Neue CD

Konzertmitschnitte: Grigory Sokolov live


Der Pianist Grigori Sokolov.

Der Pianist Grigori Sokolov.

Von Robert Braunmüller / TV/Medien

Konzertmitschnitte von Grigory Sokolov mit Musik von Mozart, Beethoven, Brahms und einer Auswahl seiner vielen Zugaben, deren Komponisten sonst geraten werden müssen.

Äußerlich unbewegt und ohne sichtbare Mimik geht der kleine ältere Herr im Frack durch verlassene Gänge, passiert grüne Sicherheitstüren, sammelt sich kurz und betritt die Bühne. Nach einer angedeuteten Verbeugung setzt sich Grigory Sokolov an den Flügel und beginnt zu spielen, Klaviermusik von Wolfgang Amadeus Mozart, aufreizend gemächlich und vollkommen ohne rhetorische Rokoko-Klischees.

Die Kamera dokumentiert den betont nüchternen Auftritt kommentarlos: Es ist, als ob man irgendeinem normalen Beschäftigten zusehen würde, der sich, wie jeden Tag, an seinen Arbeitsplatz setzt und pflichtbewußt sein Werk verrichtet. Die eingeschworene Publikumsgemeinde Sokolovs wird es begrüßen, auf der DVD, die dieser Edition beigegeben ist, einmal einen Blick hinter die Kulissen werfen zu können.

Schweres Stanzen

Was man ansonsten in dem Video von 2017 sieht und auf den beiden CDs mit Konzertmitschnitten aus dem letzten Jahr hört, entspricht den Erfahrungen, die man bei Sokolovs Auftritten immer macht. Auch am Flügel zeigt der russische Pianist, der in diesem April 70 Jahre alt geworden ist, kaum eine Regung.

Ein Musikerkollege, kein Kritiker, hat in einem Pausengespräch einmal treffend beobachtet, dass Sokolov immer mehr zu erstarren scheint. Am krassesten tritt diese Statuarik zu Tage, wenn sie sich offen mit dem Werk reibt: Der Sonate Nr. 3 C-Dur des jungen Ludwig van Beethoven wird alles Ungestüme ausgetrieben, Sokolov stanzt Synkopen schwer in die Tastatur und setzt Formteile überdeutlich voneinander ab.

Das frühe Werk, in dem sich die Einfälle zu überschlagen scheinen, wird mit sanfter Entschlossenheit aufgeräumt, übersichtlich gemacht. Wer es lebendiger, bildhafter, auch humorvoller mag, sollte beispielsweise Igor Levit hören. Lässt man sich jedoch auf Sokolovs kompromisslos reines Spiel ein, vermeint man irgendwann, eine geheimnisvolle Aura zu vernehmen, die über das Werk selbst hinausgeht.

Unwiderstehliche Melancholie

Eine solche Spannung zwischen Werk und Interpretation ergibt sich bei der späten Klaviermusik von Johannes Brahms nicht. Die anrührend stille Sehnsucht des instrumentalen Gesangs, die noble Resignation der herbstlich verlöschenden Akkorde, auch der unbehauene Trotz: Alle diese Elemente, die Sokolov in seinem Spiel immer wieder aufsucht, haben in den Klavierstücken op. 118 und 119 auch tatsächlich ihre Entsprechung.

So unwiderstehlich kann der Hörer in dieser Melancholie versinken, dass man bedauert, dass nicht auch gleich die benachbarten Sammlungen op. 116 und 117 vollständig mit dabei sind. Dafür ist hier endlich einmal die großzügige Folge von Zugaben versammelt, die Sokolov seiner Anhängerschaft nach dem offiziellen Konzertende bereitwillig offeriert und die bei den Uneingeweihten regelmäßig für Rätselraten sorgt: Schubert, Brahms und Chopin erkennen viele noch, nicht unbedingt aber die geistreichen Miniaturen des französischen Barockmeisters Jean-Philippe Rameau.

Schade nur, dass Schuberts "Ungarische Melodie" h-moll, die Sokolov in einem der letzten Programme unnachahmlich insistierend gespielt hat, hier nicht vertreten ist. Vielleicht das nächste Mal.

Klavierwerke von Wolfgang Amadeus Mozart, Ludwig van Beethoven, Johannes Brahms, Zugaben; Grigory Sokolov, Klavier; 2 CDs mit einer DVD (Deutsche Grammophon)