"Die neue Zeit" im ZDF

Lars Kraumes spektakuläre Bauhaus-Serie


Valerie Pachner (li.) und Anna Maria Mühe als Bauhaus-Studentinnen

Valerie Pachner (li.) und Anna Maria Mühe als Bauhaus-Studentinnen

Von Volker Isfort / TV/Medien

Anna Maria Mühe und August Diehl begeistern in der sechsteiligen Serie über die Bauhaus-Gründung

Diesem Blick kann er auf Dauer nicht widerstehen. Wie sie ihn schon ansieht aus ihren wasserblauen Augen - anfangs noch unsicher, da setzt bei Walter Gropius sofort der Beschützerinstinkt ein. Mit der Zeit wird das blond gelockte Fräulein aber selbstbewusster. Das ist dann nicht mehr ganz so zauberhaft - weder für den Herrn Bauhaus-Direktor, noch für die Lehrer, die allesamt Meister genannt werden wollen und fast durchweg Männer sind. Da hat die Utopie von der Gleichberechtigung ein Loch. Und weil man das immer noch am besten über eine Liebesgeschichte ans Publikum bringt, verguckt sich Walter Gropius in diese Studentin Dörte Helm. Obgleich es keine Belege gibt, haben das seine Kritiker gerne ins Feld geführt.

Allerdings war die skandalöse Liaison auch nicht unrealistisch, und der sechsteiligen ZDF-Arte-Serie "Die neue Zeit" mit den Hauptdarstellern August Diehl und Anna Maria Mühe gibt sie Drive. Allein die Eifersuchtsanfälle von Gropius' Cognac-schwenkender Gattin Alma Mahler taugen in diesen TV-Film schon fürs Kino. Birgit Minichmayr speibt ihre Attacken so herrlich ordinär aus der Goschn, dass man sie am liebsten wieder nach Wien abreisen sieht. Und der überhebliche Johannes Itten (Sven Schelker), dessen Grundkurs sämtliche Bauhäusler passieren müssen, ist mit seiner sadistischen Vorführ-Pädagogik ein idealer Gegenspieler für den charmanten Gropius. Der wiederum kommt an, weil er nach dem fatalen Ersten Weltkrieg nicht nur von schönen Visionen spricht, sondern sich bei Feten lässig unter die Studenten mischt, ausgelassen tanzt und dann seiner kleinen Flamme auch noch gesteht, dass er gar nicht zeichnen kann. Das klingt nach Koketterie, ist aber wahr.

Walter Gropius war ein Hochstapler

Walter Gropius (der vor Jahren starb) war im Grunde ein Hochstapler. Sein Architekturstudium in München hat zwei Semester gedauert, die Technische Hochschule dürfte er selten von innen gesehen haben, doch er fand ständig eine helfende Hand - oder eine gute Idee, die er ohne Vertun übernehmen konnte. Von den Reformen an verschiedenen Kunstschulen bis zum Abkupfern bei den holländischen De-Stijl-Künstlern. Der egomanische Selbstverwirklicher war jedoch ein genialer Netzwerker, ein grandioser Redner, ein Anführer und Antreiber. Ohne ihn wäre das 1919 gegründete Bauhaus nicht denkbar, das wird in Lars Kraumes Sechsteiler sofort klar, wenn Gropius seine Innovationen verteidigt. "Wenn die Kunst nicht für alle ist, was soll sie dann?", wirft er es den miefig-reaktionären Weimaranern an den Kopf, die sich mächtig über die "vielen Ausländer und die Juden" in den Klassen aufregen. Dörte findet an diesem Mann Gefallen, und August Diehl ist in seiner Rolle als Gropius ein brillanter Rattenfänger, der immer noch eine Pointe im Ärmel hat. Jedenfalls in Weimar.

Sehr viel später kommt der 80-jährige Mitbegründer der Moderne, der in der Rahmenhandlung auf sein aufregendes Leben zurückblickt, doch manchmal ins Schleudern. In einem fiktiven Interview konfrontiert ihn die Vanity-Fair-Autorin (Trine Dyrholm) im 1963 mit einem ziemlich heutigen Vorwurf: Gropius habe die Frauen am Bauhaus unterdrückt. Und sie bohrt unerbittlich weiter, vor allem in der Beziehung zu Dörte Helm. Regisseur Kraume nimmt das zum Anlass, das Bauhaus aufleben zu lassen: die Kämpfe, die Stimmung unter den Studenten, ihren Hunger nach Fortschritt und ihr Ringen um eine neue Ästhetik für ein modernes, offenes Leben.

Der Kampf um die weibliche Befreiung

Wenn sich Dörte nach einem Auftritt Else Lasker-Schülers bald im Stil der Avantgarde-Dichterin kleidet, demonstriert das mehr als die Befreiung vom großbürgerlichen Korsett. Eindruck macht übrigens auch ihre Münchner Kommilitonin Gunta Stölzl, sie wäre eine heiße Kandidatin für ein ausführliches Porträt. Und Valerie Pachner, die man auch vom Residenztheater her kennt, spielt die hoch talentierte Textildesignerin umwerfend bodenständig und mit fein-herbem Witz. Auf der anderen Seite hätte der fabelhafte Herr Gropius bei Stölzl schwerlich landen können. Insofern ist die mittelbegabte, mit der Zeit immer aufmüpfigere Dörte Helm die passende Ankerfigur für die Bauhaus-Serie, die im September im ZDF läuft. Und Anna Maria Mühe vermittelt das Verinnerlichen progressiver Ideen absolut überzeugend.