Anna Netrebko singt Verdi

Es gibt sie noch, die große Oper


Anna Netrebko (winkend) und ihr Mann Yusif Eyvazov (rechts neben ihr) stehen beim Schlussapplaus am Ende des ersten Konzerts nach der Corona-bedingten Besucherpause in der Semperoper auf der Bühne neben Mezzosopranistin Elena Maximova (links) und dem Dirigenten Johannes Wulff-Woesten (2. von links).

Anna Netrebko (winkend) und ihr Mann Yusif Eyvazov (rechts neben ihr) stehen beim Schlussapplaus am Ende des ersten Konzerts nach der Corona-bedingten Besucherpause in der Semperoper auf der Bühne neben Mezzosopranistin Elena Maximova (links) und dem Dirigenten Johannes Wulff-Woesten (2. von links).

Von Robert Braunmüller / TV/Medien

In Dresden singt Anna Netrebko vor 330 Zuhörern in Verdis "Don Carlo". In Bayern wäre das gar nicht möglich.

Bei Gottesdiensten wird ab heute der notwendige Mindestabstand im Innenbereich von zwei auf 1,5 Meter reduziert. Die Maskenpflicht besteht nur noch, solange sich die Besucher nicht an ihrem Platz befinden. Für kulturelle Veranstaltungen gilt nach wie vor die 5. Infektionsschutzverordnung, derzufolge in Innenräumen Masken zu tragen sind.

In der Bayerischen Staatsoper, im Gärtnerplatztheater und bei den ersten Konzerten der Münchner Philharmoniker im Gasteig wird man daher in dieser Woche mit Mund- und Nasenschutz der Musik lauschen. Anschließend dürfte man aber mit anderen Konzertbesuchern oder - wenn der Zufall es wollte - mit Valery Gergiev und Musikern der Philharmoniker ohne Maske ein Bier trinken. Denn was im Behördendeutsch "Schankwirtschaft" genannt wird, darf nun auch nach 22 Uhr aufhaben.

Eheleute dürfen sich nah kommen

In Dresden durften am Freitag bereits 330 Besucher in der Semperoper Anna Netrebko als Elisabetta in "Don Carlo" hören. Die Masken durften hier - im Unterschied zur bayerischen Regelung - am Platz abgenommen werden.
Gespielt wurde eine konzertante, auf 90 Minuten geraffte Kurzfassung von Verdis Oper, die sonst vier Stunden dauert.

Das Orchester ersetzte ein achtköpfiges Kammerensemble der Staatskapelle. Die Mezzosopranistin Elena Maximova sang die Eboli, aus dem Ensemble wirkten Sebastian Wartig (Posa), Tilmann Rönnebeck (Philipp II.) und Alexandros Stavrakakis (Mönch) mit.

Die Solisten, die Musiker und die Mitglieder des Sächsischen Staatsopernchores hielten Abstand auf der Vorbühne vor dem geschlossenen Schmuckvorhang der Semperoper. Nur Netrebko und ihr Mann, Tenor Yusif Eyvazov als Don Carlo, kamen sich bei den Duetten nah.

Ursprünglich hätte die Aufführung unter der musikalischen Leitung von Christian Thielemann bei den Osterfestspielen Salzburg herauskommen sollen. Sie fielen ebenso aus wie die Inszenierung von Vera Nemirova und einem von Manfred Trojahn komponierten Prolog für Orchester, der den später von Verdi gekürzten und dann doch wieder aufgenommenen Fontainebleau-Akt ersetzen sollte. Die musikalische Leitung übernahm Johannes Wulff-Woesten, der an der Semperoper für die musikalische Einstudierung verantwortlich ist. Von ihm stammt auch das Arrangement für Kammerensemble.

Es gibt sie noch, die große Oper

Elisabetta ist für Netrebko musikalisch und psychologisch eine Herausforderung. "Diese Rolle hat eine niedrige Tessitura und sehr lange Phrasen im mittleren Register", sagte sie. "Meiner Meinung nach wurde es für Sopran-Spinto geschrieben, was ich im Prinzip nicht bin." Sie habe hart daran arbeiten müssen.

Der Semperopern-Intendant Peter Theiler sprach von "Segen und Glück", dass "die weltberühmteste Sängerin" auch in der konzertanten Version singt. Der Abend wird insgesamt viermal wiederholt und ist ausverkauft.

"Ja, es gibt sie noch, die große Oper", twitterte der Berliner Musikjournalist Heiko Schon nach der Aufführung. "Denn sie ist doch auch Gefühl. Ach, was sage ich? Eine ganze Gefühlspalette. Und die blitzt trotz des Torsos hervor: Man muss um Fassung ringen. Anna Netrebkos samtig-wärmende Elisabetta lässt uns das Draußen vergessen."

Das Draußen vergaß auch nicht Riccardo Muti, als er vor einer Woche die Wiener Philharmoniker dirigierte und eine Ansprache hielt. "Seine Mahnung an die Politik, in Zeiten der wirtschaftlichen Krise nicht die Kultur zu vergessen, erntete ebenso Applaus wie die Feststellung, ein Orchester sei die Urform der Demokratie", berichtet die Wiener Tageszeitung "Der Standard". Muti, so heißt es da, habe als Einziger im Saal auf eine Maske verzichtet und öffentlich erklärt, man solle nicht zu viel Mund-Nasen-Schutz tragen, weil sonst Sauerstoffmangel einträte.

Widersprüche und Extrawürste

Das ist Unsinn. Es gibt nach wie vor gute Gründe, Masken zu tragen und gegenüber allzuviel Lockerung skeptisch zu bleiben. Denn die Gefahr einer zweiten Welle ist keineswegs gebannt. Das Problem ist allein die Inkonsequenz der Regeln, die den Kulturbereich in Bayern ungleich strenger behandelt als Gottesdienste und den öffentlichen Nahverkehr. Auch die unterschiedliche Größe von Sälen wird nicht berücksichtigt, obwohl überzeugende Hygienekonzepte entwickelt wurden.

Derlei Widersprüche und das Braten von Extrawürsten wie durch Riccardo Muti führen nur dazu, dass die nach wie vor für die Bekämpfung der Pandemie wichtige Bereitschaft, überhaupt Beschränkungen zu akzeptieren, ständig weiter abnimmt.

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Der Schlussapplaus.

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330 Besucher durften in die Semperoper.

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330 Besucher durften in die Semperoper.