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Wie ein fremdes Land: Lena Maria Held über den Berliner Stadtteil Wedding


Wer den Stadtteil Wedding in Berlin besucht, entdeckt ein Bild von Fußballer Jérôme Boateng mit seinen Brüdern an einer Hauswand.

Wer den Stadtteil Wedding in Berlin besucht, entdeckt ein Bild von Fußballer Jérôme Boateng mit seinen Brüdern an einer Hauswand.

Von Lena Maria Held

Hier ist es wie in einer eigenen bunten Welt: Genau genommen berichte ich nicht aus Berlin, sondern aus dem Wedding. Dieser Stadtteil liegt nördlich von Berlin Mitte. Bei Studenten ist der Bezirk wegen seiner günstigen Wohnungen beliebt. Denn Berlin ist in den vergangenen Jahren recht teuer geworden und steht München in puncto Mietpreis in nichts nach. Doch nicht nur Studenten werden in den Wedding gelockt.

Der Ausländeranteil liegt im Wedding bei 30 Prozent. Knapp die Hälfte der Bewohner hat einen Migrationshintergrund. Vor allem türkische Gastarbeiter kamen in den Siebziger Jahren in den Stadtteil. Mittlerweile trifft sich auf den Straßen im Wedding die Welt: Afrikaner, Araber, Polen, Inder, Italiener, Russen, Asiaten und auch Bayern. Die kulinarische Vielfalt zeigt sich im Straßenbild: Ein Imbiss reiht sich an den nächsten. In meinem Kiez, dem Sprengelkiez, brauche ich vor meiner Haustür nur einmal umzufallen, schon sitze ich im Lokal meiner freundlichen Nachbarn. Die Familie kommt aus Vietnam. Gekocht wird aber thailändisch, so genau nimmt das hier niemand. Ein paar Meter weiter gibt's Döner, Falafel und Grillhendl. Es folgen ein Afroshop mit Perückensortiment und ein türkischer Obst- und Gemüsehändler. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite gibt es Antiquitäten und kitschige Nippes. Direkt daneben treffen sich in einer kleinen Moschee regelmäßig Muslime zum Gebet und nur ein paar Meter weiter, hinter dem Sprengelpark, steht eine evangelische Osterkirche. Darin kommt man in den Genuss afrikanischer Gospelmusik.

Ich habe den Eindruck, dass ich mit meinem Trachtenjanker und dem Landshuter Dialekt im Wedding als exotisch wahrgenommen werde. "Du kommst nicht von hier?", werde ich im Gespräch oft gefragt und, wenn ich bejahe, folgt häufig: "Ah, das hab' ich gleich gehört, dass du Österreicherin bist." Nicht ganz! Landshut liegt zwar näher an Österreich als an Berlin, aber gerne verzichte ich darauf meine Nationalität zu korrigieren. Denn manchmal habe ich den Eindruck, dass die Österreicher in Berlin beliebter sind als die "arroganten" Bayern.

Ein Freund lacht, als er mich zum ersten Mal im Wedding besucht und sieht, dass ich nahe der Ausländerbehörde wohne. Es stimmt schon: Wenn "richtiges" Hochdeutsch Voraussetzung dafür ist, "Deutsch zu sein", bin ich mit meinem Dialekt keine richtige Deutsche. Doch im bunten Gewimmel fühle ich mich wohl. Hier stehen Äußerlichkeiten im Hintergrund: Turban, Kopftuch, Kippa, Jogging- oder Lederhose - alles geht.

Mittwoch und Samstag - in Berlin "Sonnabend" - ist hinter dem "Leo", dem Leopoldplatz im Zentrum des Wedding, Markttag. Eine Freundin, die mich besucht, meint dort, sie fühle sich wie auf einer Reise in ein fremdes Land. Neben exotischen Obstsorten, türkischem Gebäck und Gemüse gibt es allerlei Kurioses. Die Händler sind freundlich und bewerben schreiend und lachend ihre Waren. Hier trifft sich das Viertel zum Einkaufen, Schauen und Plaudern. Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen leben nicht nur friedlich nebeneinander, sondern auch miteinander.

Landshuterin Lena Maria Held studiert in Berlin.

Landshuterin Lena Maria Held studiert in Berlin.