Kammerspiele

Benjamin Radjaipour über "Yung Faust"


Julia Riedler, Annette Paulmann und Benjamin Radjaipour in "Yung Faust".

Julia Riedler, Annette Paulmann und Benjamin Radjaipour in "Yung Faust".

Von Robert Braunmüller / TV/Medien

Als Neuzugang im Ensemble der Kammerspiele ist Benjamin Radjaipour bereits häufiger aufgefallen. Jetzt spielt er mit in Leonie Böhms Projekt "Yung Faust" in der Kammer 2.

Dass Benjamin Radjaipour an den Kammerspielen bereits einen Gott spielt, überrascht eigentlich nicht. Obwohl recht frisch von der Schauspielschule - das Studium an der Universität der Künste in Berlin schloss er 2017 ab und kam für sein erstes festes Engagement nach München -, wirkt Radjaipour seelenruhig, durchlässig für jede Regiehandschrift. Für den New Yorker Trajal Harrell übte er sich etwa in "Juliet & Romeo" mit den Kollegen in der Kunst des Voguing, einer stolzen Form der tänzerischen Körperpräsentation. Oder zitierte gemeinsam mit Zeynep Bozbay in Nicolas Stemanns Inszenierung von "Der Vater" aus feministischen Büchern - moderne Gendertheorie, kein Problem.

Als Prometheus vom Göttergeschlecht der Titanen kann man ihn nun seit Beginn der neuen Saison sehen, in Christopher Rüpings zehnstündiger Mammutproduktion "Dionysos Stadt". Von dieser von Zeus bestraften Jammergestalt schlüpft er souverän in diverse andere Rollen, verkörpert einen Bräutigam, der ob der familiären Verwerfungen, die in der "Orestie" stecken, schier verzweifelt. Mit Nils Kahnwald taucht Radjaipour einmal als sächselndes Schergen-Duo auf: nette Ossis im Blutrausch.

Viel Brain drin

Dabei ist Benjamin Radjaipour vor allem des Schwäbischen mächtig; schließlich wurde er in Tübingen geboren, als Sohn zweier aus dem Iran eingewanderter Eltern, was auch den Nachnamen erklärt. Farsi könne er fließend sprechen, selbst wenn er nur selten dazu kommt, meint Radjaipour beim Gespräch in der Kantine der Kammerspiele. 28 Jahre jung, gut aussehend, entspannt wie auf der Bühne sitzt er da vor einem und redet ziemlich unbeschwert drauf los, in einem Jargon fern von antiken Versen, wissenschaftlichem Diskurs und irgendwelchen Dialekten, aus der Hüfte geschossen und mit eingestreuten Anglizismen, was zum Projekt "Yung Faust" passt, an dem er gerade probt.

"Wir waren von Anfang an sehr ambitioniert", erzählt Radjaipour von der Zusammenarbeit mit Regisseurin Leonie Böhm und seinen Kolleginnen Annette Paulmann und Julia Riedler. "Jeder hatte da sein brain drin." Oder: "Es ging uns darum, auf eine wachsame, smarte Art mit Faust umzugehen und herauszufinden, was uns an ihm interessiert. Dementsprechend haben wir das gemeinsam geworkshoped. Der Text ist jetzt zwar radikal gekürzt, die Inszenierung assoziativ und verspielt, aber wir fliehen nicht vor Goethe, sondern versuchen, uns seine Sätze anzueignen und sie neu zu füllen."

Faust mit Rap

Von "Treppen" spricht Radjaipour auch, nein, von "trappen", einem Musikstil, der in den 1990ern in den USA entstand und der von tiefen Hip-Hop-Beats und ebenso heruntergepitchtem Sprechgesang geprägt ist. Zunächst sei sogar geplant gewesen, Yung Hurn, einen der angesagtesten Cloudrapper aus Österreich mit an Bord zu holen. Das "Yung" trägt Yung Hurn, bürgerlich Julian Sellmeister, wie andere Künstler*innen als Zeichen für Jugend und einen frischen Zugriff auf die Welt. Er trappt ebenfalls, wobei die Bässe im Cloud Rap oft durch sphärische Synthie-Sounds ersetzt werden.

Manchen Wortgesangpart übernimmt jetzt das Darsteller*innentrio, begleitet von Musiker Johannes Rieder, "aber wir trappen jetzt nicht neunzig Minuten lang den Text über den Vocoder", so Radjaipour. "Wir haben nur in den Proben gemerkt, dass es schön ist, den Goethe-Text mit einigen ästhetischen Mitteln der Gegenwartskultur zu greifen. Diese Form spiegelt sich ja auch im Faustgedanken wieder: eine Unmittelbarkeit zu schaffen, aus dem Moment heraus zu agieren, ohne die Mittel, die einem zur Verfügung stehen, zu second-guessen (= im Nachhinein anzuzweifeln)."

"Yung Faust" in den Kammerspielen

Hellauf begeistert war das Team von dem Klassiker nicht gerade, bekennt er freimütig. "Man fragt sich schon, wer das Stück eigentlich in seiner Gänze gelesen hat. Manche Stellen sind toll, aber vieles erzeugt Stirnrunzeln." Allein die Perspektive eines alten, weißen, heterosexuellen Mannes auf der Suche nach neuer Lebensintensität wirkt unzeitgemäß. Beim Proben seien automatisch feministische, genderkritische Lesarten entstanden, so Radjaipour. Faust, Gretchen und Mephisto sowie das Nebenpersonal übernimmt das Trio nun im Wechsel als mögliche Diskurspositionen. Das unbefangene Befragen von Klassikern ist eine Spezialität von Leonie Böhm, weshalb sie derzeit stark an deutschen Bühnen gefragt ist. "Die Arbeit mit ihr ist sehr intensiv", findet Radjaipour, "weil man viel angeregt wird, selbst Verantwortung zu übernehmen und in eine Autorenschaft zu kommen."

Als Motto für die Inszenierung fand sich das Faust-Zitat "Gefühl ist alles", aber "wir wollen das Stück nicht gefühlsduselig nachspielen, sondern probieren die darin vorkommenden Gefühle in verschiedenen Konstellationen aus." Besonders mit der Scham, die häufiger angesprochen wird, konnte Radjaipour etwas anfangen. "Mir begegnet das jeden Tag: Scham in der Begegnung mit den anderen, über die eigene Ohnmacht, das Versagen." Bei einem Schauspieler, der fast jeden Tag sich auf der Bühne zeigt, würde man dieses Gefühl weniger erwarten; gerade das habe ihn aber zum Theater hingezogen, weshalb er sich dann an Schauspielschulen bewarb. In Berlin mit Erfolg: "Für mich war das richtig gut, weil ich gezwungen war, aus mir raus zu kommen, für etwas einzustehen."

Noch eineinhalb Jahren geht sein Vertrag an den Kammerspielen, ein wenig Wehmut angesichts des nahenden Endes der Ära Lilienthal stelle sich allmählich ein. "Besonders, dass wir in dieser Konstellation als Ensemble nicht mehr zusammenarbeiten werden, ist für mich schwer vorstellbar." Was danach kommt, weiß Benjamin Radjaipour noch nicht, doch er sieht der Zukunft gelassen entgegen. Jetzt kommt sowieso erstmal "Yung Faust", und es wird vermutlich ziemlich fresh werden.

Die Premiere in der Kammer 2 ist ausverkauft. Restkarten evtl. an der Abendkasse. Am 8. Februar gibt es eine Nachtvorstellung von "Dionysos Stadt". Beginn 20 Uhr, Telefon 233 966 00