Deutsches Theatermuseum

Eine Ausstellung über "Regietheater"


Eine der Treppen von Leopold Jessner und Emil Pirchan, hier für eine Inszenierung von Shakespeares "Richard III." mit Fritz Kortner in der Titelrolle.

Eine der Treppen von Leopold Jessner und Emil Pirchan, hier für eine Inszenierung von Shakespeares "Richard III." mit Fritz Kortner in der Titelrolle.

Von Robert Braunmüller / TV/Medien

Das Deutsche Theatermuseum beschäftigt sich in einer sehenswerten Ausstellung mit dem "Regietheater" von Max Reinhardt bis Claus Peymann.

Albert Bassermann, der Darsteller des Wilhelm Tell, soll den Rauswurf der "bezahlten Lümmel" verlangt haben. Das Publikum brüllte "Raus", erregte Theaterkritiker seien auf die Zuschauersitze des Preußischen Staatstheaters gestiegen, so wird es überliefert. Polizei und Logenschließer entfernten die gegnerischen Radaumacher. Und zuletzt entwickelte sich die Premiere von Schillers Drama am 12. Dezember 1919 vom Skandal zu einem rauschenden Erfolg.

Leopold Jessners Berliner Inszenierung von "Wilhelm Tell" ist eine mögliche Geburtsstunde des modernen Regietheaters - ein Reizwort konservativer Besucher, das der neuen Ausstellung im Deutschen Theatermuseum den Titel liefert.
Hinter dem Begriff "Regietheater" verbirgt sich der Grundsatz, dass der Regisseur als autonomer Künstler auf der Bühne mit dem dichterischen Text in einen interpretierenden Dialog tritt, der einen Gegenwartsbezug herstellt. Der war bei Jessners "Tell" eindeutig die kurz zurückliegende Revolution von 1918 und ihre Spiegelung im Freiheitskampf von Schillers Drama.

Askese und Sezession

Diese Grunderregung wurde von der expressionistischen Spielweise der Schauspieler gesteigert. Und für die Explosion sorgte dann offenbar die fehlende Alpenlandschaft, welche Emil Pirchan durch eine radikal abstrahierte Stufenbühne mit einer Treppe ersetzte, die zum Markenzeichen des Regisseurs Jessner werden sollte.

In der Ausstellung "Regietheater" des Deutschen Theatermuseums ist gegenüber diesen Entwürfen das Modell einer traditionellen "Tell"-Ausstattung mit Papp-Wald und illusionistisch gemalter Schweizer Landschaft zu sehen. Angesichts dieser Konfrontation wirkt die damalige Irritation durchaus verständlich.

Doch die szenische Askese war nur eine zeitgenössische Möglichkeit, sich vom Hoftheaterstil des 19. Jahrhundert zu distanzieren. Max Reinhardt und seine Bühnenbildner setzten etwa auf plastisch gebaute Dekorationen und eine Anlehnung an den Geschmack der Wiener Sezession, wie ihn Alfred Roller kultivierte.

Die von der scheidenden Direktorin Claudia Blank kuratierte Ausstellung konfrontiert solche Ansätze auf gegenüberliegenden Wänden. Auf diese Weise formuliert sie einen Wandel in, wie der ursprüngliche geplante Titel der Ausstellung lautet, zwei aufeinanderfolgenden "Regiegenerationen". Auf den Gegensatz zwischen dem neobarock-opulenten Reinhardt und den alles auf eine Grundidee reduzierenden Jessner folgt ein Aufbegehren der Nachfolge-Generation von Fritz Kortner und Gustaf Gründgens, die beide als Schauspieler begannen und ins Regiefach wechselten.

Gegen die Väter

Gegen deren Ästhetik begehrten wiederum die vom Epochenjahr 1968 geprägten Regisseure Peter Stein und Claus Peymann auf, nicht ohne - wie ihre Vorgänger - entscheidende Stilelemente der älteren Generation zu übernehmen. Und heute geben sich Stein und Peymann angesichts der performativen Wende so konservativ wie der späte Gründgens am Düsseldorfer und Hamburger Schauspielhaus.

Gegen diese Generallinie könnte sich der eine oder andere theaterhistorische Widerspruch regen. Kortner gehört gewiss zum Regietheater. Aber auch Gründgens? Claudia Blank hat da nicht die schlechtesten Argumente auf ihrer Seite, etwa die Zusammenarbeit mit den Bühnenbildnern von Erwin Piscator oder Bertolt Brecht, aber auch die auf eine karge Spielfläche reduzierte Entwürfe für Gründgens' späte "Faust"- und "Hamlet"-Inszenierungen.

Im Vergleich dazu setzte Kortner auf eine eher sinnliche Gegenständlichkeit, die nach Blanks Ansicht bestimmte Tendenzen von Max Reinhardt weiterführt. Der hintere Ausstellungsraum versammelt dann die Folge-Generation der 1970er Jahre am Bremer und Bochumer Theater sowie an der Berliner Schaubühne, während im Eingangsbereich und im Treppenhaus werkbiografische Beziehungen deutlich gemacht werden.

Echte Bäume

Dass Erwin Piscator oder Bertolt Brecht in der Ausstellung fehlen, das Politische samt dem Epochenbruch des Exils als bekannt vorausgesetzt wird und eine globale Perspektive des Regietheaters fehlt, hat mit den beschränkten Räumlichkeiten des Deutschen Theatermuseums zu tun. Dem Theaterwissenschaftler sträuben sich ein wenig die Nackenhaare, wenn der moralisierende Begriff "Werktreue" allzu unbefangen gebraucht und mit der wortwörtlichen Beachtung von Szenenanweisungen in Verbindung gebracht wird. Aber das ist ein Preis, der für eine klare These und ihre Verständlichkeit zu zahlen ist.

Das alte Problem aller Theaterausstellungen, dass von Inszenierungen vor allem Bühnenbildentwürfe bleiben, stört hier kaum, weil die hier fokussierten Regisseure dauerhafte künstlerische Partnerschaften mit bestimmten Ausstattern eingingen und auf eine einheitliche Bildsprache setzten. Dank vieler Leihgaben und einer intensiven Recherche ist manches zu sehen, was bisher eher unbekannt war: etwa Drehbühnenmodelle zu Max Reinhardts "Ein Sommernachtstraum" und dem "Kaufmann von Venedig" sowie Karl-Ernst Herrmanns Sphinx für den legendären "Peer Gynt" der Schaubühne.

Dass die echten Bäume in Peter Steins Inszenierung von Gorkis "Sommergästen" und die halb grün-goldene und halb entlaubte Weißbuche in "Was ihr wollt" womöglich die Ausstattung von Reinhardts "Sommernachtstraum" fortsetzen, ist eine bisher unbemerkte Traditionslinie des Regietheaters. Und das hat in einem Kunstbereich, der sich gerne traditionslos und historisch unbedarft gibt, etwas Frappierendes.

Lesenswerter Katalog

Der Begleitband erweitert das Thema auf Felder, die sich im Medium der Ausstellung nicht darstellen lassen: Claudia Blank schreibt instruktiv über den Arbeitsstil der Regisseure und ihre Zusammenarbeit mit Bühnenbildnern und zeitgenössischen Autoren. Ein Essay von C. Bernd Sucher nimmt die heute aktive Generation der Nachfolger von Stein und Peymann in den Blick.

Die Ausstellung gibt dank ihrer starken These einen guten Überblick über die letzten 100 Jahre der deutschsprachigen Theatergeschichte. Man könnte sie - wären da nicht viele Leihgaben aus Wien, Berlin und Köln - als Dauerausstellung ruhig etwas länger in der Galeriestraße stehen lassen.

Deutsches Theatermuseum, Galeriestraße 4a, Hofgartenarkaden, außer Mo. täglich von 10 bis 16 Uhr. Der Begleitband "Regietheater" von Claudia Blank im Henschel-Verlag (424 S., 38 Euro)