Kultur

Geld, Leben, Sex und Kunst

"Warhol": Das Modern String Quartet hat ein "Anti Musical" komponiert, inszeniert im Gasteig HP8 von Andreas Widermann


Andy Warhol (Oliver Möller) mit seiner großen - immaginierten - Liebe, Marilyn Monroe (Anina Doinet).

Andy Warhol (Oliver Möller) mit seiner großen - immaginierten - Liebe, Marilyn Monroe (Anina Doinet).

Von Mathias Hejny

Der Meister drückt sich noch vor der Party. Es ist der 6. August 1968 und er wird heute 40. Den ganzen Tag über blieb er in einem Zimmer im New Yorker Chelsea Hotel, dann greift Andy Warhol zum Telefon und spricht mit Marilyn Monroe. Die ist schon seit sechs Jahren tot. Aber was die beiden schicksalhaft und über Tod und Leben hinaus miteinander verbindet, ist: Sie sind beide Projektionsflächen des mythischen amerikanischen Traums, in dem alles möglich ist.


Auch das Modern String Quartet feiert in diesem Jahr sein Vierzigstes, und feiert das mit einem ungewöhnlichen Experiment. Das erste abendfüllende Bühnenprojekt der vier jenseits aller Schubladen spielenden Münchner Musiker heißt "Warhol". Das Werk ist ein Hybrid aus Kammermusik und Schauspiel, mit dem sie die Gattung des "Anti-Musicals" erfinden. Ensemblemitglied Winfried Zrenner erklärt in einem Programmheftbeitrag: "Wir empfanden das Musical als Genre - sicher zu Unrecht - als letztlich vorwiegend amerikanischen Unterhaltungs-Zombie aus Gesangsnummern, flacher Story und merkwürdigem Getanze".

Ein weniger profanes Vorbild fand das MSQ in Richard Wagner und seiner Idee von der "unendlichen Melodie". Die rund zwei Stunden Streicherklang sind von der ersten bis zur letzten Note durchkomponiert. Zitate aus der Popularmusik wie die Rocksongs des mit Warhol eng verbundenen Lou Reed werden mal erkennbar, mal assoziativ verfremdet verwendet. Zuweilen kommen andere Geräuschquellen hinzu oder auch ein Discobeat, wenn Warhol endlich im Club bei seiner eigenen Geburtstagsparty auftaucht.

Hier finden heftige Auseinandersetzungen über Geld, Leben, Sex und Kunst statt. Lou Reed, Warhols Galerist Henry Geldzahler (beide Ruben Hagspiel) und der Transvestit Divine (Anina Doinet, die auch Marilyn Monroe spielt) rechnen mit dem Superstar der Kunstszene, der mit Druckpresse und Kopiergerät mehr Bilder an einem Tag herstellen kann als Picasso in seinem langen und äußerst produktiven Leben, wortreich ab.

Im Probensaal sowie nach der Pause im weitläufigen Foyer des Gasteig HP 8 setzt der sowohl im Musiktheater als auch im Schauspiel profilierte Regisseur Andreas Wiedermann nicht nur die vielschichtige Klangwelt des Quartetts kongenial um. Ailyn Kaip entwarf die Kostüme mit opernhaften, aber stilsicheren Überhöhungen sowie das präzise Marken für den fiktiven "Club 53" und die real existierende "Factory" setzende Bühnenbild. Das Libretto von Adrian Prechtel, einem Kulturredakteur der AZ, kompiliert Äußerungen der Personen wie Tagebucheinträge, Songtexte und eigene Weiterschreibungen zu einer vielstimmigen Spielvorlage für die Dialogszenen.

Oliver Möller ist als Titelheld schon fast beängstigend dicht am Original: Die zerbrechliche Körperlichkeit sowie der gleichzeitig kalte und erschrockene Blick unter der platinfarbenen Perücke, die die Monroe als "auftoupiertes Stachelschwein" belächelt, erzählen eindringlich vom Druck, nicht nur berühmt, sondern eine Legende zu sein.

Prechtels wesentlicher Eingriff in die Dramaturgie der historischen Ereignisse ist das zeitliche Zusammenlegen von Warhols Geburtstagsfeier und dem Mordversuch an ihm durch die radikale Feministin Valerie Solanas (Anouschka Doinet). Das Überleben des Attentats, bei dem er von fünf Kugeln getroffen wurde, bestätigte seine Ahnung, unsterblich zu sein.

Gasteig HP8, wieder heute (ausverkauft) sowie am Dienstag, 23. und Sa, 27. Mai und Di, 13. Juni, jeweils 20 Uhr, Karten unter www.muenchenticket.de oder unter % 54 81 81 81