Furth im Wald

„Das ist, als wenn ich nach Hause käme“


Eine der Szenen, die es nicht mehr gibt: Mit dem Bad der Höflinge und Mätressen brachte Etzel-Ragusa die Diskrepanz zwischen dem ausschweifenden Leben der Adeligen und der armen Bevölkerung zum Ausdruck.

Eine der Szenen, die es nicht mehr gibt: Mit dem Bad der Höflinge und Mätressen brachte Etzel-Ragusa die Diskrepanz zwischen dem ausschweifenden Leben der Adeligen und der armen Bevölkerung zum Ausdruck.



Die Zukunft, die damals vor zehn Jahren mit einem Wolkenbruch begonnen hatte. Denn ausgerechnet zur Premiere des neuen Festspiels - in der damaligen Saison wurde sowohl die alte wie auch die neue Version gespielt - regnete es in Strömen. Aber das Ensemble mit dem Ritterpaar Andrea Strauß und Michael Igl an der Spitze meisterte diese besondere Premiere trotzdem mit Bravour.
"Man kann zufrieden sein"
Doch der Drachenstich ist nicht stehengeblieben. Szenen wurden in den darauffolgenden Jahren verändert oder ganz gestrichen. So zum Beispiel die mit den in einem Zuber badenden Hofdamen oder mit dem kleinen Semmel-Dieb, der an der Schlossmauer aufgehängt wurde. Selbst der "goldene Stier" hat als Folterwerkzeug längst ausgedient. Manches davon hat insbesondere der neue Drache, der vor sechs Jahren erstmals seinen Auftritt hatte, verändert. So zum Beispiel den Auftakt ins Spiel, der seit Tradinno die Zuschauer zurück in eine prähistorische Zeit führt. "Mit dem neuen Drachen musste manche Szene geopfert werden, damit eine angemessene Spiellänge nicht überschritten wird", erklärt Etzel-Ragusa. Dafür entfielen Szenen, die den Charakter mancher Figur eingehender definiert haben.
Sei 20 Jahren führt er mittlerweile beim Drachenstich Regie, seit zehn Jahren in einem Stück aus seiner Feder. "Ich glaube, man kann zufrieden sein mit dem Erreichten", zieht er Zwischenbilanz. Und es dürfte nicht die letzte sein. Dass er Deutschlands ältestem Volksschauspiel noch lange treu bleiben will, sagt er zwar - typisch Etzel-Ragusa - nicht explizit; dennoch ist dies daraus zu folgern, als er schmunzelnd die Frage beantwortet: "Das hier in Furth im Wald ist für mich beinahe wie Heimat. Das ist jedes Mal, als wenn ich nach Hause käme. ... Ein schönes Gefühl." Doch wie war das Gefühl vor zehn Jahren, kurz vor der Premiere? Hatte er Angst davor, wie das Stück bei den Furthern ankommen würde?
Jahrelange Vorbereitung
"Der Bammel hielt sich damals in Grenzen", erinnert sich Etzel-Ragusa. Grund: Das Stück wuchs insgeheim über Jahre; viele, insbesondere die Darsteller waren in diesen Prozess mit eingebunden. Bereits rund zehn Jahre davor, also kurz nachdem er die Regie in Furth übernommen hatte, begann seine Recherchearbeit. Etzel-Ragusa nahm das Bauer-Stück als Basis, veränderte es, um es der Gegenwart anzupassen, gleichzeitig aber die historischen Wurzeln zu verfestigen. Noch heute ist er Stadtarchivar Werner Perlinger für die vielen Gespräche dankbar. Ebenso seinen Akteuren, durch die es immer wieder im Vorfeld Anpassungen und Veränderungen gegeben habe. "Das war ja damals nichts, was über Nacht und über die Köpfe der Spielschar hinweg entstanden ist. Ich war mir sicher, dass sich Qualität durchsetzt", meint er heute auf die Frage nach Zweifeln, ob seine Fassung bei den Leuten ankommen würde. Vor sechs Jahren erfüllte Etzel-Ragusa einen Wunsch, den viele Further ab der Ära Grassinger, die 1994 begann, hegten: Der Drache hat seitdem wieder zwei große Auftritte im Festspiel. Lag Grassinger damals mit seiner Entscheidung falsch? "Nein", betont der Regisseur spontan, "Grassingers Entscheidung war damals völlig richtig." Menschen vor einem Drachen fliehen zu lassen, der sehr behäbig ist, habe wenig realistisch gewirkt. Deshalb damals Grassingers Entschluss, diese Szene zu streichen. Tradinno ist zwar auch nicht schneller als sein Vorgänger, jedoch sei der Einstieg ein anderer: Es wird jetzt die Geschichte erzählt, warum der Drache böse wurde. Dass sich das Festspiel verändert, das gehört seit Jahrhunderten zum Drachenstich wie der Drache. Und es wird sich weiter verändern, denn: "Ich sehe es als lebendigen Prozess."
So plant er in den kommenden Jahren Veränderungen am Bühnenbild. Auch die Spielschar an sich bringe immer wieder Veränderungen mit sich, selbst wenn diese oft nur in Nuancen erkennbar seien. "Jedes Ritterpaar bringt neue Akzente rein." Sollte es nötig sein, werde sich das Stück wieder verändern, denn Etzel-Ragusa will, dass es trotz der historischen Wurzeln immer am Puls der Zeit bleibt. Was allein Intoleranz, religiösen Fanatismus, Krieg und Flucht betrifft, könnte es - trotz seiner mittlerweile zehn Jahre - kaum aktueller sein.
Weltkulturerbe als Ziel
Mit Blick in die Zukunft hat der Regisseur und Autor noch viel vor. Ein großes Anliegen ist ihm die Anerkennung des Further Festspiels als Immaterielles UNESCO-Weltkulturerbe. Die ersten Hürden dazu hat der Drachenstich bereits gemeistert. "Ich habe mir da viel Zeit genommen, die Anträge dazu zu formulieren, dabei auf viel historisches Wissen von Herrn Perlinger zurückgegriffen", lässt Etzel-Ragusa keinen Zweifel daran, dass er diesen Prozess maßgeblich mitprägte. Falls Furth diese Ehre zuteilwerden würde, wäre dies ein sehr markanter Meilenstein in der Drachenstich-Geschichte. "Wie weit sich dieser Titel in den Besucherzahlen niederschlagen würde, kann ich nicht sagen", meint er bezüglich des Nutzens, betont dabei aber: "Die Ehre allein ist es schon wert. Dem Drachenstich würde der Stellenwert bestätigt, den er verdient." Und er, Etzel-Ragusa, selbst?
Die Person Etzel-Ragusa
Was Ehrungen, noch dazu wenn sie öffentlich sind, betrifft, hält der gebürtige Italiener davon kaum etwas. Generell macht er um seine Person nicht viel Aufhebens. Besser gesagt: Er macht fast schon einen Kult daraus, aus seiner Person nichts zu machen. Fragen danach lächelt Etzel-Ragusa weg. "Ich gehöre schon immer zu den sogenannten 'Schwarzen', die das Publikum nicht sieht. Wichtig sind die, die die Zuschauer sehen, die auf der Bühne stehen. Ich bin einer, der für die Darsteller im Hintergrund arbeitet", argumentiert er bescheiden.
Und deshalb ist er selbst 20 Jahre beim Drachenstich, zehn Jahre nach der Neueinführung seines Stückes dort hinter den Kulissen ein kleinwenig nervös, wenn es heißt: "Ich übergebe Deine Seele dem Teufel!" Zwar wisse er mittlerweile, wie sehr er sich auf die Spielschar vor und die Teams hinter den Kulissen verlassen könne, doch "eine Portion Lampenfieber gehört immer dazu. Das ist ganz normal". Vor allem wenn es Abläufe sind, die er als Regisseur nicht beeinflussen kann, wie zum Beispiel technische "Zickereien" des Drachen. Etzel-Ragusa schmunzelnd: "Da weiß ich um den Sattelbogner und dessen Gefolge, die diese Szenen schon hervorragend gerettet haben ..." Der Drachenstich lebt eben von den Leuten, die ihn spielen, ihn lieben. Das war schon vor Jahrhunderten so. Und daran wird sich auch die Zukunft nichts ändern - egal, wie sich das Spiel verändern wird.

"Ich übergebe Deine Seele dem Teufel!" - Es sollte der 5. August 2006 sein, der Further Geschichte schreibt. Exakt um 20.39 Uhr waren es diese sechs Worte, gesprochen mit sonorer, markanter Stimme, die in der über 500-jährigen Tradition von Deutschlands ältestem Volksschauspiel eine neue Epoche einleiteten - fast auf den Tag genau 54 Jahre nach der Premiere des alten Bauer-Stücks. Seit dieser Stunde ist mittlerweile ein Jahrzehnt vergangen. Das neue Stück aus der Feder von Alexander Etzel-Ragusa hat sich etabliert. Die Kritiker, die sich noch über Jahre den "alten Drachenstich" zurückwünschten, sind mittlerweile nahezu verstummt. Die Chamer Zeitung sprach mit dem Regisseur und Autor über die damaligen Hürden hin zur Premiere, die Weiterentwicklung des Stücks und wo er den Drachenstich in der Zukunft sieht.

Eine der Szenen, die es nicht mehr gibt: Mit dem Bad der Höflinge und Mätressen brachte Etzel-Ragusa die Diskrepanz zwischen dem ausschweifenden Leben der Adeligen und der armen Bevölkerung zum Ausdruck.

Eine der Szenen, die es nicht mehr gibt: Mit dem Bad der Höflinge und Mätressen brachte Etzel-Ragusa die Diskrepanz zwischen dem ausschweifenden Leben der Adeligen und der armen Bevölkerung zum Ausdruck.