Bayern

Wegen Mindestlohn: Millionen für den Konsum?


Von Andreas Seidl und Andreas Seidl

Die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) rechnet für das laufende Jahr mit einem Impuls beim Konsum - und zwar wegen der Anhebung des Mindestlohns. Beispielsweise soll die Kaufkraft in der Stadt Straubing um einen sechstelligen Betrag steigen. Die Arbeitgeberseite zeigt sich skeptisch.

Laut Pressemitteilung der NGG vom Dienstag kann sich die Wirtschaft in Deutschland über ein Plus an Kaufkraft freuen, das von der Erhöhung des Mindestlohns ausgeht. Seit Januar greift hier eine Anhebung um 0,35 Cent auf 9,19 Euro pro Stunde. Der allergrößte Teil des zusätzlichen Gehalts gehe in den Konsum, weil Beschäftigte im Mindestlohnsektor kaum sparen könnten, wie Kurt Haberl von der NGG-Region Niederbayern ausführt. Vom Mindestlohn profitieren demnach also nicht nur die Empfänger, sondern auch die lokalen Unternehmen.

Was das in konkreten Zahlen bedeutet, das rechnet die Gewerkschaft an unterschiedlichen Beispielen vor. Bezug genommen wird etwa auf die zu erwartende Entwicklung in der Stadt Straubing. Hier steige der Verdienst von 1.020 Beschäftigten im Mindestlohnsektor, damit stünden 262.000 Euro an zusätzlicher Kaufkraft in der Stadt Straubing zur Verfügung. Würde es in der Zukunft eine weitere Erhöhung um einen Euro geben - eine Forderung, die die Gewerkschaft dringend befürwortet -, dann könne sich die Stadt gar über 2,1 Millionen Euro an zusätzlicher Kaufkraft freuen. Konfrontiert mit diesen Aussichten zeigen sich die Verantwortlichen bei der Stadt Straubing zwar grundsätzlich über den potenziellen Kaufkraftzuwachs erfreut. Man besitze allerdings keinerlei Möglichkeit, die Perspektive zu überprüfen, heißt es gegenüber idowa.

Die absolute Höhe des Kaufkraftzuwachses hängt von der Anzahl der Beschäftigten im Mindestlohnsegment im jeweiligen Gebiet ab. Da es in der Landeshauptstadt München die meisten Beschäftigten in diesem Segment gibt, wäre hier der absolute Zuwachs mit über 6,2 Millionen auch am Höchsten.

Die Gewerkschaft bezieht sich in ihren Ausführungen auf eine Studie des Pestel-Instituts aus Hannover. In der Studie werden die Effekte durch eine Mindestlohnerhöhung betrachtet und konkrete Werte für einzelne Regionen aufgelistet. Datengrundlage für die Berechnung sind dabei Zahlen aus dem Jahr 2017. In der Grafik sehen Sie die konkreten Zahlen aus der Studie für ausgewählte Kreise und Städte in Ostbayern.

Eine Auflistung der konkreten Zahlenwerte laut Studie finden Sie auf Seite zwei des Beitrages.

Win-Win-Situation?

Die Unternehmen können mehr verdienen und gleichzeitig haben die Mindestlöhner mehr in der Tasche - eine klassische Win-Win-Situation also? Das sieht man auf der anderen Seite natürlich anders. So führt der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband (dehoga) generell zum Mindestlohn auf seiner Internetseite aus, dass der Verband die Maßnahme "als gigantisches arbeitsmarktpolitisches Experiment" sieht. Lohnfindung sei nicht Sache des Staates, sondern der Tarifparteien. Der Mindestlohn habe "in einem großen Außmaß Kosten und Bürokratie in die Höhe getrieben". Eine Verbandsvertreterin führt auf idowa-Anfrage zudem an, dass der Mindestlohn auch Auswirkungen auf die anderen Lohngruppen habe - und generell für einen Anstieg des Lohnniveaus sorge.

Konkret zur aktuellen Erhöhung des Mindestlohns schreibt die Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft (vbw) in ihrem Internetauftritt, dass das Ergebnis der Erhöhung für 2019 rechnerisch korrekt sei. Gleichzeitig kritisiert der Verband aber die Erhöhung in einer zweiten Stufe ab 2020 auf 9,35 Euro. "Ob und in welcher Zahl der Mindestlohn Arbeitsplätze vernichten wird oder schon vernichtet hat, kann man heute noch nicht sagen. Dies wird durch die derzeit noch gute konjunkturelle Lage überdeckt", heißt es seitens des Hauptgeschäftsführers des vbw, Bertram Brossardt.

Doch wie sind die Auswirkungen bezogen auf die Gesamtwirtschaft zu bewerten? Laut Angaben in der Pestel-Studie bewegen sich schätzungsweise 1,4 Millionen Beschäftigte im Bereich des Mindestlohns. Trotz dieser vergleichsweise hohen Zahl wird angeführt, dass der Kaufkraftzuwachs durch die beschlossene Mindestlohnerhöhung "sehr bescheiden" ausfällt. Auch nachgelagerte Effekte wie etwa der Wechsel von einem Minijob in eine sozialversicherungspflichtige Teilzeitbeschäftigung sind demnach eher begrenzt und betreffen nur einen kleinen Teil der Beschäftigungsverhältnisse.

Was für den Einzelnen aufseiten der Arbeitnehmer erfreulich oder dringend notwendig scheint und aufseiten der Arbeitgeber ärgerlich oder gar bedrohlich wirkt, wird insgesamt eher als Sturm im Lohnglas bewertet.

Kaufkraftzuwachs infolge der Anhebung des Mindestlohns laut Pestel-Studie pro Region und Jahr in Euro:

Erding 429.892
Freising 726.740
Landshut, Stadt 394.982
Straubing, Stadt 262.147
Deggendorf 430.693
Kelheim 354.826
Landshut 469.278
Regen 274.278
Straubing-Bogen 274.652
Dingolfing-Landau 343.645
Regensburg, Stadt 994.978
Cham 521.829
Regensburg 442.567