ist Otello ein Farbiger, weil es bei Shakespeare so steht. Wichtig war es dem Komponisten nicht. Dass sich ein Weißer auf der Bühne schwarz anmalt, ist als "Blackfacing" seit einiger Zeit ins Gerede gekommen. Auch die Regisseurin der Neuinszenierung von Giuseppe Verdis "Otello" hat sich mit dieser Frage beschäftigt. Die Antwort gibt es heute ab 19 Uhr für alle glücklichen Kartenbesitzer im Nationaltheater. Jonas Kaufmann und Anja Harteros singen die Hauptrollen, Gerard Finley den Jago. Kirill Petrenko dirigiert.

AZ: Frau Niermeyer, wie halten Sie es mit dem sogenannten "Blackfacing"?
AMÉLIE NIERMEYER: Für mich ist es ausgeschlossen, heute noch einen weißen Sänger schwarz anzumalen. Shakespeare versuchte, Otellos cholerischen Charakter und seine Eifersucht durch die ethnische Herkunft zu begründen - und selbst das ist nicht entscheidend für die Intrige. Wieso auch sollte ein Dunkelhäutiger eifersüchtiger sein als ein Weißer?

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Szenen einer Ehe: Jonas Kaufmann und Anja Harteros in "Otello".

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Lesen Sie hier unsere Besprechung der Premiere

Vielleicht ist Otello auch nur Nordafrikaner.
Die Debatte über die ethnische Herkunft Otellos spielt für mich keine Rolle, auch nicht auf der Bühne. Weder Shakespeare noch Arrigo Boito, der das Drama für Verdi bearbeitet hat, begründen die Ermordung Desdemonas durch den kulturellen Hintergrund. Nur wenn wir das immer wiederholen, kommen wir nie gegen die Klischees an. Jonas Kaufmann ist besetzt, weil er schlicht den besten Otello der Welt singt, nicht wegen seiner Hautfarbe.

Aber so viel steht doch fest: Otello ist ein Außenseiter der venezianischen Gesellschaft.
Selbstverständlich, Desdemonas Vater lehnt die Beziehung seiner Tochter zu Otello ab. Er ist ein Kriegsheimkehrer - das ist viel, viel wichtiger. Aus dem Gefühl heraus, keinen Platz in der Gesellschaft zu haben, liebt er Desdemona geradezu symbiotisch. Deshalb bricht für ihn eine Welt zusammen, als er glauben muss, sie sei ihm untreu. Das hat nichts mit seiner ethnischen Herkunft zu tun.

Warum wird Otello das Opfer von Jagos Intrige?
Otello ist mit sich und der Gesellschaft nicht im Reinen. Er vertraut niemandem, nicht einmal seiner Frau. Seine Lebensgeschichte ist in der Oper nicht unwichtig - sie wird im Duett am Ende des ersten Akts zum Thema - seine Verletzungen aus Kindheit und Krieg.

Was ist für Sie das zentrale Thema der Oper?
Verdis "Otello" ist ein kluges Psychogramm der Hauptfiguren. Mich interessiert, was zwischen Otello und Desdemona im Laufe der 24 Stunden der Handlung passiert. Desdemona wird oft als etwas zu naiv gezeigt. Das ist aber weder bei Shakespeare noch bei Verdi vorgesehen, die beide eine sehr starke Frauenfigur konzipiert haben. Ich denke, Desdemona meint, das Vertrauen ihres Mannes durch große Liebe wiedergewinnen zu können. Sie glaubt vielleicht sogar, ihn ändern zu können.

Ist das nicht naiv von ihr?
Sie weiß, dass es schwierig ist, und versucht es trotzdem. Desdemona ist eine starke, politische Frau. Sie möchte, dass Cassio den Job wieder bekommt. Sie spürt Otellos krankhafte Eifersucht und möchte ihm klar machen, dass seine Mutmaßungen Unsinn sind. Im großen Ensemble des dritten Akts verliert sie dann den Boden unter den Füßen. Erst hier wird ihr klar, dass sie scheitern wird.

Was treibt Jago an? Boito hat einen großen metaphysischen Neinsager aus ihm gemacht - gegen Shakespeare.
Shakespeare liefert kleine Begründungen für Jagos Intrige: Er vermutet eine Affäre zwischen seiner Frau Emilia und Otello, zudem bekommt Cassio den Job, den er haben will. Verdi interessiert etwas anderes. In seinem Credo, das es nur bei Verdi gibt, entdeckt er zum ersten Mal das Böse in sich. Gerald Finley spielt diese Entwicklung leicht und verspielt und wird im Verlauf immer kranker und grausamer. Er ist ein zynischer Clown, der erkennt, wie weit er mit seinem bösen Spiel gehen kann. Und er kalkuliert den Tod seiner Gegner ein.

Ist es wichtig, wann und wo die Geschichte spielt?
Nein. Es kann leider jeden Tag passieren, dass ein Mann seine Frau aus Eifersucht umbringt und sich selbst zerstört. Wichtig ist uns vielmehr, dass Otello Grausames erlebt hat und seine Kriegsbilder nicht mehr aus dem Kopf bekommt. Desdemona und er prallen mit Wucht aufeinander, wie zwei Magnete, und das muss im Heute spielen und in einer gewissen Enge. In unserer Inszenierung gibt es einen hellen Raum der Utopie, der sich in einer dunklen, verbrannten Welt spiegelt. Das ist immer wieder aus einem anderen Blickwinkel zu sehen.

Funktioniert Ihre Inszenierung auch mit einer anderen Besetzung, wie es im Repertoirebetrieb der Oper üblich ist?
Ehrlich gesagt, da denke ich gar nicht dran. Im Moment freue ich mich einfach, dass Anja Harteros und Jonas Kaufmann ein eingespieltes Duo sind. Das macht sie offen für die Unbedingtheit, mit der die Konflikte ausgetragen werden.

Haben Sie vor der Oper schon einmal das Schauspiel inszeniert?
Ich habe häufig Shakespeare inszeniert, aber "Othello" nicht. Jetzt geht es nicht mehr, fürchte ich. Verdis Musik legt die Emotionen der Figuren so schmerzhaft offen, dass ich das nicht mehr von diesem Stoff trennen kann.

Die Premiere am heutigen Freitag um 19 Uhr und die Folgevorstellungen sind ausverkauft. BR Klassik überträgt ab 18.30 Uhr live, die Vorstellung am 2. Dezember wird als kostenloser Livestream auf staatsoper.tv ins Internet übertragen

Der Eifersuchtsmord des Herrn Moro

Im Briefwechsel zwischen Giuseppe Verdi und Textdichter Arrigo Boito spielt die Hautfarbe Otellos keine Rolle. Verdi bemerkt, dass es nun mal so bei Shakespeare stehe. Ein andermal wehrt sich Verdi gegen einen Kostümentwurf, in dem Otello aussehe wie ein dicker Zulu-König. Forschungen verweisen auf Shakespeares Quelle: eine Novelle von Giovanni Battista Cinthio. Die Handlung geht wohl auf einen Eifersuchtsmord eines Venezianers auf Zypern zurück, der kein Farbiger war, aber Moro hieß. In Shakespeares Drama fallen rassistische Äußerungen. Ob der Autor mit "Moor" einen Mauren oder Schwarzafrikaner meinte, ist umstritten. Der amerikanische Schauspieler Ira Aldridge war 1826 der erste farbige Othello-Darsteller, trat aber auch als Lear, Richard III oder Mohr in Schillers "Fiesko" auf.