AZ-Kritik

Phil Collins im Münchner Olympiastadion: Gefühlte Bewegung


Phil Collins live: Das ganze Konzert ist ein nostalgisch aufgeladenes Bombardement von Reminiszenzen, ein Katapultwurf zurück in gute alte Zeiten.

Phil Collins live: Das ganze Konzert ist ein nostalgisch aufgeladenes Bombardement von Reminiszenzen, ein Katapultwurf zurück in gute alte Zeiten.

Von Guido Verstegen / Online

Das Ende kann warten: Phil Collins begeistert im Olympiastadion mit seiner Band - inklusive Sohn Nicholas am Schlagzeug. Seiner Stimme konnten all die vielen Jahre nichts anhaben.

München - Um eine Masse in Bewegung zu bringen, muss man selbst gar nicht mehr unbedingt mobil sein. Auf einem Krückstock kommt Phil Collins auf die Bühne im Olympiastadion, die rund 50.000 Zuschauer geben ihm sofort Standing Ovations.

In seiner ersten Ansage liest Collins von einem Zettel ein paar deutsche Worte ab - eine Erklärung dafür, weshalb er den Abend vor allem sitzend verbringen wird: "Ich hatte eine Rückenoperation, und mein Fuß ist gefuckt."

Phil Collins: Er hat sich immer wieder aufgerappelt

Dass seine Finger nach einer Halswirbeloperation taub sind und er deshalb nicht mehr so trommeln kann wie früher, erwähnt Collins nicht. Aber das ist auch schon wieder eine Dekade her. Einer wie er lässt sich eben von den Gebrechen und Schicksalsschlägen, die sich im Lauf eines Lebens ansammeln können, nicht unterkriegen - wenngleich er sich vor ein paar Jahren fast tot getrunken hätte.

Aber Collins hat sich immer wieder aufgerappelt, macht weiter, widersteht der Schwermut, übt sich in schwarzem Humor. Unter dem Titel "Still not dead yet" tourt der 68-jährige Brite mit großer Bandbesetzung, und es ist natürlich völlig lebensbejahend, was er da macht: seine Hits spielen, zur Freude von Millionen Fans.

Der erste Song des Abends klingt wie eine Kampfansage an existentielle Tiefpunkte, ist dabei einer von Collins' berühmten Trennungssongs. Unbeirrbar steht das Ich in "Against All Odds" noch da, "take a look at me now", aber es ist doch sehr unwahrscheinlich, dass die verlorene Geliebte zurückkehren wird.

Phil Collins: Das Private ist eng mit seiner Musik verbunden

Collins schrieb das Lied 1983 für den gleichnamigen Film, hatte dabei die Trennung von seiner ersten Ehefrau Andrea im Kopf. Drei Scheidungen hat er jetzt hinter sich, mit seiner dritten Ex-Gattin Orianne Cevey lebt er seit 2016 wieder zusammen. Solche privaten Details könnte man vielleicht auch einfach mal außer Acht lassen, aber das Private ist nun mal eng mit Collins' musikalischem Schaffen verbunden.

Seine Erfahrungen durchdringen seine Texte; jedes Konzert ruft neben altem Glück auch alten Schmerz auf - wenn man denn auf die Lyrics hört (und Collins wird sie beim Singen sicherlich denken). "The hurt doesn't show, but the pain still grows", singt er, da ist das Konzert zu zwei Dritteln vorbei und nicht nur einzelne Zeilen aus "In the Air Tonight" sorgen für Gänsehaut in der Arena, sondern dieses ganze Konstrukt aus atmosphärischem Beginn, billigem Beat, hartem Gitarrenriff, schwebendem Gesang und per Drums stetig gesteigertem Spannungsbogen.

Am Schlagzeug sitzt nun nicht mehr Collins senior, sondern eines seiner fünf Kinder: Sohn Nicholas ist gerade mal 18 Jahre alt und übernimmt die Staffel bzw. Klöppel von seinem Vater mit der Souveränität eines langjährigen Tourneemusikers. Für Nachschub ist also gesorgt, das musikalische Erbe gesichert.

Mit Phil Collins auf Zeitreise im Olympiastadion

Wenn der junge Collins bei "You Know What I Mean" den alten Collins am Klavier begleitet, dann mag das nicht unbedingt der beste Song aller Zeiten ein, aber rührend ist es allemal, so wie das ganze Konzert ein nostalgisch aufgeladenes Bombardement von Reminiszenzen ist: ein Katapultwurf zurück in gute alte Zeiten, als Karrieren sich zum Teil noch schrittweise entwickelten und ein paar langhaarige Männer ausprobierten, wohin der Rock und Pop sich eigentlich weiter entwickeln könnten.

Als Mitglied von Genesis hat Collins in den Siebzigern erstmal ein paar Jährchen die Drums gespielt und im Hintergrund gesungen, bis er zum Frontmann wurde. Zusammenmontierte Bilder aus der Bandgeschichte flimmern über die Leinwände im Olympiastadion, während er mit seiner heutigen Truppe in die Genesis-Schatzkiste greift und zwischendurch Klassiker wie "Throwing It All Away" herausholt.

Vertraute Weggefährten hat Collins sowieso mit dabei, darunter Gitarrist Daryl Stuermer, der schon Ende der Siebziger mit Genesis auf Tour war, oder Bassist Leland Sklar, der Collins seit den Achtzigern bei dessen Solo-Karriere begleitet und mindestens so viel Tournee-Erfahrung mitbringt wie seine Haare und sein Bart lang sind.

Phil Collins: Nie klang Sozialkritik schöner

Selbst wenn einige der Lieder im Vergleich zu den Originalen leicht entschleunigt klingen und die Ballade "Separate Lives" auf halber Gefühlsstrecke in Langsamkeit zu versumpfen droht, erzeugt die Band immer wieder gehörigen Drive, auch dank des bewährten Perkussionisten Richie "The Octopus" Garcia.

Er liefert sich mit Nicholas Collins mittendrin ein wunderbares Drummer-Battle - bis sie mit Vater Phil zu dritt an den Cajóns sitzen und der Chef beweist, dass er trotz geschwächter Finger weiterhin über ein großartiges Rhythmusgefühl verfügt. Manches vergeht eben nie, der Zauber von Hits wie "Another Day in Paradise" sowieso nicht - nie klang Sozialkritik schöner. Bei "Easy Lover" kuschelt Collins mit zwei Mitgliedern seines vierköpfigen Background-Chors ein bisschen. Flüchtig ist der Eros, gefährlich die Liebe: "She'll take your heart but you won't feel it…"

Phil Collins: Ankommen mit den Fans

Zu all dem erzeugt ein Bläser-Quartett mit ebenfalls alt bekannten Recken einigen Furor, setzt bei dem sonst so schwebenden Genesis-Hit "Invisible Touch" druckvolle Akzente. Seinen "Touch" hat Phil Collins nicht verloren, seiner Stimme konnten die Jahre nichts anhaben.

Zwar mag sie manchmal im satten Bandsound untergehen, aber tritt doch immer wieder hervor, klar, stark, herrlich knödelnd. Je dunkler die Nacht wurde, desto mehr entbrannte auch eine Lichtshow auf der Bühne. "Dance Into the Light", sang Phil Collins und nach zwei Stunden "Take me Home", zusammen mit den Fans, das "o" von "home" gedehnt. Also diese eine sehnsuchtsvolle Ballade, wie so oft am Schluss. Wenn man sich dort zu Hause fühlt, wo das Herz liegt, dann sind Collins, seine Band, sein Publikum an diesem Abend wieder gemeinsam an einem Ort angekommen.

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