Deutsches Theater

Warum "Chicago" so erfolgreich ist


"Chicago" braucht keine große Kulisse, um zu begeistern. Es genügen die Darstellerinnen in Netz und Dessous.

"Chicago" braucht keine große Kulisse, um zu begeistern. Es genügen die Darstellerinnen in Netz und Dessous.

Von Robert Braunmüller / TV/Medien

Frisch vom Broadway: Das Deutsche Theater zeigt wieder das Erfolgsmusical "Chicago"

"Chicago' ist weltweit eine Marke, überall kennt man dieses Musical - selbst in China!" Für einen Moment erfasst die Leidenschaft Barry Weissler, während der alte Herr mit dem akkurat sitzenden Einstecktuch im dunklen Blazer den Blick aus dem Fenster seines hoch gelegenen Büros gen Times Square schweifen lässt. Seine blauen Augen hinter der Brille blitzen und ein zufriedenes Lächeln zieht sich über die bärtigen Gesichtszüge.

Kein Wunder, schließlich hat der Produzent in den vergangenen Jahrzehnten bereits zahlreiche Shows am Broadway herausgebracht und dafür allein sieben Tony-Awards eingeheimst - doch diese Produktion ist zweifellos die erfolgreichste in seiner langen Karriere: Allein im New Yorker Ambassador Theater, wo das Musical um Sex und Mord, Jazz und sensationslüsterne Presse seit 1996 ununterbrochen läuft, wurden bis heute mehr als 570 Millionen Euro eingespielt, weltweit haben über 31 Millionen Besucher in 36 Ländern die Produktion gesehen und damit das Einspielergebnis auf 1,34 Milliarden Euro anwachsen lassen.

Keine langweilige Nummer

Lediglich in Deutschland ist das Stück noch kaum bekannt - doch Weissler zeigt sich zuversichtlich, dass sich dies mit der derzeitigen zweimonatigen Tournee und ihrem Gastspiel in München ändern wird. "Die Kompositionen von John Kander und Fred Ebb sind einfach brillant. Es gibt keine einzige langweilige Nummer - was man wirklich nicht von vielen Musicals sagen kann", schwärmt der 80-Jährige. Obendrein ist die Geschichte um die zwei mordlustigen Frauen Roxie Hart und Velma Kelly authentisch, basiert die satirische Komödie der Gerichtsreporterin Maurine Watkins auf zwei spektakulären Fällen im Chicago der 1920er-Jahre. Habgier, Korruption, Skrupellosigkeit: "Die Grundgedanken dieser Story sind bis heute aktuell, vielerorts läuft es noch immer so - ein Spiegel unserer Gesellschaft", stellt Weissler fest.

Und der lang anhaltende Erfolg scheint ihm Recht zu geben: Ist "Chicago" doch inzwischen am Broadway nach Lloyd-Webbers "Phantom der Oper" das Musical mit der zweitlängsten Spieldauer! Was mehr als nur einen feuilletonistischen Superlativ bedeutet im heiß umkämpften New Yorker Musical-Markt, wo sich rund um den Times Square zwischen der 41. und 53. Straße mehr als 40 große Theater ballen und um die Gunst sowie das Geld der in der vergangenen Saison fast 14 Millionen Besucher werben: Wer hier nicht allabendlich die Theaterreihen zu füllen vermag, ist schnell vom Spielplan wieder abgesetzt. Erst vor drei Monaten erwischte es das mit zehn Tony-Awards ausgezeichnete Musical des Jahres 2018 "The Band's Visit" - nach noch nicht einmal zwei Jahren Laufzeit.

Edle Schlichtheit

Umso erstaunlicher, dass sich "Chicago" seit bald 23 Jahren in diesem knallharten Business behauptet: Schließlich handelt es sich weder um eines jener zirkus-bunten Disney-Stücke noch um ein "Movical" (die Übertragung eines Blockbuster-Films auf die Bühne) oder ein Jukebox-Musical, dessen Handlung um die Hits von (ehemaligen) Popstars gestrickt ist. Ganz im Gegenteil: Die Produktion ergeht sich in edler Schlichtheit, die Jazz-Combo ist mitten auf der Bühne platziert, die Darsteller begnügen sich ohne große Kostümwechsel mit Netz, Dessous und dem kleinen Schwarzen.

Was nicht nur reichlich Haut und Erotik mit sich bringt, sondern auch die nötige Bewegungsfreiheit zum Tanzen lässt: Ist doch die Choreographie neben der Musik das tragende Element dieser Show. Heiße Tanzszenen, mit denen 1997 schon Ute Lemper in eben dieser Inszenierung als Mörderin Velma Kelly der internationale Durchbruch gelang.

Deren Ursprünge indes liegen noch einmal 20 Jahre weiter zurück: Uraufgeführt wurde das Musical nämlich bereits im Juni 1975 im 46th Street Theatre - und seinerzeit hatte Choreografen-Legende und Oscar-Preisträger Bob Fosse (Tanz-)Regie geführt. "Nach dem Abendessen stand er daheim auf, hat getanzt und gesungen und mir erklärt, warum es genau so aussehen müsse", erinnert sich seine damalige Lebenspartnerin Ann Reinking an die Entstehung der Inszenierung.

Zeitlos, sexy, elegant

Zwei Jahre später fiel dennoch erst einmal der letzte Vorhang und das Musical verschwand in den Annalen des Broadway bis Weissler knapp zwei Jahrzehnte später wieder auf das Stück aufmerksam wurde. In Erinnerung an Fosse kam für ihn als Choreographin der Neuauflage nur Reinking in Frage - und die hat das "Chicago"-Revival denn auch ganz im Geiste ihres 1987 verstorbenen, künstlerischen Ziehvaters inszeniert und schaut bis heute regelmäßig auf die New Yorker Produktion. "Das Konzept sollte dasselbe sein, denn seine Arbeit war und ist zeitlos - sexy, doch immer elegant", beschwört die 69-Jährige den Genius ihres verflossenen Liebhabers.

Um zum Abschluss - wir sind ja im Theater und die Schauspielerin und Tänzerin weiß um die Wirkung tränenreicher Pathos-Sätze - noch hinzuzufügen: "Was mich bei all diesem Erfolg allein traurig macht ist, dass Bob diese Show hat nicht noch einmal sehen können - aber vielleicht schaut er ja vom Himmel aus zu."

Deutsches Theater, bis 11. August. Karten von 22 bis 91 Euro, Karten 089/55234-444