Kultur

Vom Leben gezeichnet

Uraufführung in den Kammerspielen:Das ukrainisch-deutsche Stück "Green Corridors" mit Svetlana Belesova in einer der Hauptrollen


"Die Dinge entstehen beim Machen", findet das schauspielerische Allround-Talent Svetlana Belesova.

"Die Dinge entstehen beim Machen", findet das schauspielerische Allround-Talent Svetlana Belesova.

Von Michael Stadler

Damals, im Jahr 2007, gab es nicht mal die leiseste Ahnung davon, dass in der Ukraine eines Tages ein Krieg stattfinden würde. Im Gegenteil: Als Svetlana Belesova ihre Heimat Simferopol, Hauptstadt der ukrainischen Halbinsel Krim, verließ, war das Verhältnis zu Russland insgesamt recht positiv, wie sie sich heute erinnert. Zwei Jahre lang, von 2005 bis 2007, hatte sie in Simferopol Deutsch als erste und Englisch als zweite Fremdsprache studiert; der Plan war, Übersetzerin und Dolmetscherin zu werden. Dann entschied Svetlana Belesova sich, nach Deutschland auszuwandern, weil das Leben auf der Krim "schon hart gewesen ist. Dort muss man einfach anders kämpfen, um sich über Wasser zu halten."

Einige Zwischenstationen später, ist Belesova nun seit 2020 im Ensemble der Kammerspiele, hat den durch die Pandemie erschwerten Start der Intendanz von Barbara Mundel aus nächster Nähe miterlebt. Wobei sie dennoch schon einige Male aufgefallen ist: als Teil des wortfulminanten Trios in "Die Politiker" etwa oder als eine von zwei Erika Manns in "Gespenster".

Corona wurde im öffentlichen Bewusstsein vom russischen Angriffskrieg in der Ukraine abgelöst. Was in ihrer Heimat passiert, hat Svetlana Belesova auch über ihre Eltern mitbekommen, die dann im letzten November von der Krim geflüchtet sind und jetzt in Dachau wohnen. Einen "Green Corridor" haben sie dabei nicht genutzt, weil damit vor allem jene Fluchtkorridore gemeint sind, durch die Menschen vom ukrainischen Festland Richtung Europa fliehen.

Gemeinsam mit drei Schauspielerinnen aus der Ukraine und zwei Ensemblekolleginnen spielt Svetlana Belesova nun unter der Regie von Jan-Christoph Gockel bei der Uraufführung von Natalia Vorozhbyts "Green Corridors" mit. Es ist ein Auftragswerk der Kammerspiele an die ukrainische Autorin, die den Begriff der "grünen Korridore" metaphorisch für ein umfassenderes Flüchtlingspanorama nutzt. "Das Stück handelt von dem Weg, den die Menschen in der Ukraine auf sich nehmen, um vor dem Krieg zu flüchten", sagt Belesova. "Aber auch davon, wie sie dann versuchen, in Europa zurechtzukommen."

Zunächst müssen die vier Frauen, die aus Charkiw, Tschernihiw, Butscha und Kyjiw geflüchtet sind, vor der Grenze ausharren. In Europa landen sie dann in weiteren Warteschlangen. Die Schicksale ihrer Protagonistinnen hat Natalia Vorozhbyt breit angelegt: Die eine ist eine "Katzenfreundin", die ein paar ihrer geliebten Katzen zurücklassen musste; die andere hat ihren Mann im Krieg verloren; die dritte wurde bei der Besetzung von Butscha vergewaltigt. Nur die Geflüchtete aus Kyjiw hat laut Personenregister "noch nichts Schreckliches erlebt". Als Schauspielerin hat sie bereitwillig auch in russischen Produktionen mitgewirkt und kann trotz mangelnder Erfahrung alles Mögliche spielen.

Svetlana Belesova verkörpert dieses schauspielerische Allround-Talent, das für seine Karriere jeden ideologischen Seitenwechsel in Kauf nimmt. Viel reden möchte Belesova über diese Figur eigentlich nicht, "mir fällt es oft schwer, eine Rolle zu beschreiben, weil sie auch nicht in meinem Kopf entsteht, sondern auf einer unterbewussten, emotionalen, körperlichen Ebene. Die Dinge entstehen doch beim Machen."
Ein paar Aussagen lassen sich dann dennoch treffen: "Die Schauspielerin fühlt sich eher als Europäerin und denkt, sie gehört von allen am meisten dort hin", erzählt Svetlana Belesova. "Deswegen meint sie, den anderen sagen zu können, was sie tun müssen, damit sie auch Teil der europäischen Gesellschaft werden. Sie hält den Schmerz und das Leid der anderen nicht aus und meint, dafür Lösungen parat zu haben. Am Ende begreift sie aber, dass diese Lösungen nicht unbedingt die richtigen waren."

Die Vorschläge und Aktionen der Schauspielerin lösen in ihrem Umfeld starke Aggressionen aus: Gleich mehrmals wird sie erschlagen. Um später wieder quicklebendig, ähnlich wie die Figur Kenny in der Cartoon-Serie "South Park", aufzutauchen. "Sie ist auch eine Art Blitzableiter für die anderen", findet Svetlana Belesova, "Wie eine Katze hat sie mehrere Leben, stirbt immer wieder, ohne zu sterben."

Zudem hat Natalia Vorozhbyt in ihr Stück einige Filmdreh-Szenen eingestreut, bei denen die Schauspielerin berühmte Persönlichkeiten der ukrainischen Historie verkörpern soll, von der Dichterin Olena Teliha bis hin zu dem Komponisten Mykola Leontowytsch. "Beide eint, dass sie in Krisenzeiten überlegen mussten, ob sie fliehen oder in der Ukraine bleiben wollen", sagt Svetlana Belesova. "In ihrer Geschichte spiegelt sich das Dilemma der Schauspielerin wider, die glaubt, dass sie die europäischen Werte vertritt, aber letztlich zu dem Punkt kommt, dass sie sich in Europa als Fremde fühlt".

Auch den Politiker Stepan Bandera, heute in Teilen der Ukraine als Nationalheld verehrt, spielt die Schauspielerin. "Er ist eine zwiespältige Figur, weil er einerseits für die Unabhängigkeit der Ukraine gekämpft hat, aber sich dafür auf die Seite der rechtsextremen Nationalisten schlug und später mit der deutschen Wehrmacht zusammenarbeitete." Im Stück gibt es Dreharbeiten zu einem Film über Bandera im Münchner Exil, kurz vor seiner Ermordung durch einen KGB-Agenten im Oktober 1959. Diese Drehs wurden von Jan-Christoph Gockel und seinem Team direkt in Filmeinspielungen umgesetzt.

Ein weiteres zentrales ästhetisches Element von Gockels Inszenierung sind die live hergestellten Zeichnungen der ukrainischen Illustratorin und Animationskünstlerin Sofiia Melnyk. "Das ist so ein toller Effekt! Sie malt unsere Welt", schwärmt Svetlana Belesova. "Das Bühnenbild beinhaltet eine riesige Wand, auf die ihre Zeichnungen mit dem Beamer projiziert werden. Sie kann zum Beispiel im Nu das Zimmer einer Flüchtlingsunterkunft entwerfen, und wir tun so, als ob wir uns darin aufhalten."

So schnell die Zeichnungen entstehen, so schnell können sie auch wieder weggewischt werden. "In einer ähnlich instabilen Lage befinden sich ja auch die Geflüchteten. Gestern hatten sie noch eine Wohnung, im nächsten Moment wurde sie weggebombt. In Europa müssen sie eine Unterkunft finden, aber wie lange sie dort bleiben können, ist ungewiss. Wenn der Krieg vorbei ist, müssen sie wieder zurück. Es gibt auch Träume, Wunschvorstellungen, die Sofiia zeichnet und wieder verschwinden lässt."

Den Einbruch des Krieges in der Ukraine hat Svetlana Belesova als totalen Schock erlebt. "Ich hätte nie gedacht, dass so etwas passieren könnte. Im Nachhinein haben wir erst gemerkt, wie naiv wir alle waren!" Nachdem sie 2007 die Krim verlassen hatte, studierte sie zunächst Medien- und Politikwissenschaft in Dresden und bewarb sich nebenbei an mehreren Schauspielschulen. Bis sie in München an der Theaterakademie August Everding genommen wurde. Von 2017 bis 2018 spielte sie am Staatstheater Nürnberg, war dann im Ensemble des Schauspielhaus Bochum unter Johan Simons.

Mit ihrem Engagement an den Kammerspielen ist sie 2020 nach München zurückgekehrt. Dabei habe sie sich weniger nach der Stadt zurückgesehnt, "es war mehr eine Sehnsucht nach den Kammerspielen. Für mich ist das der schönste Theatersaal Deutschlands. Ich weiß noch, wie ich während meiner Studienzeit Größen wie Wiebke Puls, Stefan Merki oder Thomas Schmauser auf der Bühne bewundert habe. Jetzt kann ich mit ihnen zusammenspielen. Das ist schon der Wahnsinn."

Dass die Kammerspiele derzeit unter schlechten Auslastungszahlen leiden, bedauert Svetlana Belesova. "Natürlich möchte ich als Spielerin immer vor vollem Haus spielen. Aber es ist schwer zu beurteilen, ob die momentane Situation nicht auch ein Überbleibsel von Corona ist. Wir hatten einen schwierigen Start. Mal sehen, wie es jetzt weitergeht." Wie manche Zeichnung lässt sich ja auch eine Krise, mit etwas Glück und mehr Zuschauerneugier, wegwischen.

Für die Premiere heute, 14. April, 20.15 Uhr, in der Therese-Giese-Halle, und die zweite Vorstellung am Samstag, 19.30 Uhr, gibt es noch Karten (% 233 966 00).