Saul Leiter in der Versicherungskammer

Der Pionier der Farbfotografie


Den Maler in Leiter scheint auch in den Fotografien durch

Den Maler in Leiter scheint auch in den Fotografien durch

Von Volker Isfort / TV/Medien

Der Fotograf, der eigentlich Maler war: Eine Retrospektive zeigt das Werk von Saul Leiter im Kunstfoyer der Versicherungskammer


Wenn er loszog, um mit seiner Kamera durchs East Village in New York zu flanieren, wusste er nie, ob er mit etwas Brauchbarem nach Hause kommen würde. Das ist die Bürde des Straßenfotografen, der nichts inszeniert, sondern so lange seine Umwelt belauert, bis sich ihm im richtigen Moment das passende Motiv zeigt. Was Saul Leiter (1923-2013) ab 1948 über die Jahrzehnte mit seiner Kamera einfängt, sind sensationelle Augenblicke urbanen Lebens von malerischer Qualität - in Farbe! Und das in einer Zeit, in der man die Farbfotografie allenfalls in der Werbung einsetzte und sonst eher die Nase über sie rümpfte. Rund 300 Werke des Autodidakten Leiter - der nicht wie sein Vater Rabbiner werden wollte, sondern eben Künstler und bald von Pittsburgh nach New York zog - sind nun im Kunstfoyer der Versicherungskammer zu sehen: Neben den Farbfotografien, für die Leiter in den 90er Jahren seinen späten Ruhm erntete, sind frühe Schwarz-Weiß-Aufnahmen zu sehen - und in einem eigenen Raum die Malerei. Einige der Fotografien mit ihren großen unscharfen Farbflächen sehen für den flüchtigen Blick aus wie Gemälde von Mark Rothko. Erst wenn man genauer hinsieht, erkennt man in dem schmalen Bildstreifen zwischen den Flächen die Straßenszenen mit Autos und Menschen, die Saul Leiter mit schnellem, scharfem Auge erfasst hat.

Farbenpoesie im East Village

Auf dem Bild "Canopy" (Baldachin, um 1957) drückt die schwarze Fläche schwer auf die Menschen, die da ohnehin schon gebückt, unter Schirme und Hüte sich duckend, durchs Schneetreiben laufen. Doch um Botschaften geht es Leiter nicht, auch nicht um Unterhaltung. Er spürt vielmehr die Farbenpoesie im East Village auf. Rote Regenschirme sind ein wiederkehrendes Motiv oder bunte Autos, die farbige Akzente auf ansonsten grauen Bildern setzen. Immer wieder spielt Saul Leiter mit verschiedenen Bildebenen. Er macht seine Aufnahmen durch Fensterscheiben auf die Straße hinaus oder in Gebäude hinein und schafft so weitere Ebenen: Hinter der regennassen Scheibe ist nur noch schemenhaft ein Mensch zu erkennen, hier wird die Fotografie fast zur Malerei. Oder Leiter fotografiert durch einen halb geschlossenen roten Vorhang hindurch eine Frau und einen Mann auf der Straße. Von Letzterem sind nur die Beine zu sehen. Doch trotz dieser Aufnahmen aus dem Verborgenen hat sein Blick nichts Voyeuristisches, nichts Bloßstellendes. Alleinfalls etwas wunderbar Zartes und Privates. Echte Hingucker sind die übermalten Akte: Leiter übermalt die schwarz-weißen Aufnahmen mit flinkem Pinselstrich in Gelb, Rosa, Grün, Blau und Violett und lässt auch hier die Grenzen zwischen Fotografie und Malerei verschwinden. Wundert es, dass dieser frühe Farbfotograf auch seine Mode-Aufnahmen für Harper's Bazaar im Straßen-Look schuf? Die Models und die Mode wirken bisweilen fast wie Beiwerk.

Leiter kannte die abstrakten Expressionisten

Was heute Standard ist - Saul Leiter hat es schon in den späten 50ern gemacht. Unglaublich, dass er von seiner Kunst die meiste Zeit seines Lebens kaum leben konnte und oft nicht wusste, wie er seine Miete zahlen sollte. Die meist federleicht-farbflächige Malerei wäre eine eigene Ausstellung wert - und sie erinnert nicht zufällig an die Abstrakten Expressionisten der Malerei: Deren Helden wie Jackson Pollock, Barnett Newman oder Willem De Kooning wohnten ebenfalls im Village - man traf sie auf der Straße, sagt Leiter in dem sehenswerten Filmporträt von Tomas Leach, das im Kunstfoyer als Ausschnitt zu sehen ist (und ganz im Jüdischen Gemeindezentrum). Aber: "Es interessierte mich mehr, eine Fensterscheibe mit Regentropfen zu fotografieren als einen Prominenten." Das ist heute unser großes Glück.

bis 15. September, Kunstfoyer, Maximilianstraße 53, täglich 9 - 19 Uhr, , Film "In No Great Hurry" von Tomas Leach am 15. September (17 Uhr) im Jüdischen Gemeindezentrum am St.-Jakobs-Platz, Katalog mit Skizzenbuch-Faksimiles (296 Seiten, 49 Euro)