Münchner Opernfestspiele

Händels "Agrippina" im Prinzregententheater


Händels "Agrippina" im Prinzregententheater.

Händels "Agrippina" im Prinzregententheater.

Von Robert Braunmüller / TV/Medien

"Agrippina" von Georg Friedrich Händel in der Inszenierung von Barrie Kosky im Prinzregententheater

Bedeutungsschwanger fixiert Franco Fagioli das Publikum mit seinen stechenden schwarzen Augen, singt huldvoll von den Freuden der Mildtätigkeit und umarmt schließlich, überwältigt von der eigenen menschlichen Größe, einige Herrschaften aus den ersten Reihen des Prinzregententheaters. Aus der Heuchelei des Nero zieht der Countertenor maximale Komik. Und seine nicht weniger als sieben Mitstreiter, die Georg Friedrich Händel in seiner frühen Oper "Agrippina" als ziemlich gleichwertige Figuren konzipierte, werden nicht müde, ihm dabei Konkurrenz zu machen, allein mit Mimik, Gesten, Körperhaltungen, spaßigen Geräuschen - und dem reinen Gesang.

sized

Händels "Agrippina" im Prinzregententheater.

sized

Händels "Agrippina" im Prinzregententheater.

sized

Händels "Agrippina" im Prinzregententheater.

Lesen Sie auch unser Interview mit Barrie Kosky über Händels Oper

Das Tolle an dieser Neu-Inszenierung von Barry Kosky ist, dass sie so gut wie alles den Sängern anvertraut. Die Bühne ist offen, man sieht ihren rohen Hintergrund mit Leitern, Scheinwerfern und Feuerlöschern. Die einzige Kulisse ist für lange Zeit eine haushohe eckige Metallkonstruktion, die man verändern und auf kleinen Rädern herumfahren kann und die durch ihre eigenen, maschinenartig surrenden Geräusche fast zu einer eigenen Person wird (Bühne: Rebecca Ringst). Auf einer Art Palastbalkon herrscht hier Gianluca Buratto als Kaiser Claudio mit seinem einschüchternden Bass über seine emsig Ränke schmiedenden Untertanen.

Kindliche Lust an der Gewalt

Ohne sonstige technische Gimmicks fesselt hier über annähernd vier Stunden allein, wie die Figuren auftreten und was sie sich gegenseitig antun. Gleich drei Countertenöre sind geboten, jeder anders: Fagioli mit seiner geradezu verwirrenden Höhe und einer stupenden Koloraturtechnik fast schon ein Sopran, Eric Jurenas als Narciso leicht und komödiantisch, männlicher timbriert Iestyn Davies. Was er als Ottone durch den virilen Markus Suihkonen (Lesbo) und Andrea Mastroni mit seinem extratiefen Bass (Pallante) an Unrecht zu erleiden hat, bringt die dunkle Dimension der ansonsten satirisch grundierten Handlung hervor. Inszeniert ist die Prügelei jedoch mit einer völlig moralfreien, kindlichen Lust an der Gewalt. Soetwas geht so nur auf dem Theater.

Im Zentrum aller dieser prallen Szenen stehen zwei vor Kraft strotzende Frauenfiguren. Elsa Benoit gibt mit herrlich gefärbtem Sopran eine an vibrierender Lebendigkeit überschäumende Poppea. Ihr gelingt das Kunststück, der unvergleichlichen Alice Coote Paroli zu bieten, welche die Titelfigur der Agrippina mit raubtierhafter Gefährlichkeit ausstattet: Ihr sehniger Sopran hat einen Riesenumfang, der mit hochexpressiven Koloraturen und einer phänomenalen Bandbreite an zusätzlichen Lautäußerungen bis hin zum falschen Heulen und Schreien voll ausgeschöpft wird.

Sinnlicher Klangrausch

Am Pult des Bayerischen Staatsorchesters steht ein alter Bekannter: Ivor Bolton, einer der Protagonisten der Serie von Händel-Produktionen, die noch unter dem damaligen Intendanten Sir Peter Jonas seit den 1990er Jahren für Aufsehen gesorgt hatte. Bolton hat sich, abgesehen von seiner gleichgebliebenen Neigung zu robusten Einheitstempi, erfreulich weiterentwickelt. Unüberhörbar gestiegen ist vor allem die differenzierte Farbigkeit des Musizierens. Gleich drei Cembali, dazu Harfe, Gitarre und Theorbe, verbreiten in den Rezitativen einen sinnlichen Klangrausch, der aber auch einmal ausdrucksvoll ausgesetzt werden kann.

So steigt etwa Alice Coote, wenn sie ihrem Intrigenmosaik den letzten Stein einsetzt, in quälender Stille langsam die Eisentreppe hinauf. An den Schluß der Handlung wurde noch die Instrumentalfassung einer Arie aus Händels Oratorium "L'Allegro, il Penseroso ed il Moderato" hinzugesetzt, deren traurige Atmosphäre dem Finaljubel widerspricht und vielmehr die Melancholie der Macht anschaulich macht: zwei besonders gelungene Beispiele dafür, wie diese Produktion komische und ernste Momente allein durch Musik und Personenregie erreicht. Schade, dass von ihr nur so wenige Aufführungen zu sehen sind.

Die weiteren Aufführungen am 26., 28. und 30. Juli, jeweils um 18 Uhr im Prinzregententheater, sind ausverkauft, jedoch wird die Aufführung vom 28. Juli live auf www.staatsoper.tv übertragen und steht danach zwei Wochen lang als Video zur Verfügung.