Kultur

Kälte, Macht und Musik

Packend, schillernd, irritierend: "Tár" von Todd Fields mit Cate Blanchett ist außergewöhnliche und intelligente Kinokunst


Cate Blanchett als Lydia Tár in Todd Fields Drama.

Cate Blanchett als Lydia Tár in Todd Fields Drama.

Von Adrian Prechtel

Dieser Film verwirrt - und das ist gut so! Denn nach dem aktuellen Zeitgeist wäre eigentlich alles klar: Da hat es eine Frau aus osteuropäischem New Yorker Einwanderermilieu an die Spitze der Berliner Philharmoniker und damit an die Weltspitze geschafft. Sie ist mit einer Frau (Nina Hoss) verheiratet und hat ein Kind adoptiert. Wer mit "Tár" aber ein besonders wokes, politisch korrektes Werk erwartet, ist im falschen Film. Denn "Tár" ist dafür viel zu aufgeweckt und intelligent. Und so sitzt man in einem außergewöhnlichen Drama, das mit Cate Blanchett noch oscarreifen Glitzer hat. Denn diese Lydia Tár ist viel zu irritierend und schillernd, um es uns einfach zu machen. Sie ist dem Zuschauer von der ersten bis zur letzten Sekunde nicht geheuer. Ja, sie wird in ihrem kalten Ehrgeiz, der über psychische Leichen geht, sogar zunehmend unsympathisch.

Aber dann lässt der Film bei dieser blitzgescheiten und intellektuell überlegenen Frau noch die komplizierte jüdische Aufstiegsgeschichte aufblitzen, die mit viel Selbstverleugnung einherging. Das alles zu verkörpern ohne überzuagieren, verlangt von einer Schauspielerin alles. Und Regisseur Todd Fields hat sein Drehbuch von "Tár" auch nur für Cate Blanchett geschrieben.


In der ersten von über zweieinhalb Stunden mutet das Drama dem Zuschauer zu, Tár in Interviews und Klassikfan-Talkrunden über die Interpretationsmöglichkeiten klassischer Musik philosophieren zu hören: "Vergessen Sie Visconti", sagt sie witzig, wenn es um das Adagio aus Mahlers 5. Symphonie geht. Und dann wirft Tár, die "Maestro" genannt werden will, nicht "Maestra" und gegen Frauenquoten ist, Lenny Bernstein vor, Mahlers Symphonie missbraucht zu haben: als Spiegel der Unmöglichkeit von Mahlers Ehe mit Alma. Dabei stamme diese Komposition aus der Zeit "junger Liebe" und sei deshalb auch so zu interpretieren. Man erlebt hier den Klassikzirkus als elegantes Florettfechten um Aufmerksamkeit und Überlegenheit.

Solche Exkurse sind aber weder überkandidelt noch fad oder lästig, sondern geistreich witzig, auch weil Cate Blanchett derart intensiv erzählt, dass man gebannt dem Fachwissen ihrer Figur folgen will. Im Folgenden entfaltet sich dann ein psychologisches Drama um eine Erfolgsfrau, die in ihrer machtpolitischen Überheblichkeit ihre Umgebung demütigt und zu Gegenreaktionen provoziert. Und am Ende hat sie zu viele Neider, Opfer und Feinde und gerät in einen "Political Correctness"-Shitstorm. Weil sie Johann Sebastian Bach gegen einen asiatisch-amerikanischen Musikstudenten verteidigt, der diesen alten "patriarchalischen, europäischen Cis-Mann" nicht mehr spielen will. Und weil sie in den Zusammenhang des Selbstmordes einer Jung-Dirigentin gerät, mit der sie ein - von ihr zu schnell abgestrittenes - Verhältnis hatte. Gab es da sogar einen sexuellen Machtmissbrauch mit Todesfolge? Außerdem spielt Tár noch brutal ihre Assistentinnen gegeneinander aus und kränkt ihre Frau, die auch Primgeigerin des Orchesters ist.

Dies alles ist derart packend und vielschichtig, dass sich der Film jeglichem ideologischen Zugriff oder einer Instrumentalisierung für Kultur- und Emanzipationskämpfe entzieht.

Kino: Arri, Sendlinger Tor, Rio
sowie City, Leopold (auch OmU), Monopol, Isabella (OmU)
und Cinema, Musuem (OV)
R: Todd Fields (USA, 158 Min.)