Kultur

Die Geschichten weiter tragen

Marc Schubring über sein Musical "Mata Hari" im Gärtnerplatztheater


Mata Hari als indische Tempeltänzerin.

Mata Hari als indische Tempeltänzerin.

Von Robert Braunmüller

Am 15. Oktober 1917 wurde Mata Hari in Vincennes bei Paris hingerichtet. Sie soll im Ersten Weltkrieg für die Deutschen spioniert haben. Womöglich arbeitete die ehemalige Tänzerin auch für beide Seiten. In ihrem neuen Musical machen sich Marc Schubring (Musik) und Kevin Schroeder (Text) auf die Suche nach dieser von Mythen umgebenen Figur. Premiere ist am Donnerstag im Gärtnerplatztheater.

AZ: Herr Schubring, wer war Mata Hari?

MARC SCHUBRING: Zuerst denkt man an die bekannten Klischees, Spionin, Nackttänzerin. Nach unserer Entscheidung, die Idee des Chefdramaturgen Michael Alexander Rinz aufzugreifen, ein Musical über Mata Hari zu schreiben, haben Kevin Schroeder und ich erst mal Bücher gefressen. Bei dieser Recherche haben wir das Leben hinter den Klischees entdeckt, das Geheimnis um ihren Tod blieb. Die französische Regierung wollte 2017 zum 100. Jahrestag ihrer Hinrichtung Akten über den Fall freigeben. Das ist aber nie passiert. Nicht nur deshalb haben wir einen neuen Ansatz gewählt, der bei der Jugend und ihrer Ehe mit dem Kolonialoffizier Rudolph McLeod einsetzt, um herauszufinden, wie Margaretha Geertruida Zelle zu Mata Hari wurde.

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Ann-Sophie Dürmeyer als Mata Hari.

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Marc Schubrings Musical erzählt die Geschichte Mata Haris auf zwei Ebenen und mit zwei Darstellerinnen: Die eine berichtet von ihrer eher trostlosen Ehe mit einem Kolonialoffizier in Niederländisch-Indien, auf der anderen träumt sie sich aus dieser Welt hinaus und lebt als Popstar. Diese Mata Hari singt und spielt Ann-Sophie Dürmeyer.

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"Mata Hari" im Gärtnerplatztheater.

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"Mata Hari" im Gärtnerplatztheater.

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Marc Schubring stammt aus Berlin. Er studierte Komposition in Saarbrücken und gehört einer Autorengeneration an, die seit den 1990er Jahren das Neue Deutsche Musical entwickelt. Seine "Gefährlichen Liebschaften" wurden 2015 vom Gärtnerplatztheater uraufgeführt.

Sie ging mit ihrem Mann nach Java im damaligen Niederländisch-Indien.

Uns interessierte besonders diese Beziehung und die Entscheidung dieser Frau, nach dem Scheitern ihrer Ehe allein nach Paris zu gehen, eine andere Identität anzunehmen und ein selbstbestimmtes Leben zu beginnen.

Ist Mata Hari dem Publikum überhaupt ein Begriff?

Viele Menschen, mit denen ich gesprochen habe, verwechseln Mata Hari mit Josephine Baker. Andere dachten, ihre Geschichte hätte mit dem Zweiten Weltkrieg und Nazis zu tun.

Die Assoziation Josephine Baker ist zumindest nicht ganz falsch, weil beide Damen Tänzerinnen waren.

Obwohl Mata Hari wahrscheinlich gar nicht so toll tanzte und auch nicht völlig nackt - denn sie trug immer ein hautfarbenes Trikot -, war sie ein gefeierter Star in ganz Europa. Ihr Name ist ein Pseudonym. Es ist javanisch und bedeutet "Auge des Tages". Das ist auch der Titel unserer ersten Nummer.

Sie behauptete, eine indische Tempeltänzerin zu sein.

Eine Bajadere. Das suggerierte sie - immer unter dem Aspekt des Geheimnisses und der Erotik. Viele Leute hielten sie für eine echte Tempeltänzerin. Um 1900 war das Interesse an Exotik sehr groß: die Impressionisten liebten japanische Tuschzeichnungen, Rimsky-Korsakow komponierte "Sheherazade", die Balletts Russes gingen auf Tournee, Richard Strauss komponierte "Salome".

Mata Hari bot sich ihm für den "Tanz der sieben Schleier" in dieser Oper an, aber er antwortete ihr nie. Und auch die Balletts Russes wollten sie nicht engagieren.

Trotzdem war Mata Hari absolut en vogue. Ihr Stil wurde von anderen kopiert, doch als sie älter wurde, ging es mit ihr ein wenig bergab. Dann brach der Erste Weltkrieg aus.

Was dann mit Mata Hari passiert, hat mich als Leser einer Biografie eher verwirrt.

Das hat damit zu tun, weil alle Biografen wild spekulieren. Wahrscheinlich war sie nur ein Bauernopfer, weil die französische Armee zu diesem Zeitpunkt von den Deutschen empfindlich in die Defensive gedrängt wurde. Ob sie wirklich Geheimnisse verraten hat, weiß man nicht.

Warum ruft das alles nach einer Vertonung in Form eines Musicals?

Weil ich glaube, dass Mata Hari eine für ihre Zeit unglaublich moderne Frau war. Sie konnte sich nicht gegen die Stempel wehren, die ihr aufgedrückt wurden. Ich wollte ihr eine emotionale Stimme geben. Dafür gibt es nichts Geeigneteres als Musik und Gesang, und um eine Verbindung zwischen Herz und Hirn zu schaffen.

Nun sind die 1910er Jahre musikalisch längst nicht so interessant wie das darauffolgende Jahrzehnt - falls Sie musikalisches Lokalkolorit anstreben.

Ich frage mich beim Finden eines Stils eher, wie Musik eine Geschichte unterstützen kann. Trotzdem finde ich den Anfang des 20. Jahrhunderts unglaublich interessant: Strawinsky komponierte "Le sacre du printemps", Debussy und Ravel schrieben große Werke. Die amerikanischen Truppen brachten Ragtime, Dixieland und den frühen Jazz nach Europa. Das waren dann die Voraussetzungen für die Zwanziger Jahre.

Bekommen wir das auch zu hören?

Das Besondere an diesem Stück: Es gibt es zwei Stile, zwei Welten. Einerseits die musikalische Ebene von Mata Haris Ehe auf Java, die wir linear erzählen. Sie wird vom Orchester unterstützt als klassisches Musiktheater mit Orchester, das stilistisch an die Klangwelt von Strawinsky, Debussy, Faure und Respighi erinnert. Diese Musik wäre trotzdem damals nicht so geschrieben worden, weil sie an Stephen Sondheim anknüpft, den Meister der musikalischen Dramaturgie.

Und worin besteht die zweite Ebene?

Die andere Ebene ist Popmusik, weil sich Mata Hari als Kunstfigur neu erfunden hat, wie ein Popstar heute. Es steht auch für ihren Eskapismus. Das kennen wir auch heute, wenn wir an einem Freitag Abend in einen Club gehen. Die verlässlichen Beats helfen uns die Herausforderungen des Lebens zu ertragen und wir fühlen uns frei.

Wie lange haben Sie an "Mata Hari" gearbeitet?

Drei Jahre. Heute denken viele, Musik ist einfach da, man drückt auf einen Knopf und alles ist verfügbar. Mir scheint das Bewusstsein für die Arbeit und das Handwerk von Autoren und Komponisten verloren gegangen zu sein. Viele wissen vielleicht gerade noch, dass Leonard Bernstein die Musik zur "West Side Story" geschrieben hat. Aber schon die Namen Arthur Laurents (Buch) und Stephen Sondheim (Liedtexte) sagen vielen nichts. Doch genau diese Erzählerinnen und Erzähler braucht es, um Kunst zu machen, um die Geschichten weiterzutragen, nur dann gibt es Theater, Kino, Musik und Literatur.

Premiere am Donnerstag, 19.30 Uhr, Restkarten. Auch am 24., 31. März, 1., 5., 9. und 10. April. Karten unter gaertnerplatztheater.de